zum Hauptinhalt
Ursula Poznanski

© Gaby Gerste/ Loewe Verlag

Jugendbuch von Ursula Poznanski: Wenn es im Nacken zu sehr kribbelt

Ziemlich gefährlich: Ursula Poznanski erzählt in ihrem Thriller "Shelter", was droht, wenn man als Experiment eine Verschwörungstheorie erfindet.

Es ist eigentlich eine ganz nette Geburtstagsparty, aber das Pärchen Dennis und Sarina hat mit seinen Verschwörungstheorien, seinen Pendeln und Heilsteinen die Clique nur noch genervt, bis sie schließlich beleidigt abgezogen sind. Aus Ärger und Frust entwickeln die Freunde Benny, Darya, Liv, Nando und Till eine verrückte Idee: Sie wollen selbst eine Verschwörungstheorien in die Welt setzen, um zu sehen, was passiert und ob sich eine absolut haltlose Idee wirklich verbreitet. Schnell einigen sie sich auf Aliens. „Sie sind auf der Suche nach einem neuen Planeten und haben die Erde gefunden. Die gefällt ihnen zwar, aber sie ist ihnen ein bisschen zu kühl. Deswegen schrauben sie die Temperatur rauf“, sagt Benny und alle sind begeistert.

Manipulation ist einfach

Mit diesem Plot startet Ursula Poznanski ihren Thriller „Shelter“ über Verschwörungsmythen. Längst sind sie eine Gefahr für demokratische Gesellschaften geworden, zeigt sich an ihnen doch, wie leicht Menschen zu manipulieren und für krude Ideen zu vereinnahmen sind. „Erstens: Was geschieht, geschieht im Geheimen. Nichts ist Zufall, alles geplant. Zweitens: Nichts ist so, wie es scheint. Die Wirklichkeit hat gewissermaßen einen doppelten Boden“, zitiert die Psychologiestudentin Liv die Merkmale von Verschwörungstheorien. „Drittens: Alles ist miteinander verbunden. Die Verschwörer erkennen einander an geheimen Zeichen, aber im Grunde könnte jeder dazugehören. Jeder ist verdächtig.“

Liv ist angetan von Bennys Idee, denn ihr fehlt noch ein zündendes Thema für ihre Bachelorarbeit. Reaktionen auf eine Verschwörungstheorie könnten ein tolles Thema sein. Ein Zeichen ist schnell gefunden, ein Kreis und darin ein offener Halbkreis. Die Freunde sprühen das Emblem mit Hilfe von Schablonen überall in der Stadt und befeuern in den sozialen Medien über Fake-Accounts die Aufmerksamkeit für dieses seltsame Objekt. „Was bedeutet das?, lautete die häufigste Frage unter diesen Bildern. Aber niemand wirkte beunruhigt oder bohrte groß nach, es war eher so, als wollten die Leute nicht aus Versehen einen Trend verpassen“, schreibt die Erzählerin.

[Wenn Sie alle aktuellen Entwicklungen zur Coronavirus-Pandemie live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

In Windeseile verbreitet sich das Zeichen, es wird ein Selbstläufer, und über ihre Fake-Accounts helfen die Freunde ein wenig nach. #shelter bedeutet, dass Außerirdische in Menschen schlüpfen, sie übernehmen und steuern. Und wenn es im Nacken kribbelt, hat man einen Alien in sich aufgenommen. Ihre Theorie scheint den Freunden ziemlich absurd zu sein, aber zu ihrem Erstaunen funktioniert sie. Mit Rücksicht auf Livs Bachelor-Thema wird die Aktion aber noch nicht abgeblasen. Poznanski schildert sehr eindrucksvoll, wie sich diese Theorie verbreitet, wie leichtgläubig Menschen sind. Zwar überwiegt die Skepsis in den Kommentaren, aber ein harter Kern zeigt sich sehr aufgeschlossen gegenüber dem, was da geschieht.

Menschen sind leichtgläubig

Poznanski ist eine Meisterin darin, aktuelle gesellschaftliche Themen spannend zu erzählen – und sie ist immer für eine Überraschung gut. Die Aktion der Freunde wird von einem geheimnisvollen Octavio im Netz gekapert und entgleitet der Clique. Sie können die Entwicklung nicht mehr steuern. Jetzt fühlen sich die Freunde verfolgt, Darya und Nando verschwinden, Benny bekommt unangenehmen Besuch in dem Café, in dem er jobbt. Er wird bedroht, weil er im Netz verkündet hat, den ganzen Schwindel auffliegen zu lassen. Als es zur Konfrontation mit einer Gruppe von Verschwörungsanhängern kommt, die glauben, dass nun endlich mit „denen da oben“ abgerechnet wird, schenken sie Bennys Bekenntnis keinen Glauben. Sie sehen, was sie sehen wollen, und was nicht passt, wird ignoriert.

[Ursula Poznanski: Shelter. Loewe Verlag, Bindlach 2021. 448 Seiten, 19,95 €. Ab 14 Jahre]

Ursula Poznanski erzählt mit doppeltem und dreifachem Boden. Selbst als der Fall aufgeklärt zu sein scheint und das Happyend naht, gelingt es ihr im letzten Moment, der Geschichte noch einen neuen Dreh zu verleihen. Ihr spannender Roman zeigt, wie schnell aus einer fixen Idee mit Hilfe sozialer Medien eine neue Realität mit bedrohlichen Folgen entstehen kann.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false