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Am liebsten kreisförmig. Joe Ramirez in seinem Berliner Atelier mit einem vergoldeten Bildträger im Hintergrund.

© Thilo Rückeis

Joe Ramirez: Wenn das Licht die Scheibe küsst

Stille in der Konzerthalle: Der amerikanische Künstler Joe Ramirez zeigt im Pierre Boulez Saal seine „Gold Projections“.

Langsam füllt sich der Pierre Boulez Saal, Besucher lassen sich in der ellipsenförmigen Mitte nieder, packen ihre Decken aus, für einen langen Abend auf dem harten Boden. Andere nehmen auf den rundum angeordneten Sitzen Platz. Tiefe Dunkelheit senkt sich über den Konzertsaal. Nur noch Stille, wo sonst Musiker konzertieren. Doch in diesem August, während der Theaterferien, ist alles anders. An den Wochenenden, jeweils Freitag und Samstag ab Sonnenuntergang bis 1 Uhr nachts findet hier eine Art Session statt (wieder am 10., 16., 17., 23., 24. und 31.8.).

Erst rechts, später links flammen auf zwei meterhohen, mit Blattgold beschichteten Scheiben bewegliche Bilder auf. Es ist ein Kino der besonderen Art. Vor zwei Jahren präsentierte der US-Künstler Joe Ramirez seine „Gold Projections“ anlässlich der Berlinale in der Gemäldegalerie, wo sie perfekt zur damaligen Alchemie-Ausstellung passten. Nun ist er mit seiner besonderen Mischung aus Film, Malerei und Skulptur im Boulez Saal zu Gast.

Sog der Bilder

Um den Besuchern der Stadt, die während der Sommerwochen sonst vor verschlossener Tür stehen würden, einen Blick auf die beeindruckende Architektur Frank Gehrys zu schenken. Und Stille, wie Intendant Ole Bækhøj bei der Präsentation des Projekts ergänzt. Die Besucher erhalten vor jeder Vorstellung Extrasocken, denn die Schuhe müssen abgegeben werden, damit keine Geräusche zu hören sind, wenn jemand später kommt oder früher geht. Außerdem werden am Eingang die Mobiltelefone in verplombte Taschen gepackt. Nichts soll das meditative Erlebnis stören.

An einem der ersten Abende hat sich der Künstler an den oberen Rand des Konzertsaals gesetzt, um sein Publikum zu beobachten. Bis auf zwei Gäste, die unruhig werden, blicken die Besucher vollkommen gebannt auf die goldenen Scheiben, auf denen szenenweise wechselnd der Film wie im Flow abläuft. Figuren tauchen auf, schreiten mit weiten Mänteln durch Landschaften, kreuz und quer über karstiges Gelände. Dann kommt in Nahsicht ein Paar Hände ins Bild, das über ein Tuch streicht. Zwei Personen in altertümlicher Kleidung wringen ein weißes Tuch, aus dem unablässig Wasser rinnt. Die Szenen – manchmal kitschig, alles tief symbolhaltig – erinnern an die Frühzeit der Kinematographie, als jede Geste, jede Einstellung noch bedeutungsschwanger war.

Doch je länger man schaut, desto mehr gerät man in den Sog der Bilder, baut sich seine eigene Geschichte zurecht, auch wenn Joe Ramirez einem Skript folgt. „Somnium“ (lateinisch „Traum“), sein erster Film von 2017, basiert auf der gleichnamigen Erzählung des Astronomen, Mathematikers und Philosophen Johannes Kepler aus dem Jahr 1608, die eine Reise zum Mond imaginiert. Das passt zum Gefühl, hier etwas Unwirkliches zu erleben. Ramirez’ Form der Präsentation scheint die adäquate Übersetzung für einen Science Fiction des frühen 17. Jahrhunderts zu sein. Das vergoldete Rund als Projektionsträger ist wie ein Okular in eine andere Zeit, in einen anderen Raum.

Zum Durchbruch verhalf Wim Wenders

Das gilt auch für den zweiten Film, „Vermilion“, der direkt für den Boulez Saal entstand, eine Auftragsarbeit zum 50-jährigen Bestehen des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung. Er handelt vom Zinnoberrot, Vermilion ist die englische Übersetzung. Das Mineral wurde über Jahrhunderte durch Sklavenarbeit in Nordspanien gewonnen, um dann als Pigment nicht zuletzt für die Tafelmalerei weiterverarbeitet zu werden. Dort drehte Ramirez mit seinem Team. Wieder spielt die Landschaft eine Rolle. Pate stand ihm Goya, der aus dem nordspanischen Aragon stammt und dessen Serie der schwarzen Bilder ihn faszinieren.

Wer in diesen Tagen Joe Ramirez in seinem Berliner Atelier besucht, der trifft einen glücklichen Mann an, aus dem es nur so sprudelt. Ein Knoten scheint geplatzt, endlich erfährt er die Anerkennung, auf die er so viele Jahre gewartet hat, nachdem er seine Technik fast im Verborgenen entwickeln musste, um sie vor Nachahmern zu schützen.

Zum Durchbruch verhalf ihm Wim Wenders, der gemeinsam mit dem Fotografen Jim Rakete und dem Sammler Désiré Feuerle „Somnium“ produzierte. Nachdem es Ramirez 2015 gelungen war, den bewunderten Regisseur in sein Studio einzuladen, um ihm seine Technik vorzustellen, ging es ganz schnell. Nach wenigen Minuten unterbrach Wenders die Privatvorführung mit der Frage „Wer hat das bisher gesehen?“ und der klaren Ansage „Wir müssen miteinander reden“. Der nächste Schritt war die Anmeldung eines Patents, um sich die Rechte zu sichern. Die dicke Broschüre mit neunstelliger Patentnummer und Siegel, in der detailliert steht, wie die Projektion technisch funktioniert, liegt griffbereit im Atelier. Gleich daneben befinden sich die Pinsel aus Eichhörnchenhaar, mit denen Ramirez das Gold Blatt für Blatt auf die metergroßen Schreiben aufträgt.

In Großbritannien entdeckt er die Liebe zur Malerei

Es grenzt für den heute 60-Jährigen an ein kleines Wunder, wie er zu seinem Meisterwerk, den „Gold Projections“, fand. Dem Jungen aus Menlo Park in Kalifornien, Sohn eines Klempners und Jüngsten von fünf Brüdern, war die Kunst nicht gerade vorherbestimmt.

Weil er geschickt mit den Händen ist, studiert er Möbeldesign und -produktion im britischen Thames. Später wird er in London am Royal Collage of Art Bildhauerei studieren. In Großbritannien entdeckt er seine Liebe zur Malerei. Zu den stärksten Eindrücken in Europa gehört die Freskenmalerei, in Würzburg studiert er Tiepolo, in Rom die Sixtinische Kapelle. „In der Kunstgeschichte hat es alles schon einmal gegeben, “ sagt er. „Das heutige Begriff Expanded Cinema lässt sich zurückführen auf die Bildsprache der Freskenmalerei.“

Wieder in den USA restauriert er über Jahre die Fresken einer Kirche, baut für den Altarraum Mobiliar und beginnt ein weiteres Studium in Malerei und Film am Art Institute in Chicago. Seine Helden heißen nun Andrei Tarkowskij und Mark Rothko. Den ersten eigenen Film widmet er dem Fantasten William Blake, der ebenfalls die Künste –  Malerei und Dichtung – kreuzte. Und wieder zieht es ihn nach Europa, nach Berlin, wie so viele. Vor neun Jahren war ein Atelierraum noch leicht zu finden. Hier malt er Bilder, baut seine Tafeln und entwickelt das „Fresco-Cinema“. Das aber entsteht nur nur in einem zauberischen Moment, wenn im Dunklen das Licht die Scheibe berührt.

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