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Internetstar. Karl (Jonas Dassler) sammelt mit seinem Blog Follower.

© Farbfilm

Jugenddrama „Lomo“ im Kino: Wenn Follower die Kontrolle übernehmen

Schwarmidiotie: Julia Langhofs Jugenddrama „Lomo“ problematisiert den Reiz virtueller Parallelwelten und Online-Freundschaften auf kluge Weise.

Im Kino leben die dysfunktionalsten Familien meist hinter schmiedeeisernen Gartenpforten und repräsentativen Altbaufassaden. Pädagogisches Feingefühl und „Quality Time“ mit dem Nachwuchs? Fehlanzeige. Stattdessen werden die Kinder mit Geldspritzen sediert oder mit jovialen „Solange du deine Füße unter meinem Tisch hast“-Sprüchen ruhiggestellt. So auch in „Lomo – The Language of Many Others“, dem Spielfilmdebüt der dffb-Absolventin Julia Langhof.

Das Elternhaus des 17-jährigen Abiturienten Karl (Jonas Dassler) und seiner Zwillingsschwester Anna (Eva Nürnberg) steht im idyllischen Südwesten Berlins, wo man sich als liberal-intellektuell begreift, als aufgeklärte Bildungselite. Doch dem eigenen Sohn begegnet der Architektenvater (Peter Jordan) mit Zynismus und Herablassung. Die Mutter (Marie-Lou Sellem) zeigt sich nur unwesentlich zugewandter.

Und so entflieht Karl, während seine Schwester Pläne fürs Auslandsstudium schmiedet, in digitale Welten. Als Lomo betreibt er einen Blog, das Akronym für: The Language of Many Others. „Es gibt zwei Zustände im Leben, Bewusstlosigkeit oder Panik“, lautet eine seiner aphoristischen Lebensweisheiten; mit Kommentaren zu seinem Alltag und selbst geschnittenen Videos erreicht er Fans auf der ganzen Welt. Anerkennung bei gleichzeitiger Anonymität: für den eher scheuen Karl genau das Richtige.

Reichlich konstruierte Konstellationen

Doch diese Anonymität gerät in Gefahr, als seine neue Mitschülerin Doro (Lucie Hollmann) die Identität von Lomo zu lüften droht. Im realen Leben landen beide recht schnell beim Sex in der elterlichen Sauna, im Cyberspace gestalten sich die Dinge hingegen deutlich komplizierter. Als ein Mitschnitt des Tête-à-Tête den Weg auf Karls Blog findet, wird es für beide unangenehm.

Brisanz gewinnt die Affäre durch die Verquickung der Familien: Doros Mutter (Julika Jenkins) entscheidet als Senatsbaudirektorin über die Vergabe eines Auftrags, um den sich Karls Vater beworben hat. Eine reichlich konstruierte Konstellation, leider nicht die Einzige dieser Art in Langhofs Film. Ihr gemeinsam mit Thomas Gerhold verfasstes Drehbuch wurde mit dem Förderpreis Neues Deutsches Kino ausgezeichnet, allerdings liegen dessen Stärken weniger in der Glaubhaftigkeit der Geschichte als vielmehr im Thema: Die Verführbarkeit von Jugendlichen durch virtuelle Parallelwelten und den Reiz scheinbar unverfänglicher Online-Freundschaften problematisiert der Film auf kluge Weise.

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Je mehr Karl sein Leben entgleitet, desto stärker übernehmen seine Follower die Kontrolle darüber. Mittels einer Minikamera dokumentiert er fortan per Livestream jeden seiner Schritte. Spätestens hier gewinnt „Lomo“ eine dystopische Dimension, die virtuellen Geister entwickeln ein fragwürdiges Eigenleben. Der Schwarm handelt nicht intelligent.

Kameramann Micham Grabowski verpasst den Bildern einen oft ungesund blassgrünen Look, taucht sie dann wieder in warmes Sonnenlicht, was „Lomo“ eine mitunter verträumte Werbefilmästhetik verleiht. Der treibende, basslastige Elektro-Score untermalt hingegen den düsteren Grundton des Films.

Jonas Dassler hat Preise für die Rolle eingsammelt

Sehenswert ist er vor allem durch den 22-jährigen Jonas Dassler. Karl bleibt undurchsichtig, bisweilen verstörend kühl, ein nie ganz unsympathischer Slacker, dem man die Zerrissenheit des jungen Mannes – irgendwo zwischen virilem Mackertum, pubertärem Liebestaumel und Selbstzweifeln – abnimmt. Entsprechend hat Dassler für seine Rolle als Karl im vergangenen Jahr zahlreiche Auszeichnungen eingesammelt, unter anderem bei den First Steps Awards 2017 und beim Bayerischen Filmpreis.

Demnächst kann man Dassler, der zum Ensemble des Maxim-Gorki-Theaters gehört, in seiner bislang größten Rolle sehen. Unter der Regie von Fatih Akin schlüpft er für die Verfilmung von Heinz Strunks Roman „Der goldene Handschuh“ in die Rolle des Hamburger Frauenmörders Fritz Honka. Von Jonas Dassler wird man noch hören.

In den Kinos Moviemento, Kulturbrauerei, Filmtheater am Friedrichshain, b-ware!

Korrektur:

In der ursprünglichen Fassung des Artikels stand, dass Jonas Dassler über keinen eigenen Wikipedia-Eintrag verfügt. Diese Information ist seit dem 12. Juli überholt. Man findet ihn im Netz unter: https://de.wikipedia.org/wiki/Jonas_Dassler

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