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Psychedelisch: Der US-Musiker Jonathan Wilson

© Andrea Nahkla

Jonathan Wilson live in Berlin: Ein Held an der Gitarre

Er gehört zu den ganz Großen der Rockmusik: Der Singer-Songwriter Jonathan Wilson gibt im Kreuzberger Privatclub ein umjubeltes Konzert.

Von Jörg Wunder

Sicher hätte man den Veranstaltungsort größer ansetzen können: Das Konzert von Jonathan Wilson im kuscheligen Privatclub ist seit Wochen ausverkauft. Doch selbst wenn doppelt so viele Besucher Platz gefunden hätten, wäre das doch nur ein Bruchteil der Menschenmenge, die Wilson bei seinem nächsten Auftritt in Berlin zujubeln wird. Anfang Juni spielt er zwei Abende in der größten Konzerthalle der Stadt, mit „my boy Roger“, wie er schelmisch anmerkt.

Dass der 43-jährige Kalifornier zur Liveband von Roger Waters gehört, nachdem er bereits dessen letzte Platte produziert hat, ist eine Win-win-Situation: Waters bekommt bei seiner Aufführung der Pink-Floyd-Klassiker den bestmöglichen Sologitarren-Ersatzmann für seinen alten Erzfeind David Gilmour. Und Wilson kann schon mal auf der großen Bühne üben, falls der verdiente Durchbruch doch irgendwann kommen sollte. Vorgelegt hat er ja, denn sein drittes Album „Rare Birds“ ist die betörendste Songsammlung seit langem, auf der Wilson durch einen Ozean des Wohlklangs taucht und sich als profunder Kenner diverser Softrock-Verästelungen der 70er und frühen 80er erweist.

Im Konzert klingen die Stücke erwartungsgemäß etwas aufgerauter, was keine Frage mangelnder Präzision, sondern eine klangästhetische Entscheidung ist. Wilson und seine vier völlig uneitlen Begleiter funktionieren bei vorwärtspreschenden Songs wie „Trafalgar Square“ oder „There Is A Light“, stetig groovenden wie „Over The Midnight“ und weit ausholenden Balladen wie „Sunset Boulevard“ gleichermaßen wie eine organische Musikmaschine, bei der solistische Ausflüge auf punktuelle Glanzlichter beschränkt bleiben. Wilson ist nicht nur einer der besten Songschreiber seiner Generation, sondern auch als Gitarrist und Sänger ziemlich konkurrenzlos. Erstaunlich, wie nahe er sich an Säulenheilige der Rockhistorie heranwagen kann, ohne jemals epigonal zu wirken.

Richtig laut wird es bei den älteren Songs

So ist „Miriam Montague“ vom Titel über die exzentrische Melodie bis hin zur rauschhaften Videoprojektion eine Hommage an den Psychedelic Pop der Kinks – und zugleich das beste Lied, das Ray Davies zu komponieren vergessen hat. „Sunset Boulevard“ beschwört mit majestätischen Mellotron-Schwaden die frühen King Crimson – und zitiert auf der Videoleinwand Kraftwerks „Autobahn“. Im epischen „49 Hairflips“, das mehr an Pink Floyds Großtaten der 70er erinnert als Roger Waters oder David Gilmour auf irgendeinem ihrer späteren Solowerke, verklärt Wilson mit allerzartestem Timbre das wilde Leben, das er und seinesgleichen geführt haben, und singt wunderbar altkluge Sätze wie „these kids will never rock again“ über die Generation Selfie.

So wohlwollend die neuen Stücke auch beklatscht werden, richtig laut wird es im Publikum erst bei den (wenigen) älteren Songs. „Dear Friend“ und „Valley Of The Silver Moon“ sind dem Geist der Woodstock-Ära verpflichtet. In den über zehnminütige Improvisationsorgien fackelt Wilson ein Feuerwerk der Virtuosität ab. Man würde ihn gern zwischen ganz Großen der E-Gitarre wie Neil Young oder Jerry Garcia einreihen – wenn das Zeitalter der Gitarrenhelden nicht vorbei wäre.

Nach fast zwei Stunden und bevor die Band für das so geschmeidig wie ein Southern Blues der Allman Brothers groovende „Moses Pain“ noch einmal zurückkommt, beweist Wilson, dass er den Laden auch allein in Bann schlagen könnte: „Gentle Spirit“ ist schiere Essenz, nur Stimme und akustische Gitarre, zum Herzerbarmen schön. So pur und rein wie hier wird man Jonathan Wilson in der Mehrzweckarena am Ostbahnhof wohl nicht erleben.

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