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Thesen mag er eigentlich nicht. Jörg Hartmann im Bühnenbild von „Professor Bernhardi“.

© Mike Wolff

Jörg Hartmanns Rückkehr zur Schaubühne: Allein machen sie mich ein

„Ich bin ein Fan des Ensemble-Gedankens“: Jörg Hartmann spricht über seine Rückkehr an die Berliner Schaubühne und die Rolle als Dortmunder "Tatort"-Kommissar Faber.

Als Kind wollte Jörg Hartmann die Welt retten. „Ich habe jeden Tag gelesen, wie viele Tierarten schon wieder ausgestorben sind und wie viel Regenwald abgerodet wurde“, erzählt er und lacht: „Ja, als Kind hatte ich noch Ideale!“ Biologie studieren und Naturschützer werden – das war der Plan. „Und was mach’ ich jetzt?“ Der Schauspieler grinst immer noch. „Eitler Sack an der Rampe! Na toll!“

Tatsächlich ist „eitler Sack“ so ziemlich das Letzte, was einem einfällt, wenn man Jörg Hartmann im Café der Berliner Schaubühne vor seinem Wiener Würstchen sitzen sieht, dem letzten Gericht, das abends, nach der Probe, von der hauseigenen Gastronomie noch übrig ist. Mit Schaubühnenchef Thomas Ostermeier probt Hartmann Arthur Schnitzlers Drama „Professor Bernhardi“. Er spielt die Titelrolle, einen jüdischen Arzt und Privatklinikchef, der einem Pfarrer aus humanistischen Erwägungen heraus den Zutritt zu einer sterbenden Frau verwehrt. Der Vorfall wird politisch instrumentalisiert: Man wirft Bernhardi „Verletzung religiöser Gefühle“ vor. Antijüdische Ressentiments treten beim Klinikpersonal genauso offen zutage wie karrieristisches Kalkül.

Hundert Jahre Gegenwart

„Professor Bernhardi“ ist – mit anderen Worten – ein reichlich hundert Jahre altes Gegenwartsdrama, das in der Bearbeitung von Ostermeier und seinem Dramaturgen Florian Borchmeyer tatsächlich hier und heute spielen wird. So großartig er den Schnitzler-Text fände, sagt Hartmann, ein wenig stehe schon die Gefahr des „Thesenstückes“ im Raum. Die Versuchung, das Personal allzu schnell in Gut und Böse zu kategorisieren. „Und wenn eine Figur auftaucht und man gleich weiß, okay, das ist der Held und das ist das Arschloch“, ist das für Hartmann so ziemlich das Langweiligste, was in seinem Metier passieren kann. „Interessant wird’s, wenn man mit jeder Figur mal mitgehen, bei jedem Argument mal andocken kann.“ Die Chancen stehen gut: Ambivalenzen sind Hartmanns Spezialgebiet.

Mit dem Dortmunder „Tatort“-Kommissar Peter Faber und dem Stasi-Offizier Falk Kupfer aus der ARD-Serie „Weissensee“ verkörpert der 47-Jährige schließlich zwei der interessantesten Charaktere, die das deutsche Fernsehen derzeit zu bieten hat. Während man beim soziopathischen Parkaträger Faber nie genau weiß, ob er seinem Gegenüber im nächsten Moment auf die Schulter klopfen oder aber den kompletten Schneidezahnbestand ausschlagen wird, setzt der MfS-Karrierist Kupfer bis dato ungekannte Komplexitätsmaßstäbe in puncto fernsehtechnischer DDR-Aufarbeitung. In beiden Fällen sind die Dramen, die sich in Hartmanns Gesicht abspielen, konkurrenzlos im TV-Business.

Was, unter vielem anderen, an seiner akribischen Vorbereitung liegt. Als dem gebürtigen Ruhrpottler das „Weissensee“-Angebot auf den Tisch flatterte, las er sich in der Stasi-Unterlagenbehörde durch zig Doktorarbeiten von MfS-Offizieren. Seine Kollegin Anna Loos, die Kupfers Ehefrau spielt und in Brandenburg aufwuchs, erzählte mal in einem Interview, Hartmann wüsste derart gut Bescheid über die DDR, dass sie mit anderen Ost-Kollegen oft staunend am Set stünde: „Echt, so war das damals bei uns?“

Der Wessi kennt den Osten

Ein Faible für den Osten hat Hartmann – aufgewachsen als „eher schüchternes Kind“ einer Verkäuferin und eines Drehers und nebenberuflichen Handballlehrers in Herdecke – nicht erst seit „Weissensee“. Als er 1993, nach seinem Schauspielstudium in Stuttgart, wählen konnte, ob er ans Wuppertaler oder ans Meininger Theater geht, entschied er sich sofort für Thüringen. „Mich hat das total fasziniert“, erinnert er sich, „als die Mauer fiel und sich plötzlich dieses Land auftat, in dem ich trotz des Verfalls so wahnsinnig viel ursprüngliche Schönheit entdeckt habe.“ Da spricht der Architektur-Fan: Über Städtebau redet Hartmann mindestens so gern und sachkundig wie über seine Arbeit. Blockrandbebauung, Moderne, Bauhaus – der Schauspieler ist lückenlos stil- und epochenfit. Sein architektonisches Credo?

Hartmann überlegt kurz. „Ich bin ein großer Fan des Ensemble-Gedankens“, sagt er schließlich. „Das ist wie im Theater: Wenn du ’ne Rampensau hast, hast du noch lange keinen guten Theaterabend.“ Fazit: „Nichts gegen spektakuläre Solitäre, aber die müssen entsprechend eingebettet sein. Wenn jeder nur marktschreierisch ruft: Hallo, ich bin der Geilste, dann wird das nix!“

Mit „Professor Bernhardi“ kehrt auch ein Solitär ins Ensemble zurück. Ab dieser Spielzeit ist Jörg Hartmann wieder fest an der Schaubühne unter Vertrag, wo er bereits seit Thomas Ostermeiers Intendanzstart 1999 zehn Jahre lang engagiert war. Er spielte den Latenzmacho Torvald Helmer in Ostermeiers gefeierter „Nora“-Inszenierung oder den zwielichtigen Juristen Brack in „Hedda Gabler“, bis er 2009 kündigte: „Es wurde zu viel, ich kam durch die zahlreichen Auslandsgastspiele familiär an meine Grenzen.“ Außerdem wollte Hartmann schon lange drehen, weil ihn „das reduzierte Spiel vor der Kamera“ interessierte. „Das musste ich“ – straff auf die vierzig zugehend – „endlich ausprobieren, bevor der Zug abgefahren war.“ Der Rest ist Fernsehgeschichte: Kein renommierter TV-Preis, den Hartmann seither nicht bekommen hätte. Und zwar völlig zu Recht.

Warum also jetzt die Rückkehr ins Schaubühnen-Ensemble? „Ich habe ja – toi, toi, toi – Glück mit meinen Fernsehrollen“, sagt der Schauspieler und klopft auf den Tisch. „Aber es ist jetzt auch nicht so, dass ständig das Telefon klingelt und eine geilere Rolle nach der nächsten auf meinem Tisch liegt.“ Davon abgesehen mag Hartmann „das Zweigleisige“: „Sich mal wieder zwei Monate am Stück mit so einem Stoff auseinanderzusetzen in der Truppe, das bringt einen schauspielerisch enorm weiter.“ Und weil Thomas Ostermeier inzwischen „auch nicht mehr so wahnsinnig probt wie früher“, lacht Hartmann, bringe das Theater schließlich „auch ein bisschen Ordnung ins Familienleben“. Er könne morgens vor den Proben sogar noch seine kleine Tochter zur Tagesmutter bringen. Echter Luxus gegenüber Fernsehdrehs, bei denen man oft wochenlang unterwegs ist.

Dortmund war ein Sehnsuchtsort

Was allerdings nicht der ausschlaggebende Grund war, warum Jörg Hartmann zunächst zögerte, als man ihm den Dortmunder „Tatort“-Kommissar anbot. „Natürlich hab ich mich gefreut und fand das sehr ehrenvoll“, räumt er ein. Allerdings hatte er bis dato weder Kriminalromane verschlungen noch einen besonderen Hang zu Fernsehkrimis verspürt. Was gab letztlich den Ausschlag? „Dortmund war schon ein wichtiger Punkt, weil’s sozusagen die Heimat ist“, sagt Hartmann. Letztlich „angebissen“ habe er aber tatsächlich „bei dieser ambivalenten Figur, die immer auf der Grenze“ balanciert. „Da ging bei mir die Fantasie los“ – und bei den Leuten von der Polizeigewerkschaft NRW die Kinnlade runter.

Die forderte – kein Witz – nach dem zweiten Dortmunder „Tatort“ in einem offenen Brief Fabers Absetzung. Dieser Borderliner mit dem absichtslosen Fünftagebart, der seinen Parka auch im Hochsommer nicht ab-, dafür aber gern mal sein Arbeitszimmer zerlegt, schien der Gewerkschaft „kein geeignetes Vorbild“ für die Polizeiarbeit zu sein. Hartmann lacht. Am Neujahrstag ist Faber wieder dran. „Es wird ein heftiges Ende geben“, verspricht er, „gleich zu Beginn des neuen Jahres.“ Inwiefern? „Das verrat’ ich nicht. Ich bin doch nicht blöd!“

Premiere von „Professor Bernhardi“ an der Schaubühne am Samstag, 17. Dezember, um 19.30 Uhr (ausverkauft).

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