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John Mayall bei einem Konzert in Linz 2017. Vom Auftritt in Berlin stehen uns leider keine Fotos zur Verfügung.

© imago/Rudolf Gigler

John Mayall in Berlin: Der Gitarrengott des Blues gibt sich die Ehre

Mit 85 unglaublich jung geblieben: Der Bluesmusiker John Mayall wird im Berliner Columbiatheater gefeiert.

„Ja, gibt’s den denn überhaupt noch?“ Wer sich anschickt, ein Konzert von John Mayall zu besuchen, steht schnell im Verdacht, ziemlich von gestern zu sein. Erzählt da einer vom Krieg? Bei weitem nicht. Dieser Bluesmusiker ist zwar deutlich älter als sein Publikum, aber zeitlos jung geblieben. Wer den „Godfather of Blues“ am Mittwochabend im Columbiatheater gesehen hat, weiß dass dieser 85-Jährige nicht daran denkt, sich auf den Weg zum Herrn zu machen. Ja, er scheint eben erst am Beginn seiner Karriere zu stehen - wie seit sechzig Jahren.

Ruhig signiert John Mayall vor dem Konzert seine jüngsten drei CDs. Hier hält keine Legende Hof, hier sonnt sich kein Influencer mehrerer Bluesgenerationen im Rampenlicht eines Best-of-Gigs mit dem Smash-Hit „Room To Move“ als Zugabe. Neugierig beäugt er die Menschen, die da vor ihm in der Schlange stehen. Was soll man da sagen? Der Rest ist weder Schweigen noch Geschwätzigkeit.

John Mayall ist ein Heutiger geblieben. Erstaunlich genug nach den Jahren mit Eric Clapton, der seiner Zeit mit Mayalls Bluesbreakers das frühe Graffiti „Clapton is God“ in einer Londoner U-Bahn-Station verdankt. Mayall hat mit Mick Taylor (später Rolling Stones) gespielt, mit Mick Fleetwood, John McVie (später Fleetwood Mac), mit Peter Green. Wer durch die Bluesschule des „Kingmakers“ ging, signiert heute nicht mehr vor Konzerten.

Neudeutsch gesagt: Mayall ist der wichtigste Inkubator eines weltweit verzweigten Blues-Startups. Sie heben den Folk-Blues mit dem Electric-Blues auf neue Höhen: schneller, schwerer, rockiger.

Da bedarf es keiner großen Ansagen, als der Blues-Train um kurz nach acht Fahrt aufnimmt: „Dancing shoes“, Bluesrock vom Feinsten, 1999 veröffentlicht und in der langen Karriere eher ein neueres Stück. „We have some wonderful stuff for you“, hatte Mayall den Titel angekündigt. Und es stimmt ja, was Paul Mc Cartney einmal über Mayall sagte: „Er ist so eine Art von DJ-Typ. Du gehst zu ihm und er sagt, du sollst Platz nehmen, gibt dir einen Drink und sagt: Just check this out.“

Wer glaubt, hier einen alten Mann mit brüchiger Stimme zu erleben, irrt gewaltig. Ich sehe keinen Unterschied zu den letzten 30 Jahren. Die Stimme ist prima, die Riffs genial. Hingehen!

schreibt NutzerIn jonnyrotten

Mit 85 zwei Stunden stehen? Yes, you can

Platz nehmen kann hier im Columbiatheater keiner, der Saal ist nicht bestuhlt – anders als bei vergleichbaren Konzerten in dieser Altersklasse. Aber Blues hören und sitzen? Geht auch nicht, zumal Mayall mit leichten Tanzschritten vorangeht. Kann einer mit 85 zwei Stunden lang stehen? Yes, you can. Ist man in diesem Alter über jeden Herzschmerz erhaben? Nur wenn man nicht mehr den Blues hat. Dann ist alles vorbei. Dann ist man tot. Immer das alte Lied.

Mayall hat Musiker auf Augenhöhe um sich versammelt, die ähnlich tiefenentspannt und ambitioniert zu Werke gehen wie der Miterfinder des weißen britischen Blues selbst. An vorderster Front brennt die 46-jährige Texanerin Carolyn Wonderland ihr Gitarrenfeuerwerk ab, und singen kann sie auch noch. Hat da jemand Janis Joplin gesagt? Bassist Greg Rzab und Schlagzeuger Jay Davenport – seit über zehn Jahren Mayalls Bandkollegen - wissen ohnehin, was gespielt wird. Dabei gibt es keine feste Setlist; wann und bei wem die Post abgehen soll, bestimmt immer noch der Meister. Ein ermutigendes „Go!“ ruft er seinen Mitstreitern zu, ganz DJ und Bandleader.

Zwischenapplaus bei fast jedem Song des 100-Minuten-Sets

Mayalls in frühen Jahren gelegentlich etwas nerviger Falsettgesang ist einer etwas tieferen Stimmlage gewichen, was seinen Blues dunkler grundiert. Von Alter ansonsten keine Spur. Kein Kokettieren mit irgendwelchen Verfallserscheinungen, wie es zum Beispiel bei Art Garfunkel im Admiralspalast vor einigen Monaten zu hören war – liebenswürdige Weise: „This is how 76 looks like.“ Aber Garfunkel hat ja auch nicht den Blues.

Der ist bei Mayall ein in mittlerweile siebzig Alben gefasster langer Fluss aus Funktionsharmonien, zwölf Takten und der notorischen kleinen Terz. Mal so, mal so. Zumeist befeuert von Mundharmonikasoli, die Mayall immer noch mit viel Kerosin im Blut aus den Lungenflügeln presst. „That’s All Right“ wird zu Recht umjubelt, heftigen Zwischenapplaus gibt es inzwischen bei jedem Song des 100-Minuten-Sets. Schön, dass alle stehen.

Mayall erinnert sich ohne Sentimentalität an die Blues-Stadt Memphis

„Delta Hurricane“ markiert die jüngste Wegmarke, die Mayall auf seiner aktuelles CD „Nobody Told Me“ nun auch schon wieder hinter sich gelassen hat. Hier erinnert sich der Brite, der schon lange in Kalifornien lebt, ohne Sentimentalität an Memphis, „where the Blues comes from“. Seine Hammondorgel und Wonderlands Slide Guitar schaffen den angemessenen musikalischen Rahmen. Das Stück würde auch in die Sechziger passen.

„Looking Back“ von 1969 gibt Mayall als Zugabe. Er guckt zurück, ob sie zurückguckt, ob er zurückgeguckt hat. Darum geht es. Ja, es kann so einfach sein. Wenn Elvis Presley mit seinen Songs den Körper befreit hat und Bob Dylan mit seiner Kunst den Geist, dann ist Mayall in diesem Trio einer, der die Last des Lebens wegspielen kann, bis es die pure Lust ist.

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