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Crash den Mythos. Sesede Terziyan als Kriemhild und Dimitrij Schaad als Hagen auf Spritztour. Foto: Eventpress Hoensch

© Eventpress Hoensch

Junge Berliner Bühne und ein alter Mythos: Die Autoerotiker

Frei nach Friedrich Hebbel: Das Maxim-Gorki-Theater probt den „Untergang der Nibelungen“.

Die Nummer ist schon an die Wand gefahren, bevor sie überhaupt beginnt. Ein dicker schwarzer Bonzenmercedes steht auf der Bühne, die Front eingedrückt, amtliches Kennzeichen: B-RD ... . Alles klar. Deutschland Totalschaden. Und immer wieder wird das hässliche Geräusch kreischender Reifen und splitternden Aufpralls eingespielt.

Verstanden! Das sind Kamikaze-Typen. Kerle, die sich an ihrem eigenen Kaputtsein aufgeilen und auf den Abgrund zusteuern mit Bleifuß. „Der Untergang der Nibelungen. The Beauty of Revenge“ nennen Regisseur Sebastian Nübling und Dramaturg Jens Hillje ihre Version der „Nibelungen“ von Friedrich Hebbel. Das großbürgerliche Trauerspiel wurde 1861 in Weimar uraufgeführt, fünfzehn Jahre vor dem ersten „Ring des Nibelungen“ in Richard Wagners Bayreuth. Fritz Langs berühmte Verfilmung aus den 1920ern, legendäre Inszenierungen von Wolfgang Engel 1984 in Dresden und Frank Castorf 1995 an der Volksbühne – schweifen wir gern ein bisschen ab in die Geschichte des Mythos. Denn im Maxim-Gorki-Theater bleiben die Recken kraftlos. Auch an der Latte gemessen, die das „Theater des Jahres“ bei älteren Stücken (Tschechow, Fassbinder) selbst aufgelegt hat.

Wer sind die? Wo kommen die her? Vom großen bösen Auto einmal abgesehen, in das den ganzen Abend ohne Ende ein- und ausgestiegen wird, lassen sich diese fürchterlich verruchten Burgunder nicht identifizieren. Arm oder reich, privilegiert oder bildungsfern, mit welchem kulturellen Hintergrund? Sie machen gern Party, wobei sie sich vom weiblichen Personal aus Wasserflaschen bepinkeln lassen, tragen (gefälschte) Designerklamotten, rauchen wie blöd und zucken grinsend zum Techno-Beat. Streicheln die Limousine und wirken arg verunsichert, wenn sie nicht in dem Autosarg sitzen, sondern auf freier Bühnenbahn stehen müssen. Diese Blödmänner sind im Grunde nicht zu der Brutalität fähig, die ihnen abverlangt wird vom Mythos. Gewalt ist etwas, das ihnen unterläuft.

König Gunter ist bei Tim Porath ein schmieriger Feigling und Schwächling, nichts als ein Opportunist. Die Wut und Trauer seiner Schwester Kriemhild geht ihm auf die Nerven, mehr nicht. Und es ist auch nicht einfach, Sesede Terziyan den Furor abzunehmen, nach Siegfrieds Ermordung, nachdem sie eigentlich nur als hohle Zicke ins Rennen um das Auto geschickt worden ist. Ja, diese Figuren wollen wohl nicht in der Geschichte sein. Bloß weg! Da hat es Taner Sahintürk mit seinem (nackten) Siegfried noch am besten. Der zweite Teil, Kriemhilds Rache, bleibt ihm erspart. Da ist er nämlich schon abgestochen. Am längsten bleibt Hagen von Tronje. Bis zuletzt. Hält einen Monolog über Deutschland und die Welt und das 7:1 bei der WM. Dimitrij Schaad spielt den Intelligentesten unter den ferngesteuerten Deppen. Aber auch ihm erlaubt die Regie nicht mehr als ein paar Kapriolen und Ausbrüche.

Diese Aufführung gehört zu jenen, von denen man nach einer (halben) Stunde sagt: Es geht nicht. Gar nicht. Aber natürlich muss es weitergehen, daher nur ein paar Fragen, den zweiten Teil betreffend. Kriemhild nun bei den Hunnen, verheiratet mit Etzel, der von einer Frau gespielt wird, Nora Abdel-Maksoud, während Brunhild bei Till Wonka ein mies gelaunter bärtiger Typ mit kurzen Lederpants war. Warum sprechen die Hunnen Französisch und sehen aus wie Kellner, mit ihrer schwarz-weißen Tracht (Bühne und Kostüme: Eva-Maria Bauer)? Warum singen sie ein englisches Liebeslied? Was bringt sie dazu, in Zeitlupe über die Bühne zu schleichen und ungeschickt mit Degen herumzufuchteln? Kriemhild also Rache exekutierend, aber „beautiful“ ist anders. Es sieht gequält aus. Warum die „Nibelungen“ jetzt, im Herbst 2014?

Wieder am 30. und 31. Oktober.

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