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John Cale, der Rockstar mit Viola, verkörpert lebende Musikgeschichte.

© Javier Cebollada/dpa

John Cale in Berlin: Rock goes Classic

John Cale bringt für seinen Auftritt in der Verti Music Hall ein kleines Orchester mit nach Berlin.

Wenn sich John Cale dann doch einmal hinter seinem Synthesizer erhebt vom Stuhl, merkt man, dass der große alte Mann der Rockmusik auch schon 76 Jahre alt ist. Dafür greift er umso beherzter in die Saiten seiner E-Gitarre, lässt sie schroff aufjaulen. Er klingt dabei wie Lou Reed, seiner inzwischen verstorbenen Hassliebe seit den gemeinsamen Zeiten bei Velvet Underground. Man kann davon ausgehen, dass Cale an diesen Stellen ganz bewusst an Reed erinnert. Sein Auftritt beinhaltet viele Verweise auf den Weggefährten und Stationen seiner langen Karriere. Er wirkt, als wolle er noch einmal sein ganzes Leben in knapp zwei Stunden auf die Bühne bringen.

Es ist wirklich ein besonderes Konzert in der so gut wie ausverkauften Verti Music Hall, mit Songs aus seiner über fünfzigjährigen Karriere. Düstere Hymnen wie „Helen of Troy“ und „Hedda Gabler“, aber auch „Frozen Warnings“, das er einst für Nico arrangiert hatte. Besonders ist vor allem die Form, in der er die Stücke intoniert. Dafür hat Cale ein ganzes Orchester samt Dirigent mitgebracht: einen Satz Streicher und ein paar Bläser, die ihn samt einem klassischen Rocktrio begleiten.

Cale war schon immer ein Grenzgänger. Eigentlich kommt der gebürtige Waliser aus der avantgardistischen Neue-Musik-Szene der Sechziger. Von dort brachte er sein markantes Spiel auf der Viola mit zu Velvet Underground, die die Rockmusik revolutionierten. Mit dem Egozentriker Lou Reed hielt er es freilich nicht lange in einer Band aus. Erst nach dem Tod ihres Förderers Andy Warhol näherten sich die beiden wieder an. Nach seinem Ausstieg machte er sich in den Siebzigern einen Namen als Produzent, unter anderem für Nico und die Stooges. Bis heute arbeitet er im Feld der Rockmusik genauso, wie er mit dem orchestralen Format experimentiert. In den letzten Jahren schrieb er auch mehrere Soundtracks.

Der Veteran ist fürs Rocken noch nicht zu alt

In Berlin fließen alle diese Einflüsse zusammen: Rock, Neoklassik, aber auch Ausflüge in den Jazz. Und im Zentrum stets die immer noch sonore, dunkle Stimme des Meisters, die seinen Songs stets eine Erhabenheit verleiht.

Nicht alles gelingt bei diesem Konzert, es zeugt auch vom anhaltenden Forschergeist Cales. Er könnte sich ja hinstellen mit seiner Viola und alte Velvet-Underground-Gassenhauer zum Besten geben. Alle wären begeistert. Doch er will weiter experimentieren. Gelegentliches Scheitern gehört bei dieser Herangehensweise zwangsläufig dazu. Der übertriebene Hall, teilweise über dem Gesang Cales, erdrückt seine Stimme beinahe. Streckenweise kleistert das Orchester den Rocksound unnötig zu. Oder Cale gefällt sich ein wenig zu sehr in der Rolle des gealterten Rockers, der das Lärmen nicht verlernt hat. Zwischendurch hat man das Gefühl, einer etwas plump geratenen Rock-goes-Classic-Nummer aufzusitzen. Doch auf jedes Tief folgt schnell wieder ein Hoch. Cale legt großen Wert darauf, möglichst jedes Stück originell zu arrangieren.

Im Hintergrund flackern auf einer Leinwand psychedelische Visuals – ein kleiner Gruß an die Sechziger, in denen Cales Karriere begann. Kurz vor Schluss haut der Meister dann doch noch mal einen Klassiker aus dieser Zeit raus: „I’m Waiting For The Man“, den berüchtigten Heroin-Song von Velvet Underground, einst gesungen von Lou Reed. Das ist dann der Moment, in dem sich die schon sehr kontemplative Stimmung im Saal auflöst und einer Rockkonzertatmosphäre weicht. Dafür bekommen John Cale und sein Orchester am Ende verdiente Standing Ovations.

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