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Karl (Jannis Niewöhner) versucht, die traumatisierte Maxi (Luna Wedler) als Postergirl der neuen Rechten zu instrumentalisieren.

© Pandora FIlm

Jugenddrama "Je suis Karl" im Kino: Rechtsextremismus for Dummys

Die europäische Rechte probt den Aufstand. Die Politik von Christian Schwochows Jugenddrama "Je suis Karl" ist diffus und didaktisch.

Rauch hängt über Friedrichshain. Eine Explosion hat ein Mietshaus in Schutt und Asche gelegt. Maxi (Luna Wedler) und ihr Vater Alex (Milan Peschel) kommen nur durch Zufall mit dem Leben davon, doch die Mutter und die beiden jüngeren Brüder sterben in den Trümmern. Schnell ist klar: Sie sind Opfer eines Anschlags geworden. Als Thomas Wendrich mit dem ersten Drehbuchentwurf für „Je suis Karl“ fertig war, hatte sich in Berlin gerade der Anschlag am Breitscheidplatz ereignet.

In Christian Schwochows Film ist der vermeintlich islamistische Terroranschlag nun allerdings eine Finte: Die rechte Gruppe hinter der Tat will den Volkszorn nur für ihre Zwecke nutzen. Ein Anschlag wird so zum Impulsgeber für ein politisches Lehrstück, das von der Verführbarkeit durch rechtes Gedankengut erzählen will – nicht die einzige ethisch fragwürdige Entscheidung in „Je suis Karl“.

Der titelgebende Karl (Jannis Niewöhner), Kopf einer europaweit organisierten Neonazi-Bewegung, hat sich Maxi als Verbündete ausgeguckt. Die Überlebende eines islamistischen Anschlags, das hat in rechten Kreisen natürlich Zugkraft. Er umgarnt die 18-Jährige, sie lässt sich in ihrer Wut und Verzweiflung auf seine Avancen ein und gerät dabei immer tiefer in die Fänge rechter Ideologen.

Einen Gegenpol dazu finden Schwochow und Wendrich nicht. Maxis Vater Alex bleibt mit seiner linken Vergangenheit blass; die Rückblende, in der er und seine Frau Inès (Mélanie Fouché) einen Geflüchteten (Aziz Dyab) nach Deutschland schmuggeln, wirkt als biografisches Detail eher wie eine Behauptung. Das Trauma des Attentats versetzt Alex in einen Zustand der Lethargie, zu mehr als einem verdatterten „Siehst du denn nicht, dass die dich benutzen?“ reicht es nicht. Da ist Maxi aber schon nicht mehr zu retten – und auch der Film nicht.

Krudes Pastiche aus rechten und linken Slogans

Die Rhetorik der Jungnazis, die Wendrich und Schwochow erfinden, besteht aus einem kruden Pastiche aus Sprachfiguren und Slogans der rechten Szene, Anspielungen auf die Fridays-for-Future-Bewegung, völkischen Feminismus und Protestbewegungen wie nach den Anschlägen auf das Satiremagazin Charlie Hebdo („Je suis Charlie“). Die jungen Nazis sagen ihre Parolen auf, aber ihre Forderung nach einem weißen Europa bleibt diffus. Maxis hat ihr „Erweckungserlebnis“ auf einem Jungnazi-Kongress in Prag, in einer an Albert Speer gemahnenden Architektur. Die Kamera von Frank Lamm stürzt sich hinein ins Getümmel: Plakate mit Hakenkreuz-artigen Symbolen, Hitlergrüße in der Menge, vor der Karl als Kreuzung aus Motivationstrainer und Demagoge seine Theorien ausbreiten darf.

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Dieses Schauspiel soll vermutlich Verführungseffekte entlarven, als bedienten rechte Bewegungen lediglich solche Schlüsselreize. Größere Mühe, die politische Haltung der Nazi-Gruppierung zu entwerfen, macht sich Wendrich nicht. Ein kleiner Kreis von Anführer:innen, die sich gegenseitig „Sieg heil“ ins Ohr raunen, leitet die enttäuschte europäische Jugend in die Irre. Komplizierter ist das Wesen des Rechtsextremismus bei Schwochow und Wendrich nicht.

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Das konfuse Drehbuch lässt die jungen Rechten zu immer extremeren Mitteln der Manipulation greifen. Der Regisseur und sein Autor haben bereits 2015 zusammen an einer Episode der NSU-Trilogie „Mitten in Deutschland“ gearbeitet. Schwochow hat seitdem auch international Karriere gemacht, er inszenierte unter anderem zwei Folgen von „The Crown“. Wendrich hingegen hat sich zwar ebenfalls durch seine Arbeiten für das Fernsehen einen Namen gemacht, allerdings für das deutsche. Die Nähe zur TV-Dramaturgie ist seinem Skript zu „Je suis Karl“ anzumerken.

Der Nazi-Hipster als Stereotyp des Verführers

Seine Figuren gewinnen keine Konturen. Jannis Niewöhner hat Mühe, dem Klischee des Verführers im Gewand eines gespenstisch-schönen Blondschopfs Leben einzuhauchen. Auch Luna Wedler und Milan Peschel erstarren in ihren Funktionen für die Handlung: die versehrte Seele, die aus blinder Liebe für rechte Theorien empfänglich wird, und der traumatisierte Vater. Mehr verlangt ihnen der Film nicht ab. Dass drei der vier Filmpreis-Nominierungen von „Je suis Karl“ auf die Darsteller:innen entfallen, verstehe, wer will.

In mancher Hinsicht ist „Je suis Karl“ ein Komplementär-Film zu Julia von Heinz’ „Und morgen die ganze Welt“. Da gerät eine junge Protagonistin immer tiefer ins linksextreme Milieu. Doch ihr Film spürt Luisas Zweifeln nach, wenn sie wählen muss zwischen gewaltfreiem Protest und handfestem Eingreifen. Von Heinz fragt nach der Verhältnismäßgkeit der Mittel und lässt dabei Überlegungen zu Wesen und Wirkungsweise des Extremismus anklingen. Die Figur des desillusionierten Altlinken verleiht dem Film auch eine Außenperspektive.

„Und morgen die ganze Welt" geht in ihrer Verteilung der Sympathien innerhalb des linken Spektrums ähnlich plakativ vor wie „Je suis Karl“ in seiner Inszenierung einer neurechten Ästhetik. Doch bei Schwochow und Wendrich wird ihre politische Ausrichtung, außer durch eine karikaturartig Überzeichnung, nie greifbar. Das ist umso irritierender, da sich beide in ihrem NSU-Film bereits überzeugender mit dem Thema Rechtsextremismus auseinandergesetzt haben.

Natürlich möchte niemand Filme sehen, die ihre politischen Absichten vor sich hertragen. Aber die diffuse Didaktik von „Je suis Karl“ sorgt eher für Ratlosigkeit. Insofern passt Schwochows Ankündigung, er wolle mit seinem Film in den Schulunterricht. Seine Inszenierung von rechten Thesen passt ausgezeichnet in eine Doppelstunde. Und ist genau deswegen auch so problematisch. (In zehn Berliner Kinos)

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