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Jordi Savall bei einem Auftritt in Brüssel.

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Jordi Savall im Kammermusiksaal: Kunstmusik und Folklore müssen kein Widerspruch sein

Der spanische Gambensuperstar Jordi Savall im Kammermusiksaal weiß, wie man auch mit Schätzen aus entlegensten Winkeln ein Programm macht, das das Publikum begeistert.

Alte Musik des 16. und 17. Jahrhunderts aus Spanien und Lateinamerika im philharmonischen Kammermusiksaal an einem Montagabend – das klingt nach zahlreichen leeren Reihen. Weit gefehlt: Kommt Jordi Savall, lauert eine Hoffnungswartegemeinschaft an der Abendkasse auf nicht eingelöste Reservierungen. Die Überraschung währt nur kurz, denn der hochdekorierte Gambensuperstar, mit Ehren überschüttet und an 230 CD-Einspielungen gemessen, weiß, wie man auch mit Schätzen aus entlegensten Winkeln unbekannten Repertoires ein Programm macht, das das Publikum begeistert.

Savall hat einen pädagogisch-musikwissenschaftlichen Anspruch: klarzustellen, dass sich die Musiken der iberischen Kolonisten und der lateinamerikanischen Kolonisierten gegenseitig beeinflusst haben. Er wird dabei bereits sehr früh eingelöst. Das Ansinnen, die Infiltration beliebter Volkstänze in die langsam sich emanzipierende spanische Kunstmusik zu beweisen, ist ebenso schnell verstanden.

Wissensdurstige Ernsthaftigkeit erstickt zunächst die Genussfreude

Was indes zunächst ein wenig fehl am Platz wirkt, ist die straßenmusikalische Atmosphäre, die das aus Mexiko hinzugeholte „Tembembe Ensamble Continuo“ mit der Tänzerin Donají Esparza in der Kathedrale der Hochkultur verströmt, deren Publikum auf solche Urmusikalität eher unvorbereitet ist. Dementsprechend verhalten überträgt sich auch die durchaus authentisch wirkende Españolita von der Bühne in die Ränge, erstickt die wissensdurstige Ernsthaftigkeit des Publikums zunächst ein wenig seine Genussfreude.

Trotzdem besteht Jordi Savalls größtes Verdienst vor allem darin, der Mischung aus höchst kunstvollen Folia-Suiten für Sologambe und Volksmusiktraditionen aus Mexiko die gleiche Augenhöhe bescheinigt zu haben. Er und sein Ensemble Hespèrion XXI nehmen die Musikstile gleichermaßen ernst. So wird nicht nur Alte Musik lebendig. Durch die Mixtur von höfischer, sakraler und populärer Kultur durchbricht Savall auch mühelos jede von Dünkel verzäunte Grenze. Die historisch informierte Aufführungspraxis wird natürlich nicht nur auf die kostbaren, jahrhundertealten Gamben angewendet, sondern auch auf das historische Schlagwerk, allerlei Gitarren oder auch das karibische Marimbol, ein zwischen den Unterschenkeln zu bedienendes Kasteninstrument mit Metallzungen. Was nochmals die damalige Integrationsfähigkeit artifizieller und folkloristischer Musik unterstreicht. Fast könnte man unterstellen, Savall schätze den Lerneffekt höher als den Musikgenuss. Aber als schönste Erkenntnis an diesem Abend darf wieder einmal gelten, dass dies gar keine Gegensätze sind.

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