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Das Archivbild vom 18. Februar 1968 zeigt den Studentenführer Rudi Dutschke (M, mit erhobener Faust) sowie den deutschen Lyriker und Schriftsteller Erich Fried (l) in Berlin an der Spitze eines Demonstrationszuges gegen den Vietnamkrieg.

© DPA

Jugendbuch: Schwarze Augen, wildes Herz

Voll der Verehrung: Die erste Rudi-Dutschke-Biografie für Jugendliche.

Als die Wochenzeitung „Die Zeit“ zum ersten Mal auf Rudi Dutschke aufmerksam wird, nennt sie ihn einen „Slawisten und Experten in der Geschichte der Arbeiterbewegung“ mit dem „Zeug zum Demagogen“. Der Reporter Karl-Heinz Janßen, der im September 1966 von der SDS-Delegiertenkonferenz in Frankfurt berichtet, ist beeindruckt von diesem jungen Studenten aus Berlin, aber auch befremdet. „Unter schwarzen Augen blickt er finster drein, die Haarsträhnen fallen ihm in die Stirn (...). Und jeder weiß, wen (und was) er meint, wenn ihm im Eifer des Gefechts nur noch die Vornamen heraussprudeln: „Rosa – Karl – und Leo!“

Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht, Leo Trotzki. Unter dieser Ahnengalerie tat es schon der 26-jährige Nachwuchsrevolutionär nicht. Allerdings war er kein Slawist, er studierte an der Freien Universität Soziologie, Ethnologie, Philosophie und Geschichte. Elisabeth Zöller zitiert die Passage aus der „Zeit“ in ihrer Dutschke-Biografie als eines von wenigen Beispielen aus der damaligen Presse für eine differenzierte Darstellung. Die „Bild“-Zeitung verteufelte Dutschke als „roten Agitator“ und forderte „Stoppt den Terror der Jung-Roten jetzt!“. Der Attentäter Josef Bachmann hatte solche Schlagzeilen gelesen, als er im April 1968 mit dem Interzonenzug von München nach Berlin fuhr, um Dutschke zu „stoppen“. Er schoss drei Mal auf ihn und verletzte ihn schwer.

„Verändert die Welt!“, lautet der kämpferische Titel von Zöllers Buch, das sich an Jugendliche wendet. „Wie wurde aus dem Jungen von Luckenwalde, der eigentlich Sportreporter werden wollte, ein Revolutionär?“, fragt sie. Dutschke verstand sich wohl wirklich als Revolutionär, allerdings hat die Bewegung, die er anführte, am Ende zwar kulturell gesiegt, aber nicht politisch. Die Sitten lockerten sich, die Liebe wurde freier und die Haare länger, doch der Kapitalismus blieb.

Elisabeth Zöller: Verändert die Welt! Das Leben des Rudi Dutschke.
Elisabeth Zöller: Verändert die Welt! Das Leben des Rudi Dutschke.

© Hanser

Zöller, Jahrgang 1945 und damit im besten Alt-68er-Alter, schreibt mit ungebrochener Begeisterung über ihren Helden. Für sie ist Dutschke einer, „der sich nicht anpasste, der laut Nein sagte“ und immer noch zum Vorbild taugt. Sie folgt seinem Weg von Luckenwalde nach West-Berlin bis ins Exil in Dänemark, wo er Heiligabend 1979 mit 39 Jahren an den Folgen des Attentats starb.

Auf einen charismatischen Aufrührer wie Dutschke schien das modernisierungsbedürftige Deutschland nur gewartet zu haben. An Universitäten, in der Justiz und den Parlamenten herrschten noch immer die alten Eliten, in Vietnam tobte ein brutaler Krieg. Im knappen Zeitfenster seines Lebens entfaltete Dutschke die größte Wirkungsmacht zwischen der ersten Vietnam-Demo in Berlin Anfang 1966 und dem Vietnam-Kongress an der TU Berlin im Februar 1968. Dann katapultierten ihn Bachmanns Schüsse aus der Zeitgeschichte.

Elisabeth Zöller
Elisabeth Zöller

© Peter-Andreas Hassiepen / Hanser hassiepen@hanser. de

Das alles erzählt Zöller streng chronologisch, mit Seitenkapiteln und Einschüben, die von Kolonialkriegen, der Frauenbewegung oder den Ideen der Frankfurter Schule handeln. Dutschke lebte in Widersprüchen. Er war Marxist und gleichzeitig ein überzeugter Christ. Er predigte Befreiung, trennte aber Politik und Privatleben. Statt in eine Kommune zu ziehen, zog er das traditionelle Familienmodell mit Ehefrau und drei Kindern vor.

Sein Verhältnis zur Gewalt blieb unklar. Der Ausruf „Holger, der Kampf geht weiter!“ am Grab von Holger Meins lässt sich als Rechtfertigung des RAF-Terrors verstehen. Das Buch endet mit einer Denkmalsetzung, der Umbenennung eines Teils der Kochstraße in Rudi-Dutschke-Straße 2007. Interessanter wäre es gewesen, auch noch zu erzählen, was aus einigen von Dutschkes Weggefährten wurde. Der Ex-Sponti Frank Böckelmann (dreimal im Buch erwähnt) gibt die Zeitschrift „Tumult“ heraus, die gegen „Merkeldeutschland“ und „die große Einwanderung“ polemisiert. Bernd Rabehl (elfmal erwähnt) berät den neovölkischen Verleger Götz Kubitschek.

Elisabeth Zöller: Verändert die Welt! Das Leben des Rudi Dutschke. Hanser Verlag, München 2017. 336 Seiten, 19 €. Ab 14 Jahren.

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