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Auf dem Boulevard der Sehnsüchte. Szene aus „Hannah und ihre Schwestern“ mit Mia Farrow und Woody Allen.

© Imago

Joshua Ferris’ neuer Erzählungsband: Auf Woody Allens Spuren

Anleitung zum Unglücklichsein: In der Kurzgeschichtensammlung „Männer, die sich schlecht benehmen“ erzählt Joshua Ferris von Großstadtneurotikern und anderen Narzissten.

Nach langen Wintertagen liegt plötzlich eine erste Frühlingsbrise in der Luft – und elektrisiert Sarah. „Jay, was machen wir heute Abend?“, fragt sie ihren Mann voller Erwartung, doch ist dessen Antwort nicht gerade das, was Frau hören will: „Ist mir gleich“. In seiner Kurzgeschichte „Die Brise“ lässt Joshua Ferris seine Hauptfiguren an diesem Abend praktisch sämtliche Optionen ausschöpfen, die für ein New Yorker Mittelschichtspärchen offenstehen: Sarah und Jay treffen sich mit Freunden im Biergarten oder gehen essen bei einem angesagten Italiener, sie fahren ins 35. Obergeschoss eines Hotels, um in der Lounge die Aussicht zu genießen, sie picknicken im Central Park oder bewundern von der Brooklyn Bridge aus den Sonnenuntergang – oder sie schauen sich einfach nur (sein Vorschlag natürlich) die neueste Superhelden-Fortsetzung im Kino an.

Was das Paar nun tatsächlich tut oder nicht – auch Zuhausebleiben ist eine Möglichkeit –, lässt die Geschichte jedoch offen. Denn all diese Varianten sind alternative Realitätsabläufe, die Ferris neben- und durcheinander erzählt. Und praktisch jede Version endet kläglich, vom Streit gleich in der Subway über die „Implosion einer weiteren Paarbeziehung“ vor den Augen der verdutzten Freunde bis hin zum Sexversuch hinter ein paar Büschen, der mit einem tröstenden Kopftätscheln für Jay endet.

Oszillieren zwischen Komödie und Tragödie

Vom klassischen Luxusproblem aller Bewohner der modernen Multioptionsgesellschaft sind auch andere von Ferris’ Figuren betroffen. Doch „Die Brise“ ist die formal anspruchsvollste der elf Kurzgeschichten, die Joshua Ferris in seinem ersten Storyband vorlegt. Die übrigen sind eher straight erzählt, doch stets sorgfältig konstruiert. Eine präzise Beobachtung seiner Protagonisten – meist wohlsituierte Großstadtneurotiker in fragilen Beziehungen – zeichnet diese Texte ebenso aus wie ein an Woody Allen erinnerndes Oszillieren zwischen Komödie und Tragödie. Letzteres kennt man von dem 44-jährigen Wahl-New-Yorker seit seinem Debütroman, der Angestelltenfarce „Wir waren unsterblich“ (2007).

Motive aus diesem Roman finden sich auch in einigen seiner Kurzgeschichten, etwa in „Verlassenheit (Oder: Was war bloß mit Joe Pope los?)“, in der besagter Joe abends in seinem Büro einfach sitzen bleibt. Erst beobachtet er mit einem Fernglas den allabendlich zurück in die Vororte gepumpten Angestelltenstrom. Dann spricht er seiner verheirateten, schwangeren Kollegin lange unterdrückte Liebesbotschaften aufs Band, ehe ihm dämmert, dass er damit wohl seine Karriere bei dieser Firma ruiniert hat – um in einem Akt von fatalistischer Selbstzerstörung die Büros weiterer Kollegen auf eigenwillige Weise „umzudekorieren“.

Überforderte Feiglinge

Wie der deutsche Titel des Bandes schon verrät, sind in Ferris’ Kurzgeschichten in der Regel die Männer das Problem. Echte „Monster“, wie es einmal heißt, sind jedoch nur wenige von ihnen; die meisten sind gewöhnliche Narzissten und Feiglinge, die im Zwischenmenschlichen überfordert sind und darum fatale Entscheidungen treffen. In „Die Dinnerparty“ erzeugt Ferris den Eindruck, das im Mittelpunkt stehende Ehepaar stünde sich besonders nahe. Tatsächlich ist Amys Schlagfertigkeit nur Ausdruck ihrer Verzweiflung. „Ich kann dir jetzt schon sagen, wie der Abend ablaufen wird, und zwar von dem Moment an, wo sie hier durch die Tür kommen, bis hin zum Abschiedsbussi“, meckert der Egozentriker über den anstehenden Besuch von Amys bester Freundin – ohne zu ahnen, wie gründlich er sich im Ablauf dieses Abends täuschen wird.

Auch Tom wird kalt erwischt, als ihn seine Frau Sophie auf dem Weg zum Abendessen mit ihren Eltern mitten in Manhattan einfach stehen lässt, nachdem sie in der Subway zufällig seine Geliebte erkannt hat. „Im Lauf des Abends“, so der Titel, verliert Tom, sonst stolz auf die kreative Nutzung seiner Mittagspausen („In der einen Minute befand er sich noch in seinem Büro im 18. Stock, dann – whoosh! – war er in Melissas zerwühltem Bett.“), nicht nur seine Frau, sondern auch die Geliebte, sein Geld und letztlich seine soziale Existenz.

Das Handy als Quelle des Unglücks

Symptomatisch für die Hilflosigkeit, mit der Ferris’ Antihelden auf die ihnen begegnenden Unbilden reagieren, ist dabei der Spruch, mit dem Tom gegenüber seinen Schwiegereltern Sophies Ausbleiben zu erklären versucht: „Es hat wohl eine Art Fehlkommunikation gegeben“. Die gibt es zwischen Männern und Frauen in Ferris’ Storys letztlich dauernd, nicht zuletzt aufgrund der allgegenwärtigen Handys, Quellen von Chaos und Unglück wie in Daniel Kehlmanns Episodenroman „Ruhm“. Einem frisch verwitweten Rentner, der so lange in Einsamkeit und Selbstmitleid versinkt, bis ihn der Beinahe-Herztod bei einer Prostituierten wieder zum Leben erweckt, legt Ferris die Worte in den Mund: „Sie geben dir eben keine Betriebsanleitung“.

Joshua Ferris: Männer, die sich schlecht benehmen. Storys. A. d. Amerikanischen von Marcus Ingendaay. München, Luchterhand Literaturverlag, 2018. 288 S., 20 €.

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