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Joyce Carol Oates

© epd

Joyce Carol Oates wird 80: Die Versteckspielerin

„Pik Bube“: Joyce Carol Oates feiert ihren 80. mit einem neuen Roman.

Andrew J. Rush ist der nette Schriftsteller von nebenan. Er lebt in einem liebevoll restaurierten Haus in Harbourton, New Jersey, und schreibt geschmackvolle Krimis, die sich ausgesprochen gut verkaufen. Doch Rush hat noch eine andere Seite: Als Gegengewicht zur routinierten Harmlosigkeit seiner Bestseller verfasst er unter dem Pseudonym „Pik-Bube“ extrem brutale „pulp fiction“ – die ihm selbst so unangenehm ist, dass er sie sogar gegenüber Frau und Tochter verheimlicht. Dieses sorgsam austarierte Produktionsmodell hat jahrelang gut funktioniert. Dann bekommt Rush eine Vorladung zu einem Gerichtstermin: Eine ältere Dame beschuldigt ihn, ein Plagiat begangen zu haben. Die Vorwürfe sind völlig aus der Luft gegriffen, aber die Fassade des freundlichen Erfolgsschriftstellers bekommt einen Riss. Während Rush noch überlegt, ob er einen Anwalt hinzuziehen soll, meldet sich die Stimme seines Alter Egos zu Wort. „Bring sie einfach um“, flüstert ihm Pik-Bube ins Ohr: „Sie stirbt, und du bist außer Gefahr.“

Unüberschaubares Erzählwerk

„Pik-Bube“ ist der neue Roman der amerikanischen Schriftstellerin Joyce Carol Oates, die an diesem Samstag 80 Jahre alt wird. Wie die unterschiedlichen Arbeiten ihres jüngsten Helden hat das fast unüberschaubare Erzählwerk von Oates zwei Seiten. Zunächst gibt es da die breit auserzählten Gesellschaftsromane und Familientragödien, die große, amerikanische Themen aufgreifen: Rassismus und Ungleichheit, so wie „Jene“, ein Roman von 1970, sexuelle Identität, wie 2004 in „Sexy“, oder sexueller Missbrauch, wie 1996 in „Wir waren die Mulvaneys“.

Auf der Veröffentlichungsliste von Joyce Carol Oates findet sich aber auch viel Genre, Krimi, Horror, Mystery. Am bekanntesten ist hierzulande wohl der Thriller „Zombie“, dessen Handlung auf dem Leben des Serienkillers Jeffrey Dahmer beruht. Oates, die literarisch fest im 19. Jahrhundert verwurzelt ist, nimmt bei diesen Ausflügen auf die Nachtseite der menschlichen Seele gern Anleihen bei der „gothic novel“. Auch das Doppelgängermotiv in „Pik-Bube“ stammt aus dem Werkzeugkasten jener Epoche: Rush und sein dämonisches Alter Ego Pik-Bube sind zunächst einmal Wiedergänger von Henry Jekyll und Edward Hyde.

Anstoß für den Roman lieferte allerdings eine Episode aus dem Alltag der Autorin. Vor gut fünfzehn Jahren zog Oates nach Princeton, New Jersey. Kaum hatte sie sich in der Stadt niedergelassen, wurde sie vor Gericht geladen. Eine gewisse Anne Hiltner beschuldigte die Schriftstellerin, in ihr Haus eingebrochen zu sein und Details ihrer Biografie in ihren Romanen verwendet zu haben.

Der Autor mordet

Schnell stellte sich heraus, dass Hiltner ähnliche Vorwürfe schon gegenüber Norman Mailer und John Updike erhoben hatte – und dass im Mittelpunkt ihres Feldzugs ausgerechnet Stephen King stand. Zu einem Urteil kam es nie, und irgendwann entschloss Oates sich, aus der Angelegenheit einen Roman zu machen – in dem ein Schriftsteller durch Plagiatsvorwürfe aus der Bahn geworfen und zum Mörder wird.

Das Ganze ist ausgesprochen amüsant, auch weil die heimliche Hauptrolle in „Pik-Bube“ an Stephen King fällt. Andrew J. Rush – wie viel Joyce Carol Oates steckt wohl in ihm? – leidet darunter, dass er von Kritikern als „Stephen King für Bildungsbürger“ bezeichnet wird. Neidisch schielt er auf die Verkaufszahlen des Konkurrenten, und seine Entscheidung, sich ein Pseudonym zuzulegen, hat seinen Grund darin, dass King eine Zeit lang als „Richard Bachmann“ veröffentlicht hat.

Als Rush mit den Plagiatsvorwürfen konfrontiert wird und die Stimme seines dämonischen Alter Egos immer lauter wird, nimmt diese Identifikation obsessive Züge an: Rush gibt Kings Namen an, als er in einem Krankenhaus Erkundigungen über die Klägerin einholt und fälscht sogar eine Widmung in einem Exemplar von Kings Roman „Misery“, um die verwirrte Frau weiter in den Wahnsinn zu treiben: „Ihr Freund und aufrichtiger Bewunderer Steve King. Bangor, Maine“.

Pseudonym mit Eigenleben

Aufrichtige Bewunderung empfindet offenbar vor allem Oates für Stephen King. „Pik-Bube“ ist eine augenzwinkernde Hommage an den Kollegen, und die elegante Pointe dieses schmalen Romans besteht darin, dass King nicht nur als Figur auftaucht, sondern frech bestohlen wird. Das Grundgerüst der Geschichte von einem Schriftsteller und dessen Pseudonym mit blutigem Eigenleben ist Kings Roman „Stark - The Dark Half“ entnommen; der Einfall, dass ein Schriftsteller auf beunruhigende Art und Weise mit dem Vorwurf des geistigen Diebstahls konfrontiert wird, stammt – inklusive getöteter Katze! – aus Kings Erzählung „Das heimliche Fenster, der heimliche Garten“, und wenn Rush als Pik-Bube seine Widersacherin mit einem Beil eingreift, ist das eine Szene aus..., genau, darauf sind Sie natürlich schon selbst gekommen. Joyce Carol Oates Roman „Pik-Bube“, der auf einen Plagiatsfall beruht, ist also selbst ein kleines Plagiat. Im Alter von 80 Jahren und nach mehr als 50 Romanen darf man sich das wohl erlauben.

Joyce Carol Oates: Pik Bube. Roman. Übersetzt von Frauke Cwikla. Droemer, München 2018. 208 Seiten, 19, 99 €.

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