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Ursula von Poznanski erzählt in "Erebos2" von einem Computerspiel, das die Spieler steuert und nicht umgekehrt.

© Getty Images/iStockphoto

Jugendbuch: Wenn das Spiel Wirklichkeit wird

Ursula Poznanskis Thriller „Erebos 2“ erzählt aus den Grenzbereichen digitaler Kommunikation.

Auf dem Mobiltelefon von Nick Dunmore taucht eine App auf, die er garantiert nicht installiert und bestätigt hat. Aber sie ist auf einmal da. „Es war das Icon, das ihn überlegen ließ, ob er nicht die nächste Ausfahrt nehmen, kurz an den Rand fahren und genauer nachsehen sollte.“ Nick ist Student und schlägt sich als Hochzeitsfotograf durch. Aber dieses rote „E“ des Icons irritiert ihn maßlos. „Es war genau das Symbol, das er als Schüler eine Zeit lang auf seinem Desktop gehabt hatte, bevor das dazugehörige Programm sich selbst gelöscht hatte. Diesmal hatte es sich eigenständig installiert.“

So beginnt Ursula Poznanski ihren Thriller „Erebos 2“, einen aufregenden Roman über ein Computerspiel, das sich offensichtlich verselbstständigt hat. Nick ist in „Erebos 2“ 26 Jahre alt, das Abenteuer mit dem PC-Spiel liegt zehn Jahre zurück, genau wie das Erscheinen von Poznanskis Erfolgsroman „Erebos“. Man muss aber den ersten Band nicht unbedingt kennen, um dem zweiten zu folgen. In zehn Jahren sind in der digitalen Welt unglaubliche Veränderungen eingetreten, ob man die gut oder schlecht findet, ist eine andere Frage. [Ursula Poznanski: Erebos 2. Thriller. Loewe Verlag, Bindlach 2019. 510 Seiten. 19,95€. Ab zwölf Jahren].

Das Spiel beherrscht den Spieler

Es wird schnell deutlich, dass „Erebos“ nicht irgendein Spiel war, sondern eines, das es in sich hatte, das seine Spieler in gewisser Weise beherrscht hatte. Nick nimmt die App, die so plötzlich blinkt, zunächst nicht ernst. Doch sie spricht mit ihm: „Sei gegrüßt, Nick. Willkommen zurück.“ Zunächst ignoriert er diese Meldungen, macht seine Hochzeitsfotos und lädt sie nach getaner Arbeit hoch. Plötzlich gehorcht die Maus nicht mehr: „Stattdessen begann die Aufnahme, sich zu verändern. Das Gesicht der Braut verzog sich zu einer hässlichen Grimasse, aus ihren Augen quoll Blut, lief über ihr Gesicht und tropfte auf das weiße Kleid...“

Aber nicht nur Nick wird von dem Spiel überrascht, sondern auch Derek, der sechzehnjährige Schüler, der sich mit einer Physikarbeit herumschlagen muss, unsterblich verliebt ist und eine blöde Clique von Mitschülern gegen sich hat. „Sei gegrüßt, Derek. Du bist auserwählt. ... Eine neue Welt wartet auf dich. Ein neues Leben. ... Wir warten auf dich.“ Recherchen nach „Erebos“ auf dem PC schlagen fehl, „Tu das nicht“, warnt die Künstliche Intelligenz (KI). Erebos sieht alles und kann erschreckend viel, kann aber auch hilfreich sein.

Ein Thriller aus der digitalen Welt.
Ein Thriller aus der digitalen Welt.

© Loewe

Virtuos setzt Poznanski ihre Abenteuer aus der neuen digitalen Welt fort. Ihre beiden Helden lassen sich auf das Spiel ein, das fortan ihr Handeln bestimmt. Das Spiel kann manipulieren, Eltern und Lehrer mit der Stimme der Spieler anrufen, kurz jede Menge Unheil anrichten, gegen das die Spieler machtlos sind. Es sei denn, sie fügen sich den Anweisungen von „Erebos“ und lösen die Aufgaben des Spiels. Diese sind aber nicht nur im virtuellen Raum zu lösen, sondern auch im wirklichen Leben.

Die Ebenen zwischen der Welt des Spiels und dem realen Leben durchdringen sich auf geradezu beängstigende Weise. Poznanski beschäftigt sich mit den aktuellen Fragen der Wissenschaft und spinnt daraus ihre eigene Geschichte. Die technischen Möglichkeiten, die sie in dem Roman aufzeigt, stimmen nachdenklich. Was kann KI wirklich? Geschickt wechselt Poznanski laufend die Perspektive zwischen den beiden Spielern, aber auch zwischen deren Erleben im Computerspiel und bei der Lösung der Aufgaben.

Geradezu furchterregend sind die Reaktionen des Spiels auf die Bemühungen der beiden Protagonisten, das Spiel auszutricksen, es zu ignorieren oder hinter das Geheimnis dieses Spiels zu kommen. Es reagiert sofort und hart – zum Teil mit üblen Folgen. Es erpresst seine Akteure, um sie gefügig zu machen. Aber wer steckt dahinter? Das Ende wird nicht verraten, aber die 500 Seiten bis dahin lassen keine Langeweile aufkommen und werfen fundamentale Zukunftsfragen auf.

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