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Brückenbauerin. Die 58-jährige Niederländerin Hetty Berg tritt am 1. April 2020 ihren neuen Job an.

© Yves Sucksdorff

Jüdisches Museum Berlin: Hetty Berg als neue Direktorin ans Jüdische Museum berufen

Eine klare Entscheidung: Mit Hetty Berg übernimmt eine erfahrene und gut vernetzte Kuratorin das Jüdische Museum Berlin.

Plötzlich geht es schnell. Am Dienstagabend trifft der Stiftungsrat des Jüdischen Museums unter Vorsitz von Kulturstaatsministerin Monika Grütters einstimmig die Entscheidung für Hetty Berg. Am Mittwochmorgen erfährt die rund 120-köpfige Belegschaft des Museums die Neuigkeit durch den Geschäftsführenden Direktor Martin Michaelis, der das Museum kommissarisch leitet.

Die künftige Chefin befindet sich da schon wieder auf dem Heimweg nach Amsterdam, um die Retrospektive des Malers Eli Content unter dem Titel „So Much I Gazed on Beauty“ im Jüdischen Historischen Museum zu eröffnen, das sich in einer ehemaligen Synagoge der früheren Ashkenasischen Gemeinde befindet.

Erleichterung ist überall zu spüren. Nachdem man Sorgen haben konnte, dass sich die Suche nach einer neuen Leitung für das Jüdische Museum nach Peter Schäfers Rücktritt Anfang Juni in die Länge ziehen könnte, ist nach nicht einmal einem halben Jahr eine Nachfolgerin gefunden. Hetty Berg, Chefkuratorin des Jüdischen Kulturviertels in Amsterdam, wird auf den international anerkannten Judaisten folgen. Er war letztlich unglücklich über einen weitergeleiteten Tweet gestolpert, in dem es um die BDS-Bewegung ging.

Hetty Berg, die 58-jährige Holländerin, tritt am 1. April 2020 also keinen einfachen Posten an. Doch ist mit der erfahrenen Museumsmanagerin offensichtlich jemand gefunden, der das schlingernde Haus wieder auf Kurs bringen kann. Über Martin Michaelis ließ Berg eine Grußadresse verlesen, die mit viel Wohlwollen aufgenommen wurde. Spätestens Anfang Januar ist sie zu einem Workshop wieder da.

„Ich freue mich sehr über die Berufung zur Direktorin des Jüdischen Museums Berlin und die damit verbundene hochinteressante und herausfordernde Aufgabe. Voller Erwartung freue ich mich auf die Zusammenarbeit mit dem gleichermaßen qualifizierten wie motivierten Team des Jüdischen Museums Berlin, das derzeit mit Hochdruck die neue Dauerausstellung und die Eröffnung des Kindermuseums vorbereitet. Es ist mir eine Ehre, die Leitung des Jüdischen Museums Berlin übernehmen zu dürfen“, sagte sie dem Tagesspiegel.

Eine begnadete Netzwerkerin

Die studierte Theaterwissenschaftlerin ist am Berliner Haus keine Unbekannte mehr. 2010 gehörte sie zu den Kuratoren von „Helden, Freaks, Superrabbis“, einer Gemeinschaftsausstellung mit Amsterdam und dem Jüdischen Museum in Paris, die in allen drei Hauptstädten Station machte.

Fast wäre es 2019 zu einer Neuauflage der Kooperation mit der großen Kabbalah-Ausstellung gekommen, diesmal mit Wien im Bunde. Doch scherte Berlin wieder aus, der Aufbau der neuen Dauerausstellung bindet alle Kräfte.

Hetty Berg, seit Langem im Vorstand der Association of Jewish European Museums, ist eine begnadete Netzwerkerin, so viel weiß man schon jetzt von ihr in Berlin. Davon wird auch das Jüdische Museum profitieren.

Im Vergleich zu ihrem bisherigen Arbeitsplatz ist das größte jüdische Museum in Europa ein Riesentanker. Aber der Chefkuratorin gelang es in Amsterdam, ein ganzes Kulturquartier zu entwickeln, das heute unter der Marke „Joods Cultureel Kwartier“ firmiert.

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Neben dem Jüdischen Historischen Museum gehören außerdem die Portugiesische Synagoge, das Nationale Holocaust-Museum, das Kindermuseum und der Hollandsche Schouwberg dazu, ein ehemaliges Theater, das die Nationalsozialisten zum Sammelplatz für Deportationen umfunktionierten und heute Gedenkstätte ist. Hetty Berg besitzt also Managerqualitäten, gerade dafür wurde sie nach Berlin geholt.

Der Neubeginn mit ihr wird intern als Riesenchance gewertet, dem Haus neue Schubkraft zu verleihen. „Wir freuen uns, von Hetty Bergs jahrzehntelanger musealer Berufserfahrung und ihrer herausragenden Expertise in unseren Themenfeldern zu profitieren. Mit ihr gewinnen wir eine führungsstarke und einnehmende Persönlichkeit für das Jüdische Museum Berlin. Der Stiftungsrat hat eine kluge Entscheidung getroffen“, sagte Martin Michaelis dem Tagesspiegel.

Als Direktorin ist Hetty Berg auch Chefin der Akademie

Als Direktorin wird Hetty Berg nicht nur den Programmbereich verantworten, sondern auch die vor sieben Jahren eröffnete Akademie auf der anderen Seite der Lindenstraße leiten; auch da war Peter Schäfer in die Kritik geraten.

Zwar wird die neue Chefin kaum noch auf die von Cilly Kugelmann entwickelte Dauerausstellung Einfluss nehmen, die am 14. Mai, also anderthalb Monate nach ihrem Dienstantritt, eröffnen soll und bereits im Aufbau begriffen ist. Doch dürfte sie dann ein Zeichen als Eröffnungsrednerin setzen können, wohin die Reise mit ihr geht.

So viel scheint klar: Mit Berg hat man einen liberalen Geist gewonnen, keine konservative Denkerin oder gar jemanden mit orthodoxer Haltung. Gut möglich, dass es wieder zu Konflikte kommt, doch hat sich die künftige Direktorin damit in Amsterdam einen Namen gemacht, verschiedene Interessensgruppen an einen Tisch zu bringen.

Mit dem Jüdischen Kulturquartier gelang es ihr, das Museum nach außen zu öffnen. Als Holländerin sind ihr die flachen Hierarchien, die schnellen Kommunikationswege in die Wiege gelegt.

Schon hofft so mancher in Berlin, dass sie sich womöglich mit dem Stadtmuseum wieder verbündet, aus dem das Jüdische Museum vor über 20 Jahren als ehemalige Abteilung hervorgegangen ist. Das liegt auch deshalb nahe, weil dort seit drei Jahren der Niederländer Paul Spies die Stiftung leitet. Natürlich kennen sich die beiden schon lange.

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Mit Berg kommt eine weitere Holländerin an ein deutsches Museum

Beate Gerlings, holländische Botschaftsrätin für Kultur und Kommunikation mit Sitz in Berlin, die Hetty Berg zuletzt in der Topographie des Terrors bei der Eröffnung der Ausstellung zur Judenverfolgung in den Niederlanden (Tagesspiegel vom 4. November) traf, nimmt es mit Genugtuung auf, dass „diese niederländische Expertise gerade in Deutschland, einem Land mit einer so reichen Museumslandschaft, so gefragt ist“.

Zu den jüngsten Berufungen holländischer Direktoren gehören außerdem Nanette Snoep ans Kölner Rautenstrauch-Joest-Museum und Leontine Meijer-van Mensch an die Ethnografischen Sammlungen Sachsens, zu denen das Leipziger Grassi-Museum sowie die Dresdner und Herrnhuter Völkerkundemuseen gehören.

Von Leontine Meijer-van Mensch gehen ganz besondere Glückwünsche nach Berlin ans Jüdische Museum , wo sie zuvor noch als Programmdirektorin wirkte und doch frustriert bald wieder ging. Aus der Innenansicht weiß sie, wie wichtig eine Praktikerin am Steuer ist.

Ihrer früheren Kollegin am Jüdischen Historischen Museum in Amsterdam attestiert sie großes Talent als Brückenbauerin. Durch ihren familiären Hintergrund besitze Hetty Berg nicht nur Verbindungen zur jüdischen Community, sondern durch ihren Lebenspartner, den Fotografen Frédéric Brenner, auch nach Israel.

Da mag es dem Stiftungsrat wie ein Wink erschienen sein, dass sich in der Sammlung des Berliner Museums nicht nur Werke Brenners befinden, sondern er dort auch aktuell zu sehen ist. Auf Brenners Initiative geht die Ausstellung „This Place“ zurück, für die er namhafte Fotografen wie Josef Koudelka, Thomas Struth und Jeff Wall bat, den bekannten Bildwelten in Israel und im Westjordanland neue Motive hinzuzufügen. Die Ausstellung zeigt die Vielfalt des Landes (bis 5. Januar). Für diese Offenheit kommt nun auch Hetty Berg an das Jüdische Museum Berlin.

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