zum Hauptinhalt
Im Geist von Thomas Bernhard. Der österreichische Schriftsteller und Büchner-Preisträger Josef Winkler, 65.

© imago/Rudolf Gigler

Josef Winkler und seine Heimatliteratur: Gift auf dem Gelände

"Lass dich heimgeigen": Der Büchner-Preisträger Josef Winkler setzt seiner Kärntner Heimat ein weiteres Romandenkmal.

Am 24. April 2018 hielt der Schriftsteller Josef Winkler beim Festakt zum 500-jährigen Bestehen der Stadt Klagenfurt eine Rede, in der er, nicht zum ersten Mal, die Forderung aufstellte, man möge die Urne des 2008 verunglückten ehemaligen Kärntner Landeshauptmannes Jörg Haider in eine bewachte Gefängniszelle verlegen.

Daraufhin verließen die Vertreter der FPÖ den Saal und sprachen anschließend von einer Geschmacklosigkeit. Damit dürften sie sogar Recht haben; überraschend war eher, dass mancher sich überrascht zeigte von Winklers Worten, die eine Reaktion waren auf den Vorwurf, er sei ein Kärnten-Hasser. Das lässt der gebürtige Kärntner Winkler, der seit mehr als einem halben Jahrhundert dort lebt, sich nicht sagen, schon gar nicht von der FPÖ. Und es ist auch nicht das erste Mal, dass Winkler die FPÖ-Ikone Haider öffentlich heimgegeigt hat.

„Heimgeigen“, das ist eine dialektale Umschreibung für den Vorgang, jemanden mit Schimpf und Schande aus dem Haus zu jagen. Josef Winklers neues Buch „Laß dich heimgeigen, Vater, oder Den Tod ins Herz mir schreibe“ (der zweite Teil ist ein Zitat aus einem Gebet an einen Schutzengel) ist die überarbeitete Prosafassung eines Theaterstückes, das im vergangenen Jahr am Wiener Burgtheater Premiere hatte. Der Text versammelt die Grundmotive des Winkler’schen Schreibens in der ebenfalls erprobten litaneienhaften Organisation: den Vater, den Katholizismus, die bäuerliche Herkunft, den Nationalsozialismus und vor allem immer wieder den Tod und das Sterben in all ihren Erscheinungsformen.

Doch der Nährboden dieses in seiner Obsession und seiner Sprachgewalt mitreißenden Buches ist im buchstäblichen Sinne der Kärntner Massenmörder Odilo Globocnik, dessen Zitat „Zwei Millionen ham’ma erledigt“ wie ein böser Refrain durch den Text schallt.

Mantel des Schweigens

Globocnik war im Nationalsozialismus Leiter der so genannten „Aktion Reinhardt“ und als solcher verantwortlich für mehrere Konzentrationslager, darunter das KZ Treblinka. Nach seiner Gefangennahme durch britische Truppen tötete Globocnik sich im Mai 1945 durch eine Giftkapsel und wurde von britischen Soldaten auf dem „Sautrattn“, einem Gemeinschaftsfeld in der Nähe von Josef Winklers Geburtsort Kamering, anonym begraben. Dieser Sautrattn, auf dem nicht nur Winklers Vater, sondern alle Bauern des Dorfes den Weizen, den Roggen und den Mais anbauten, das Getreide, aus dem das Brot gebacken wurde, ist einer der Hauptschauplätze von Winklers Buch. Ein symbolischer Ort, der beweist, dass alles, was hier in der Nachkriegszeit erblüht und entstanden ist, auf kontaminiertem Gelände gewachsen ist. Und dass die Generationen, die davon wussten, einen Mantel des Schweigens über die Verbrechen des Krieges gebreitet haben.

Das ist als Erkenntnis selbstverständlich nicht neu. Aber die Art und Weise, wie Josef Winkler diesen Stoff sprachlich zu fassen bekommt, ist getragen von einem unverwechselbaren Furor und, nicht zu übersehen, von großem Schmerz.

Winkler selbst hat erst 2013 erfahren, dass Globocnik auf dem Sautrattn verscharrt wurde. Winklers Vater, der Mitte der Nullerjahre im Alter von 99 Jahren gestorben ist (und dem Winkler in „Roppongi“ ein literarisches Requiem geschrieben hat), hat davon gewusst, aber nie etwas erzählt. Und wie alle Bücher Winklers ist auch das neue Buch zugleich eine Anklage und der Versuch einer Zuneigungsergatterung. Es sind harte, schwer zu ertragende und gleichzeitig virtuose Szenen, die Winkler schreibt. Ganz gleich, wohin man schaut in dieser Welt – sie ist dunkel, aufgeladen mit Schuldgefühlen und Scham. Der Sohn, der vom Vater blutig geprügelt wird und dabei hofft, der Vater möge sein Blut auffangen, um ihn zu erlösen, schreibt mit knapp 30 Jahren sein erstes Buch. Über das Dorf, versteht sich. Er, der Bauernsohn, hat seine Sprache gefunden und dann wieder verloren, kehrt ins Dorf zurück, eingestandenermaßen, um neuen Stoff zu finden und wird angefeindet von der Bevölkerung als Verräter.

Wenn man Winklers Texte neben die von Thomas Bernhard, des berühmtesten österreichischen Heimat- und Anti-Heimatdichters stellt, so fällt auf, dass Winkler im Vergleich jegliche Koketterie abgeht. Die Sprache ist kein gut funktionierendes, vor sich hinratterndes Maschinchen, sondern ein zwar kunstvoll beherrschtes, aber den Umständen abgerungenes Instrument, mit dessen Hilfe ein Ich sich selbst aufschreibt und damit überhaupt erst erschreibt.

„Er hat das Dorf kaputtgeschrieben“, rufen sie ihm hinterher. Das Gegenteil ist der Fall: All die aufgebahrten Toten, um die die Fliegen kreisen; all die SS-Onkel, die nach dem Krieg nur am Schreibtisch gesessen haben wollen; die verstummte Mutter, die Selbstmörder, die Verzweifelten und die Bösartigen – Winkler schreibt sie nicht kaputt, er umkreist ihre Existenzen und macht sie dadurch erst wirklich sichtbar.

Josef Winkler: Lass dich heimgeigen, Vater, oder Den Tod ins Herz mir schreibe. Suhrkamp Verlag, Berlin 2018. 200 Seiten, 22 €.

Zur Startseite