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Jonathan Safran Foer, Autor von „Tiere essen“ und „Alles ist erleuchtet“.

© picture alliance / Jörg Carstens

Jonathan Safran Foer auf der Buchmesse: Jeder Mensch kann etwas für das Klima tun!

Kein Fleisch, kein Auto, weniger Kinder kriegen: Jonathan Safran Foer appelliert in seinem Essay „Wir sind das Klima!“ an die Verantwortung des Einzelnen.

Wer sich mit dem Klimawandel beschäftigt, muss zwischen Skylla und Charybdis hindurch. Ein Übermaß an Optimismus schadet der Sache ebenso wie eine regungslose Hochrechnung der Datenlage, die fast zwangsläufig zur Apokalyptik führt. In gewisser Weise sind beide Positionen komfortabel. Der Optimist verlässt sich darauf, dass es schon gut gehen wird, und der Apokalyptiker gibt cool zu Protokoll, es sei ohnehin zu spät. Wer Plastiktüten einspare oder nicht mehr fliege, mache sich lächerlich. Beide Positionen bestreiten nicht nur den Handlungsspielraum des Einzelnen, sondern auch den der Politik.

Seit der Club of Rome 1972 von den „Grenzen des Wachstums“ sprach, ist allgemein bekannt, was Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler seit den Fridays-for-Future-Demonstrationen mit erhöhter Dringlichkeit ins Bewusstsein der Weltgemeinschaft bringen wollen: Selbst wenn die Ziele der UN-Klimakonferenz in Paris von 2015 erreicht würden, sind die Folgen der Klimaerwärmung schon jetzt katastrophal. Der erhöhte Meeresspiegel lässt Inseln versinken, das Abschmelzen des Polareises beschleunigt den Treibhauseffekt ebenso wie das Tauen des Permafrostbodens und das Abholzen des Regenwaldes.

Für Naturwissenschaftler wie Hans Joachim Schellnhuber, den Gründungsdirektor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, spielt 2020 nicht nur bei der politischen Überprüfung der vereinbarten Klimaziele eine Rolle, sondern auch als möglicher Tipping-Point. Bis dahin könnten sich unumkehrbare Rückkopplungseffekte eingestellt haben.

Nichts, was wir tun, wird die Welt sofort retten, aber alles, was wir in Hinsicht auf eine radikale Änderung des Klimaverhaltens unterlassen, wird die Katastrophe beschleunigen. So kann man die Lage zusammenfassen. Sobald man sich diesem Wissen bewusst stellt, wird es ungemütlich. Soll man zum Moralapostel werden? Wie weit geht die eigene Bereitschaft zum Verzicht? Ist Verzicht überhaupt nötig? Oder genügen technische Lösungen?

Die Katastrophe stoppen

Der amerikanische Schriftsteller Jonathan Safran Foer macht einen Vorschlag, der sich im Untertitel seines Buches, zumindest auf Deutsch, perfekt anhört: „Wie wir unseren Planeten schon beim Frühstück retten können“. Prima, da wären wir dabei! Im amerikanischen Original klingt das ein wenig anders: „Saving the Planet begins at Breakfast“. Da gibt es offenbar auch nach dem Frühstück noch einiges zu tun.

Wie in seinem Bestseller „Tiere essen“, der das Elend der Tiere in der Massentierhaltung beschrieb, legt der mit seinem Debütroman „Alles ist erleuchtet“ bekannt gewordene Schriftsteller den Schwerpunkt wieder auf die industrielle Landwirtschaft. Je nach Berechnungsart ist sie für 14,5 Prozent oder sogar für 51 Prozent des weltweiten Ausstoßes von Treibhausgasen verantwortlich, wenn man in die durch Viehzucht bedingte Entwaldung die verloren gegangene CO2-Absorption einbezieht.

Die effektivste Reduktion seiner CO2-Bilanz erreicht der Einzelne nach Foers Ansicht durch vier Maßnahmen: „pflanzlich ernähren, Flugreisen vermeiden, auf ein Auto verzichten, weniger Kinder kriegen“. Zurück also zur chinesischen Ein-Kind-Politik, weltweit? Wer das Leben auf dem Planeten schützen will, kann nicht bei den Kindern beginnen. Was aber ist mit der Größe des Wohnraums, mit elektronischen Geräten, Kleidung und Konsumartikeln?

Eine neue Ein-Kind-Politik?

Safran Foer schlägt vor, frühestens beim Abendessen zu tierischen Produkten zu greifen. Das hält er für eine Einschränkung, die dem Einzelnen zuzumuten ist, und überdies schneller wirksam wäre als die Umstellung auf erneuerbare Energien. Der 1977 in Washington geborene Schriftsteller ist der Nachkomme von Holocaust-Überlebenden. Als amerikanischer Wohlstandsbürger mit zwei Söhnen in Brooklyn bringt er diesen Teil seiner Lebensgeschichte ins Spiel, um Situationen zu schildern, in denen der Wunsch zu handeln Leben rettete.

Seine Großmutter war als Zwanzigjährige aus einem polnischen Dorf geflohen, weil sie das Gefühl hatte, etwas tun zu müssen. Wie der Großvater, dessen erste Frau mit der kleinen Tochter ermordet wurde und der sich schließlich im amerikanischen Exil selbst tötete, hat sie als Einzige ihrer Familie überlebt. Am Krankenbett der 99-Jährigen ist ein Teil des Manuskripts entstanden und würdigt die Tatsache, dass sie mit ihrem Aufbruch nicht nur sich selbst, sondern auch ihre Nachkommen rettete.

Geschrieben am Krankenbett

Dass es sich beim Klimawandel nicht mehr um ein Erkenntnisproblem handelt, sondern nur noch um ein Umsetzungsproblem, kann als Fortschritt gewertet werden. Jonathan Safran Foer spricht nicht aus wissenschaftlicher Warte, auch wenn er eine Menge Fakten und eine umfangreiche Bibliografie versammelt. Er spricht aus der Warte eines Menschen, der motivieren will. Etwa, wenn er von Jan Karski erzählt, dem katholischen Widerstandskämpfer, der 1942 aus dem besetzten Polen floh, um der Welt von der Räumung des Warschauer Gettos und der Vernichtung in den Konzentrationslagern zu erzählen. Oder von der Opferbereitschaft der amerikanischen Bevölkerung während des Zweiten Weltkriegs.

Sicher, es gibt in naturwissenschaftlicher Hinsicht explikationsstärkere Bücher als „Wir sind das Klima!“ (We are the Weather), etwa Schellnhubers „Selbstverbrennung“ oder das jüngst erschienene Buch des New Yorker Journalisten David Wallace-Wells, „Die unbewohnbare Erde“. Doch Safran Foers Methode hat etwas für sich. Sie holt Couch-Potatoes dort ab, wo sie herumlungern, und versetzt ihnen einen Stups.

Die Couch-Potatoes abholen

Doch alles, was der Einzelne tun kann, bleibt ein Tropfen auf den heißen Stein, wenn es nicht zu strukturellen Veränderungen kommt. Greta Thunbergs Empörung vor den Vereinten Nationen in New York – „How dare you“ – richtete sich an die richtige Adresse. Denn es sind die globalen politischen Institutionen, die unter massivem Zeitdruck an den entscheidenden Stellschrauben drehen müssen, nicht zuletzt am Primat der Ökonomie.

Ohne internationale Kooperation kann es keinen Klimaschutz geben, der den Namen verdient. Dass die reichsten 10 Prozent der Weltbevölkerung für die Hälfte aller CO2-Emissionen verantwortlich sind, ist ebenso skandalös wie die Kleinmütigkeit der deutschen Politik. Schon lange hatte keine Regierung einen vergleichbaren Rückenwind für schmerzhafte, aber notwendige Veränderungen.

Die Frage von Gerechtigkeit ist heute nicht zuletzt eine der Generationengerechtigkeit. Wie bei der Friedens- und Umweltbewegung der 1980er-Jahre, über deren bundesdeutsche Version der Historiker Frank Biess mit „Republik der Angst“ ein hochaktuelles Buch geschrieben hat, ist auch bei Fridays for Future die Angst ein starker Antrieb. Dass die Demonstrationen weltweit und digital vernetzt stattfinden, ist neu, nicht aber ihre Gewaltlosigkeit.

[Jonathan Safran Foer: Wir sind das Klima! Wie wir unseren Planeten schon beim Frühstück retten können. Aus dem Amerikanischen von Stefanie Jacobs und Jan Schönherr. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2019. 336 S., 22 €]

Angst ist ein starker Antrieb

Für Bewohner der Industrienationen stehen Lebensstiländerungen ebenso an wie die Debatte über eine Postwachstumsökonomie. Wir haben uns daran gewöhnt, immer mehr Welt in Reichweite zu bekommen, wie das der Soziologe Hartmut Rosa beschreibt. Die „Akademikerklasse“ hat überdies Romantik und Bürgerlichkeit zum paradoxen Ideal der „erfolgreichen Selbstverwirklichung“ verschmolzen, wie der Kultursoziologe Andreas Reckwitz das ressourcenintensive Verhalten dieses expansiven Milieus charakterisiert. Es investiert nicht nur in Immobilien und Konsumgegenstände, sondern auch in eine gelegentlich ans Obszöne grenzende Erlebnisökonomie des Reisens und Bildens, des Kulturgenusses, Freizeitsports und Wohlgefühls.

Niko Paech, Professor für Plurale Ökonomik an der Universität Siegen, hat berechnet, dass eine Energiewende, die den Namen verdient, 80 Prozent reine Einsparung bedeuten würde. Dabei geht man in Deutschland schon auf die Barrikaden, wenn über ein Tempolimit von 130 Stundenkilometern auf Autobahnen verhandelt wird. Jonathan Safran Foers Plädoyer, sich von „zügellosem Hedonismus“ zu verabschieden und „sich selbst Grenzen zu setzen“, ist ein Schritt in die richtige Richtung

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