zum Hauptinhalt
Geist sucht Bühne. Jacques Offenbachs Werke sind rar geworden an den Musiktheatern.

© formdusche.de

Jubiläen von Offenbach und Beethoven: Liberté, Egalité, Marketingidee

Die Musikwelt bereitet Komponisten-Jubiläen vor: den 200. Geburtstag von Jacques Offenbach in diesem Jahr und den 250. von Ludwig van Beethoven 2020.

Da haben sie mit rheinischem Frohsinn aber ganz schön tief in die Kalauerkiste gegriffen: „Yes, We Can Can“ lautet der Slogan, mit dem die Kölner 2019 den 200. Geburtstag von Jacques Offenbach feiern. Der ist dort zwar bis zu seinem 14. Lebensjahr aufgewachsen, wurde dann aber in Paris zum Star der Belle Époque und hatte mit der deutschen Domstadt nicht mehr viel Hut. Doch so ein rundes Jubiläum können sich Stadtmarketingleute natürlich nicht durch die Lappen gehen lassen. Zumal dieser Komponist ein uneingeschränkt positives Image hat. Er gilt ja nicht nur als Erfinder der musikalischen Sozialsatire, sondern hat das belächelte Unterhaltungsgenre der Operette auch auf seinen Gipfelpunkt geführt – weil er geistreicher war, frecher, spontaner und elegant-lässiger als seine späteren Konkurrenten Johann Strauß und Franz Lehar.

Der witzige Kölner Werbespruch hat nur einen kleinen Fehler: Er funktioniert lediglich in geschriebener Form. Jeder Versuch, ihn auszusprechen, muss in einem franko-englischen Kauderwelsch enden. Weil kaum zu entscheiden ist, ob man nun den wirbelnd-erotischen Tanz Cancan korrekt aussprechen soll – oder eben gerade nicht, weil dann ja das Obama-Zitat kaputtgeht.

Immerhin, der Slogan ist auf Augenhöhe mit dem Wortspielniveau der Offenbach’schen Operetten. Ganz im Gegensatz zum Motto für die Beethoven-Feierlichkeiten 2020. BTHVN haben sich die Veranstalter von der Werbeagentur Jung von Matt nämlich als Signet aufschwatzen lassen. So etwas können Menschen erfinden, die mit den Augen denken – oder so taub sind wie der Komponist am Ende seines Lebens. Für jeden, der offene Ohren hat, wirkt dieses Logo ohne Vokal nicht nur irgendwo kahl, sondern total tonlos. Und darum genauso attraktiv wie geschriebene Noten, die niemand durch Musizieren zum Leben erweckt.

Die Slogans lauten „Yes, We Can Can“ oder BTHVN

Ein Vollflop. Und das, wo die Bundesregierung Ludwigs 250. Geburtstag zur nationalen Aufgabe erklärt hat und sich dazu sogar in der Koalitionsvereinbarung zwischen SPD, CDU und CSU ein Passus findet. Weil das Ereignis „herausragende Chancen“ für die Darstellung der „Kulturnation Deutschland im In- und Ausland“ biete. Frd, schnr Gttrfnkn, möchte man da mit Schiller stottern.

Mittlerweile betreibt die Beethoven Jubiläums Gesellschaft mbH Schadensbegrenzung und schlägt vor, den Konsonanten-Cluster so zu übersetzen: B wie Bürger, T wie Tonkünstler, H wie Humanist und V wie Visionär. Superkreativ soll auch das „Pastoral Project“ werden, bei dem rund um den Globus Künstlerinnen und Künstler Beethovens 6. Sinfonie „mit dem Schutz der Natur verknüpfen“ sollen. Am Weltumwelttag der Vereinten Nationen 2020 werden sie ihre Auseinandersetzungen mit dem Stück „erlebbar machen“. Gefördert von der Musikprojektplattform Forum Esslingen arbeiten zudem zwölf Fellows unter dem Hashtag #bebeethoven daran, zur Birthday-Party so revolutionär zu sein wie ihr großes Vorbild.

Auch wenn man die Feste feiern soll, wie sie fallen: Ludwig van Beethoven hat es wahrlich nicht nötig, in den Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit gerückt zu werden. Denn da steht er sowieso schon. Alle seine relevanten Werke – und davon gibt es jede Menge – sind ununterbrochen im Musikbetrieb präsent. Bei Jacques Offenbach sieht das schon anders aus. Seine Bühnenstücke finden sich nur noch selten in den Spielplänen der Opernhäuser. Weil ihr einst so explosiver Inhalt mittlerweile nicht mehr recht zündet.

Beethovens Kunst ist zeitlos, Offenbachs dagegen Zeitkunst

In Berlin haben sich in den letzten Jahren renommierte Regisseure um den „kleinen Mozart von den Champs-Élysées“, wie ihn Gioacchino Rossini nannte, bemüht. Mit sehr mäßigem Erfolg. Erinnert sich noch jemand an Nicolas Stemanns moralinsaure „Périchole“ an der Komischen Oper von 2010? Am selben Haus war Barrie Koskys „Schöne Helena“ 2014 eine Angelegenheit von hektischer Heiterkeit, die verkopfte Produktion des „Blaubart“, mit der sich Stefan Herheim im vergangenen Jahr an der legendären Felsenstein-Inszenierung abarbeitete, wurde dort mittlerweile stillschweigend entsorgt.

„Zweieinhalb Mal gelacht an diesem Abend, mit viel gutem Willen“, kommentierte Christine Lemke-Matwey 2011 im Tagesspiegel Philipp Stölzls „Orpheus in der Unterwelt“ an der Staatsoper. Die Deutsche Oper wiederum hat sich seit Götz Friedrichs 1983er „Orpheus“ an keinen Offenbach mehr gewagt. Richtig gut funktionierte 2012 die Verlegung des „Pariser Leben“ ins heutige Berlin an der Neuköllner Oper, gar nicht die Novoflot-Version desselben Stück im Jahr zuvor.

Während Beethovens Oeuvre von zeitloser Schönheit und Relevanz ist, lassen sich die Offenbachiaden zunehmend schwerer zum Leben erwecken. Den Militarismus, den der Komponist gerne ins Lächerliche zog, gibt es in dieser Form nicht mehr. Die Aristokratie hat ihre gesellschaftliche Vormachtstellung verloren und die Anspielungen in den Antikenparodien vermag kaum noch jemand zu entschlüsseln. Es fehlt also der leicht zu identifizierende Feind, den es mit den Waffen des Geistes zu besiegen gilt.

120 Bühnenwerke hat Offenbach hinterlassen

Offenbach selber ging es übrigens ähnlich: Solange Napoleon III. im Amt war, befeuerte die Beobachtung des dekadenten Treibens am Hofe und in der Pariser High Society die Fantasie des Komponisten und seinen Librettisten. Ihre Stücke, in denen die Mächtigen sich prächtig amüsierten, hatten eine ähnlich systemzersetzende Wirkung wie die Liebesarbeit der Kurtisanen, die reihenweise Adlige und Geldadlige in den Ruin trieben. Doch kaum hatte der Kaiser abgedankt, war auch die Glanzzeit der käuflichen Damen wie der frivolen Sozialsatiren vorbei. Die bürgerlichen Kreise, die nun den Ton angaben, achteten streng auf Anstand und Moral.

Offenbach flüchtete sich ins Genre der Märchenstücke, der „Féerien“, die vor allem durch ihren Ausstattungspomp beeindruckten. Zum Beispiel mit „Le roi Carotte“. Als das Opus 2016 an der Opéra de Lyon ausgegraben wurde, war ein putziges Treiben um eine zum König gekrönte Möhre zu erleben – aber leider auch eine wenig inspirierte, nach Schema F komponierte Musik zu hören.

120 Bühnenwerke hat Offenbach hinterlassen, seit 1999 kümmert sich der Verlag Boosey & Hawkes mit der Edition Keck darum, dass die Theater verlässliche Partiturausgaben ausleihen können. Gerade hatte „Barkouf“ Premiere in Lyon – hier ist es ein Hund, der unversehens den Thron besteigen darf. Das Theater für Niedersachsen in Hildesheim nahm sich der „Princesse de Trébizonde“ an, „Maitre Péronilla“ wird im Sommer im Pariser Theatre des Champs-Élysées herauskommen, „Vert-Vert“ und „Le Chateau à Toto“ liegen auf CD vor.

In Berlin sind aktuell keine Neuinszenierungen geplant

Vielleicht ist es mittlerweile doch ergiebiger, die andere, die seriösere Seite des Komponisten zu beleuchten. „Hoffmanns Erzählungen“, sein großes Schmerzenskind, mit dem er endlich auch im Bereich der ernsten Musik reüssieren wollte, hat als Psychodrama bis heute nichts von seiner Faszination verloren, wie jetzt gerade wieder an der Deutschen Oper zu erleben ist. In diese romantische Richtung zielen ästhetisch auch „Les Fées du Rhin“, Offenbachs einzige durchkomponierte Oper von 1864, sowie „Fantasio“, die von einem Studenten handelt, der ins Kostüm des Hofnarren schlüpft, um eine Prinzessin vor einer politisch eingefädelten Ehe zu retten. Getragen wird „Fantasio“ von einer Musik, die so intim und empfindsam ist, dass das Publikum 2014 bei der Berliner Erstaufführung in der Komischen Oper aus dem Staunen gar nicht herauskam.

„Fantasio“ wird genau zum 200. Geburtstag im Juni auch im Rahmen des Kölner „Yes, We Can Can“-Programm aufgeführt. In Berlin sind dagegen bis zum Ende der Saison 2018/19 keine Offenbach-Neuinszenierungen geplant, aber bei den Musikfestspielen Potsdam Sanssouci wird es am 9. 6. 2019 eine Open-Air-Offenbachiade vor dem Neuen Palais mit der großartigen Mezzosopranistin Vesselina Kasarova geben.

Infos zum Offenbach-Jahr unter www.yeswecancan.koeln, zum Beethoven- Jubiläum unter www.bthvn2020.de. Die Deutsche Oper spielt am 5., 9. und 12. Januar „Les Contes d’Hoffmann“.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false