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Stilistisch souverän. Vladimir Stoupel und Judith Ingolfsson.

© Marko Priske

Judith Ingolfsson und Vladimir Stoupel: Man hört nur mit dem Herzen gut

Die Geigerin Judith Ingolfsson und der Pianist Vladimir Stoupel stellen ihr neues Album vor – und das Festival „Last Rose of Summer“.

Der Mythos von den ach so goldenen Zwanzigerjahren im babylonischen Berlin ist unvollständig ohne ihr bitteres Ende: Denn 1933 begann der größte kulturelle Aderlass, den diese Stadt je zu verkraften hatte. Ein Großteil ihrer stilprägenden kreativen Szene wurde damals von den Nationalsozialisten zur Flucht aus ihrer Heimat gezwungen oder ermordet. Und es lohnt sich, von jedem Einzelschicksal zu erzählen.

Zum Beispiel von Karol Rathaus, 1895 in Tarnopol geboren, der seinem Lehrer Franz Schreker von Wien nach Berlin folgte und hier Karriere machte. Über Paris und London emigrierte er in die USA, wo er zunächst beruflich nur schwer Fuß fassen konnte, schließlich aber in New York eine Professur bekam, die er bis zu seinem Tod 1954 innehatte.

Oder von Imre Weisshaus, Jahrgang 1904, der unter dem Künstlernamen Paul Arma als Pianist des Budapester Klaviertrios erfolgreich durch Europa und Nordamerika tourte, sich aus politischer Überzeugung dann aber 1930 für Berlin entschied, um hier mit Bertolt Brecht und Hanns Eisler zusammenarbeiten zu können. Nach einer Scheinhinrichtung durch die Gestapo gelang ihm die Flucht nach Frankreich, wo er die Kriegsjahre überlebte.

Seine Sonate für Geige und Klavier von 1949 aber blieb unveröffentlicht. Für die Ersteinspielung des Werks, die der Pianist Vladimir Stoupel und die Geigerin Judith Ingolfsson jetzt beim Label Oehms Classics herausbringen, wurde ihnen von den Erben das Notenmanuskript zur Verfügung gestellt.

Bei einem Gesprächskonzert mit dem Musikwissenschaftler und -kritiker Clemens Goldberg in der Mendelssohn-Remise am Gendarmenmarkt präsentieren die beiden Künstler am Samstag die neue CD, die außerdem zwei Sonaten enthält, die 1925 in Berlin entstanden sind: von Karol Rathaus sowie vom damals hochgeschätzten, heute selbst unter Kennern unbekannten Heinz Tiessen.

Die Musikszene der Weimarer Republik war vielfältig

Im Rahmen der Konzertreihe „musica reanimata“, die sich seit 1990 unter Leitung von Albrecht Dümling für die Wiederentdeckung NS-verfolgter Komponisten einsetzt, haben Ingolfsson und Stoupel die beiden Kompositionen von Arma und Tiessen bereits live gespielt. Wie enorm vielgestaltig die Musikszene der Weimarer Republik war, wird nun auch auf dem Album in ihren ebenso stilistisch souveränen wie leidenschaftlichen Interpretationen deutlich.

Mit dem Schlagwort „expressionistisch“ lassen sich alle drei Stück fassen, die Klangfarben sind zumeist dunkel, die Stimmungen suggestiv, oft schmerzlich. Doch jeder Komponist gibt dem intensiven Zwiegespräch von Geige und Klavier seine individuelle Prägung. Karol Rathaus ist ein eloquenter Erzähler, Paul Arma generiert Energie aus ritualhaft ruhiger Bewegung. Heinz Tiessens Klangsprache ist der Tradition am stärksten verhaftet, er schwingt sich auch mal aufs ins Schwelgerische, sein Puls schlägt aber dennoch stets stark und schnell, im modernen Großstadtrhythmus.

[Weitere Infos zum Festival: www.mendelssohn-remise.de]

Die Mendelssohn-Remise, die ja eigentlich als Museum die Geschichte einer der bedeutendsten Berliner Familien erzählt, überrascht bei der CD-Präsentation einmal mehr durch ihre gute Akustik. Sie wird ab dem 16. August auch Spielort des „Last Rose of Summer“-Festival von Vladimir Stoupel und Judith Ingolfsson sein.

Die Lunchkonzert-Reihe bietet eine konzertante Aufführung von Rimski-Korsakows Mini-Oper „Mozart und Salieri“, ein Liedprogramm für Sopran, Violine und Klavier, eine Hommage an den vor 100 Jahren verstorbenen Astor Piazzolla mit dem Saxophonquartett „Clair Obscur“, einen irischen Tag mit dem Cellisten Killian White und dem Pianisten Itai Navon sowie einen österreichischen Tag mit Werken von Mozart, Zemlinsky und den „Schubert-Paraphrasen“ von Maximilian Kreuz.

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