zum Hauptinhalt
Perspektivwechsel: Eine Szene aus „Über Tyrannei“.

© C.H. Beck

Jetzt illustriert: "Über Tyrannei" von Timothy Snyder: Schafsköpfe und Schattenspiele

Nora Krug mischt Timothy Snyders Aktivisten-Handbuch „Über Tyrannei“ mit fabelhaften Illustrationen auf.

Ein Handbuch für Aktivisten, eine Manifest zur Stärkung der demokratischen Abwehrkräfte: Als Timothy Snyder im Jahr 2017 den Band „Über Tyrannei“ mit 20 Lektionen aus der Geschichte des 20. Jahrhunderts veröffentlichte, hatte er seine Landsleute und Donald Trump im Blick – ohne den Präsidenten auch nur ein einziges Mal explizit zu erwähnen.

Snyder sieht die Demokratie in Gefahr, er will aufrütteln. Nicht nur in den USA, sondern überall dort, wo Nationalisten, Populisten und Autokraten mehr und mehr das Sagen haben. Tut was, ruft er seinen Leser:innen zu, leistet Widerstand! „Geschichte erlaubt uns, verantwortlich zu sein: nicht für alles, aber für etwas.“

Trump ist (vorerst) abgewählt, aber die Gefahr ist noch da. Also wollte der in Yale lehrende Osteuropa- und Holocaust-Historiker mit einer aktualisierten Version auch jüngere Leute erreichen, deshalb bat er die fabelhafte Illustratorin Nora Krug, seinem Text Bilder hinzuzufügen. Und Krug hat Snyders leidenschaftliche, leicht lesbare, manchmal etwas agitatorische Lektionen auf ihre Weise gehörig aufgemischt.

Ein Band wie ein Tagebuch: Fotoalbum, Graphic Novel und Notizkladde in einem. Nora Krug spickt die „Lectures“ mit Zeichnungen, historischen Fotos und Radierungen, kolorierten Postkarten, Kalenderblättern, Comics, Faltarbeiten, dadaistischen und surrealen Collagen. Auch gepresste Pflanzen, Stickbilder und Anzieh-Papierpuppen finden sich.

Jede Seite ist anders, lindgrün, gelb, rosa – ein Gesamtkunstwerk. Die Druckschrifttype kommt wie von Hand geschrieben daher, das macht es persönlich. So hielt die in New York lebende Künstlerin es auch bei ihrem preisgekrönten Graphic Memoir „Heimat“ über die eigene deutsche Familiengeschichte während der NS-Zeit.

[Die Morgen- und Abendlage, der tägliche Nachrichten-Überblick aus der Hauptstadt – kompakt, schnell und interaktiv. Hier geht es zur Anmeldung]

Die Illustratorin schöpft aus einem riesigen Fundus. Mit dem Ergebnis, dass Snyders Mahnungen – „Leiste keinen vorauseilenden Gehorsam“, „Sei freundlich zu unserer Sprache“, „Sei so mutig wie möglich“ – eine verspielte Anmutung zuwächst, ohne dass das Lehrbuch verharmlost würde. Snyder verteidigt die Freiheit, Krug nimmt sie sich. Sie bebildert nicht eins zu eins, sondern lässt die Fantasie schweifen. Ob es sich um Schafe handelt, die ihre Schafsköpfe absetzen, um Fingerschattenspiele zu Ionescos „Nashörnern“ oder um einen Paramilitär aus Papier, der anders gefaltet zum Totenkopf wird. Oder um Putin, der auf einem Porzellanpferdchen reitet.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Demokratie, so die Essenz dessen, was die Geschichte des 20. Jahrhunderts lehrt, ist nie dauerhaft gesichert. Das Ende der Monarchie 1918, der Aufbruch nach 1945 und das Ende des Kommunismus 1989 – diese drei großen demokratischen Momente in Europa brachten zwar Demokratien hervor. Aber etliche scheiterten, nicht nur die Weimarer Republik.

Weniger Fernglas, mehr Blick in den Spiegel: Fang bei dir selber an, so Snyders Mantra

Wie fängt es an mit dem Unrechtsstaat, mit Ausgrenzung, Diskriminierung, Demagogie? Wieso schauten viele weg, liefen mit, hielten still, profitierten? Timothy Snyder nimmt sich den italienischen Faschismus vor, den Stalinismus, Hitler und den Nationalsozialismus, er zieht Lehren für die Gegenwart daraus. Zum Beispiel die, wie wichtig Institutionen sind, Gerichte, freie Wahlen oder unabhängige Medien.

[Timothy Snyder, Nora Krug: Über Tyrannei. Zwanzig Lektionen für den Widerstand. Aus dem Amerikan. von Andreas Wirthensohn. C.H. Beck, München 2021, 128 S., 20 €]

Er erklärt, was Victor Klemperer über die Zurichtung der Sprache und Hannah Arendt über den Totalitarismus schrieb. Und er führt aus, wie gefährlich es sein kann, wenn die Polizei zum Handlanger von Despoten wird, wenn die Vergangenheit verklärt wird, wenn die Grenze zwischen Privatheit und Öffentlichkeit verwischt.

Papierfaltarbeiten, Comics, Montagen: Nicht nur das Cover, jede von Nora Krug illustrierte Seite ist anders.
Papierfaltarbeiten, Comics, Montagen: Nicht nur das Cover, jede von Nora Krug illustrierte Seite ist anders.

© Nora Krug/C.H. Beck

Mit der Warnung vor Politikern, die sagen, Sicherheit sei nur um den Preis der Freiheit zu haben, um der Bevölkerung dann beides zu verwehren, macht Snyder es sich aber zu einfach. Denn Snyder, von dem zur Wahl 2020 das Trumpismus-Buch "Die amerikanische Krankheit" erschien, unterschlägt das Dilemma bei der Bewältigung der Coronakrise, die ja schon vor der Neuausgabe des Buchs begonnen hat.

Bedenkenswert hingegen sein Mantra, jeder möge sich selber misstrauen. Nora Krug zeichnet dazu einen Menschen, der erst durchs Fernglas guckt und dann in den Spiegel. Werde nicht zum Couchpotato vor dem Fernseher oder zum Oberflächensurfer im Internet, lies Bücher! Bei dieser Lektion verwandelt Krug eine Sprechblase in eine Traumlandschaft. Es muss gar nicht George Orwell oder Vaclav Havel sein, Harry Potter tut es ebenfalls. Auch da trotzen die jungen Helden der Tyrannei.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false