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Reden, reden, reden. Joseph Beuys, vermutlich 1974 in New York.

© SMB, Sammlung Marzona

Joseph Beuys im Hamburger Bahnhof: Ja, Ja, Ja, Nee, Nee, Nee

Der Hamburger Bahnhof untersucht zum 100. Geburtstag von Beuys die Sprache in seinem Werk.

Nordrhein-Westfalen feiert seit Ende März mit einem Festival an Ausstellungen, Screenings, Vorträgen das Beuys-Jubiläum, den 100. Geburtstag des Künstlers. Pünktlich zur Wiedereröffnung der Museen kommt nun auch der Hamburger Bahnhof hinterher, der sich rühmt, durch den Sammler Erich Marx den größten Beuys-Bestand zu besitzen.

Bei all den aktuellen Exegesen, Spezialuntersuchungen, Sonderausstellungen ist es nicht leicht, ein eigenes Thema zu setzen, vor allem dem Vergleich mit der Retrospektive von 2008 standzuhalten, die den gesamten Hamburger Bahnhof einnahm.

Mit der Schau „Von der Sprache aus“, (bis 19. 9.; Di bis Fr 10 – 18 Uhr, Sa/So 11 – 18 Uhr) die fast ausschließlich aus den Beständen von Neuer Nationalgalerie, Kupferstichkabinett und Kunstbibliothek schöpft, ist das gelungen.

Der Besucher begibt sich auf eine Reise durch den Kosmos Beuys und entdeckt Neues, gewinnt überraschende Erkenntnisse zu einem Künstler, den man als wichtigsten deutschen Vertreter der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu kennen glaubte.

Großer Redner und Performer

Die Sprache bei Beuys haben sich zwar schon andere vorgenommen, doch wie Kuratorin Nina Schallenberg die Kapitel des Parcours hintereinanderfügt, entsteht ein spannendes Zwiegespräch mit einem abwesenden Partner, von dem es eigentlich immer hieß, sein Werk sei leblos ohne ihn.

Beuys – das ist der große Redner, der Performer, der schnarrende Laute ins Mikrofon krächzt, der unermüdliche Diskutant und Belehrer, der seine Weltsicht mit Kreide auf Schiefertafeln krickelt, der Schweiger, der einem toten Hasen die Kunst erklärt, während das Galeriepublikum sich draußen die Nase an der Scheibe plattdrückt.

Mit Beuys lässt sich die Entwicklung des menschlichen Sprechens durchlaufen, vom Laut zum Wort zur Rede. Schallenberg aber geht den umgekehrten Weg. Sie setzt Beuys’ Vortrag in den Münchner Kammerspielen an den Anfang, eine seiner letzten öffentlichen Reden vor seinem Tod zwei Monate später am 23. Januar 1986 in Düsseldorf.

Es fehlen klare Worte

Im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Reden über das eigene Land: Deutschland“ erklärte er damals deutlicher als irgendwo sonst: „Mein Weg ging durch die Sprache, so sonderbar es ist, er ging nicht von der sogenannten bildnerischen Begabung aus.“

Die Ausstellung holt aus seinen plastischen Werken nun so viel wie möglich an Sagbarem heraus.

Nur hätte man sich gerade als Auftakt mehr Antworten als Fragen gewünscht zu den seltsamen Formulierungen in der Münchner Rede. Darin spricht der Künstler wolkig von „im Rassistischen treibenden Umtriebe(n), schrecklichen Sünden, nicht zu beschreibenden schwarzen Male(n)“, die durch eine ursprüngliche Sprache überwunden werden könnten.

Angesichts der im Jubiläumsjahr wieder aufgetauchten Vorwürfe, Beuys habe die NS-Ideologie nie ganz abgelegt, fehlt hier ein klares Wort.

Eine frühe Zeichnung von 1953 zeigt, womit für ihn alles beginnt. Einem zarten mädchenhaften Kopf entweicht durch den Mund eine gewaltige Blase. Das Wort ist in der Welt. Bei genauerem Hinsehen entdeckt man im Inneren des Mädchenhalses eine kleine pustende Figur.

Filz verschluckt Töne

Sie könnte die Versinnbildlichung des Kehlkopfes oder Sprachzentrums sein, wo Gedanken zu Gesagtem werden. Beuys studierte damals Rudolf Steiner, der die deutsche Sprache mit einem Bildhauer verglich, der etwas in den Raum formt. Bei Beuys wurden daraus gewaltige Environments.

Im Laufe der Zeit drängte bei ihm immer mehr das Reden nach vorn, die Politik. In der Münchner Rede bezeichnet er Sprache als Mittel, die Welt zu verändern.

Dabei hat Beuys immer wieder Haken geschlagen. Eines seiner Hauptmaterialien, der Filz, dient nicht nur der Wärme-Isolierung, sondern vermag auch jeden Ton zu verschlucken. In einer der sieben Filzrollen, die an der Wand hängen, steckt ein Speer. Hier ist Filz Bollwerk, Verteidigung. Das enigmatische Exponat stellt eine Verbindung zum „Ende des 20. Jahrhunderts“ her, das aus 21 Basaltstelen besteht. Auch hier gibt es Verletzungen. Die Bohrlöcher in den Steinen wurden mit Filz und Fett wieder verschlossen. Kein Ton kann entweichen, sollte es darin klingen. Fast frivol wirkt im Raum mit diesem pathetischen Ensemble das unvermeidliche Video von Beuys’ Auftritt als ungelenker Popsänger mit dem Song „Sonne statt Regen“. Kokett wirbelt der Künstler das Mikro durch die Luft.

Was steckt bloß im Block?

Vom Buchstaben bis zum Babylaut, der Kindersprache, nahm er jede Artikulation ernst. In „Coyote III“, einer Performance mit Nam June Paik, der Debussy spielt, röhrt Beuys animalisch „Öhhhhh“ ins Mikrofon. Der Flügel, den er sich für das Konzert anliefern ließ, bleibt unberührt.

Auch die kindliche Worterfindung seines Sohnes Wenzel „Akopee“ für Einkaufen findet Eingang in einen Werktitel. Beuys populärste Soundperformance, die Aktion „Ja, Ja, Ja, Ja, Nee, Nee, Nee, Nee“, dröhnt durch den Raum mit den gewaltigen weißlichen Fettbrocken. Ihr kryptischer Titel „Unschlitt“ sagt im Altdeutschen wörtlich, woraus sie gemacht sind: schlicht Rindertalg.

Beuys verstand es, sowohl Geheimnisse offenzulegen als auch Mysterien zu produzieren. „The secret block for a secret person in Ireland“, sein berühmtestes Konvolut an Zeichnungen, das endlich wieder zu sehen ist, trägt den Begriff im Titel. Geheim war dieser Block nur, weil die 456 Blätter jahrelang übereinandergestapelt, nicht einsehbar waren.

Seit Erich Marx’ Ankauf liegen sie offen zutage; rätselhaft bleibt weiterhin, wer der geheimnisvolle Adressat in Irland einst war. „Make the secrets productive“, schrieb Beuys auf eine seiner Tafeln. Mit seinen nebulösen Lebensläufen machte er es vor, darin gerieten Zahlen und die Wahrheit schon mal kreativ durcheinander. Der 100. Geburtstag als Datum aber steht für die Nachwelt fest.

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