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Powerfrau. Jessica Chastain als toughe Poker-Unternehmerin in Aaron Sorkins Regiedebüt "Molly's Game"

© SquareOne Entertainment.

Jessica Chastain im Interview: „Wir brauchen mehr Frauen in Machtpositionen“

Hollywoodstar Jessica Chastain spielt gerne Heldinnen, die sich in Männerwelten behaupten. Zum Start von „Molly’s Game“ ein Gespräch über Sexappeal, Castings, Ehrgeiz und MeToo.

Ob in in "Zero Dark Thirty", als Elizabeth Sloane in "Die Erfindung der Wahrheit" oder jetzt als Poker-Königin in "Molly's Game": Jessica Chastain, Jahrgang 1978, spielt vorzugsweise Frauen, die sich in einer Männerdomäne hochkämpfen. Ihren Durchbruch hatte die Kalifornierin nach etlichen Jahren auf Theaterbühnen und in TV-Serien 2011, als sie in gleich sechs Kinofilmen spielte. "Molly's Game", nach der gleichnamigen Autobiografie der ehemaligen Skiläuferein und Glücksspiel-Businessfrau Molly Bloom, die illegalle Pokerrunden für die Reichen und Mächtigen Hollywoods und New Yorks organisierte, ist das Regiedebüt des oscar-prämierten Drehbuchautors Aaron Sorkin ("The Social Network", "West Wing"). Ein typisch sorkineskes Werk: hohes Tempo, rasante Dialoge, Wortwitz, virtuose Zeitsprünge - und Chastain spielt eine Frau, die ihren Widersachern immer einen Spielzug voraus ist. Wir trafen die Schauspielerin zum Interview.

Mrs. Chastain, wann haben Sie das erste Mal bemerkt, dass Männer und Frauen nicht ebenbürtig sind, auch wenn die Gleichberechtigung im Gesetz steht?

Es muss bei den Wahlen 1984 gewesen sein, die Demokraten stellten als Vizepräsidenten-Kandidatin Geraldine Ferraro auf. Wir machten eine interne Wahl in der Klasse, und die Demokraten verloren. Als der Lehrer nach den Gründen fragte, meldete ich mich und sagte: Weil eine Frau so etwas nicht tun darf. Offenbar waren kleine Mädchen damals so programmiert. Es schockiert mich immer noch, denn es widerspricht allem, was ich heute bin. Wobei die Programmierung nach wie vor existiert: Bei Interviews werde ich immer wieder gefragt, warum meine Heldinnen nicht in einer Beziehung leben. Frauen fragen das übrigens öfter als Männer! Aaron Sorkin, der Regisseur und Drehbuchautor von „Molly’s Game“, antwortete darauf bei einem unserer gemeinsamen Interviews, bei Brad Pitt als Baseballtrainer in „Moneyball“ habe das niemand gefragt. Bei Männern geht es nur darum, was sie tun, nicht, wer ihre Freundin ist.

Sie spielen im Kino ohnehin vor allem Frauen, die sich in einer Männerwelt behaupten. Ihre Spezialität?

Nein, die Realität. Wir leben in einer patriarchalen Gesellschaft, oder etwa nicht? Nehmen Sie Molly in „Molly’s Game“: Ihre Familie, die Regierung, die Glücksspielindustrie, in der sie sich nach oben kämpft, alles ist männlich dominiert. Oder „Die Frau des Zoodirektors“, den ich davor gedreht habe. Ein ganz anderer Frauentyp, sanft, scheu, fragil, aber sie rettet Juden in Polen im Zweiten Weltkrieg. Sie schafft es, integer zu bleiben in einer grausamen Welt, in der die Männer die Regeln machen.

Ihre Astrophysikerin in „Interstellar“, die FBI-Topagentin in „Zero Dark Thirty“, die Washington-Lobbyistin Sloane in „Die Erfindung der Wahrheit“, die Poker-Königin Molly Bloom: Was unterscheidet die Frauen in ihren Männerwelten voneinander?

Murph in „Interstellar“ bekommt von den Männern keine Steine in den Weg gelegt, sie hat nicht das Gefühl, dass ihr Geschlecht sie einschränkt. Die beiden realen Figuren Elizabeth Sloane und Molly Bloom unterscheidet voneinander, dass Sloane alles Sinnliche fremd ist. Ihr geht es darum, ihren Job möglichst gut zu machen, ihre Kleidung dient ihr als Uniform. Selbst wenn sie isst oder wenn sie Sex hat, ist sie von ihren Gefühlen abgeschnitten. Molly ist viel fragiler. Sie nutzt ihre Sinnlichkeit, um zur Chefin all dieser pokerspielenden Männer zu werden. Wir leben in einer Gesellschaft, die den Wert einer Frau nach deren sexueller Attraktivität bemisst. Also überlegt sie sich, wie kann ich mir das zulegen? Es gibt einen phänomenalen Schnitt von der Molly der ersten Pokerspiele zur Poker-Domina, da sieht sie aus wie eine Kardashian. Wer gilt als Inbegriff des Sexappeal in den USA? Die Kardashians.

Mollys Vater, Kevin Costner, sagt, sie wolle Macht über mächtige Männer erlangen. Ein Ziel für Frauen heute?

Er sagt es nur, um sie zu provozieren! Nein, das Ziel ist nicht Macht über Männer, sondern die Macht über dein eigenes Leben, deine Arbeit, deine Einkommensquelle – und über deinen Körper. In vielerlei Hinsicht haben Frauen nach wie vor nicht die Kontrolle über ihr Leben. Nehmen Sie nur das Gesundheitswesen und die Geburtenkontrolle: Männer stimmen ab und erlassen Gesetze, die essenziell die weibliche Gesundheit betreffen.

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Molly sagt Sätze wie „Ich wurde als Champion geboren“. Ehrgeiz als höchste Tugend, das klingt sehr amerikanisch.

Das ist natürlich eine Verallgemeinerung. Allerdings stimmt es, dass wir es feiern, wenn jemand Erfolg hat, vor allem, wenn er oder sie sich aus einfachsten Verhältnissen hochgeschafft hat. In anderen Ländern wirst du eher in eine bestimmte soziale Schicht hineingeboren und wenn du aufsteigst, strafen sie dich dafür ab. Wir Amerikaner lieben es, wenn jemand es aus sich heraus schafft, mit Talent, Willenskraft, Sehnsucht, harter Arbeit, Beharrlichkeit, Drive. Ich mag das, es inspiriert mich. Auch wenn es bei genauerem Hinsehen auch in den USA Privilegien gibt. Mancher hat es leichter, weil er mehr Geld hat, die bessere Familie oder die besseren Beziehungen.

Sie mussten selber sehr lange kämpfen, um sich als Schauspielerin durchzusetzen.

Ich habe diese Leidenschaft, unbedingt spielen zu wollen. Ich war auf dem College, spielte Theater und sagte mir: Keep moving. Es hat seine Vorteile, dass ich erst als Erwachsene in die Filmindustrie kam. Ab einem bestimmten Alter lässt man sich nicht mehr so leicht manipulieren.

Für einen Auftritt in der Jimmy-Fallon-Show Ende 2017 drehten Sie den Videoclip „Hi, I’m Angela“, eine kurze Satire über die unterschiedliche Behandlung bei Castings. Der Mann bekommt die Rolle sofort, Sie als Frau müssen zigmal einen blöden Satz wiederholen, in immer neuen Varianten.

Sie glauben ja nicht, welche lächerlichen und scheußlichen Ansagen man sich bei solchen Vorsprechterminen anhören muss. Sagen Sie das härter, sagen Sie das jünger, und man selber sagt auch noch: Kein Problem! Du willst ja den Job unbedingt. Den Sketch haben übrigens zwei junge Frauen geschrieben. Je mehr Frauen für solche TV-Shows Texte schreiben, desto mehr kommen dort auch Frauengeschichten vor und die Gender-Dynamik wird in Gang gesetzt.

Letztes Jahr waren Sie in Cannes in der Jury. Bei der Palmen-Verleihung sagten Sie, die Frauenbilder in den Wettbewerbsfilmen hätten Sie doch sehr irritiert.

Frauen im Kino haben nach wie vor oft keine Stimme. Ihr Standpunkt, ihre Agenda, ihre Bedürfnisse kommen nicht zum Ausdruck, abgesehen vielleicht von der Sehnsucht nach einem Mann. Ich selber mache solche Filme nicht. Ich spiele weibliche Charaktere, die sich nicht über ihre Beziehungen definieren, sondern durch das, was sie tun und was sie sagen. Es war ganz schön hart in Cannes, und ich dachte, Moment mal, was wird uns hier eigentlich für eine Welt gezeigt? Alle vier Frauen in der Jury fanden das nicht gerade angenehm: Fan Bingbing, Maren Ade und Agnès Jaoui haben sich ähnlich geäußert.

Sexappeal als Waffe: Jessica Chastain in "Molly's Game".
Sexappeal als Waffe: Jessica Chastain in "Molly's Game".

© SquareOne Entertainment

Gibt es denn im Lauf der Jahre einen Fortschritt bei den Frauenbildern im Kino?

Eher im Gegenteil. In den dreißiger Jahren gab es tolle Charaktere, man denke nur an Katherine Hepburn oder Greer Garson. Das hielt sich nicht lange, was vielleicht mit dem immer rigideren Moralkodex in Hollywood zu tun hatte. Frauen wurden bald auf Stereotype zurechtgestutzt.

Es gab aber immer mal wieder autonomere Heldinnen, etwa Anfang der neunziger Jahre im Windschatten von „Thelma & Louise“. Sie blieben die Ausnahme.

Wir brauchen mehr Frauen, die Filme machen, mehr Frauen hinter der Kamera, mehr Frauen in Machtpositionen, in allen Bereichen. Nur dann ändert sich auch auf Dauer etwas.

Ist das Ihre Schlussfolgerung aus MeToo?

Mit dem Weinstein-Skandal gerieten zunächst die Schauspielerinnen in den Fokus. Wir stehen nun mal im Scheinwerferlicht. Aber es geht nicht nur um die Medienindustrie und die unrühmliche Vergangenheit von Hollywood. Wobei wir aufhören sollten, Jack Warner, Louis B. Mayer oder Fatty Arbuckle als Größen der Filmgeschichte zu huldigen. Sie alle haben Schauspielerinnen missbraucht, sie sind vermutlich Kriminelle. Es geht auch nicht nur um Machtschauplätze wie das Weiße Haus, sondern um etwas der Gesellschaft Immanentes. Wann immer eine demografische Gruppe für den Lebensunterhalt einer anderen Gruppe zuständig ist, kommt es mit der existenziellen Abhängigkeit auch zu Machtmissbrauch. Wir Schauspielerinnen erhielten einen wunderbaren Brief von amerikanischen Landarbeiterinnen, 700 000 Frauen haben unterschrieben. Sie erzählen darin, unter welchem Missbrauch sie zu leiden haben.

Tun Sie denn auch ganz konkret etwas, um den jetzt überall geforderten Bewusstseinswandel zu unterstützen?

Ich drehe mindestens einmal im Jahr unter der Regie einer Frau. Frauen brauchen Sprungbretter, selbst die talentiertesten. 2017 habe ich mit Niki Caro „Die Frau des Zoodirektors“ realisiert, jetzt dreht sie mit „Mulan“ einen 100-Millionen-Dollar-Film für Disney. Jeder kann etwas tun: Welches Kinoticket kaufe ich mir? Bei welcher Firma kaufe ich ein? Wie viele Frauen sind im Vorstand der Firma? Hat das Unternehmen eine Missbrauchsgeschichte? Wer Geld ausgibt, hat Einfluss und Macht, das sollten wir nicht unterschätzen.

Regisseur und Drehbuchautor Aaron Sorkin.
Regisseur und Drehbuchautor Aaron Sorkin.

© SquareOne Entertainment

Auf der Liste der historischen Frauengestalten, die Sie gerne einmal spielen würden, finden sich Ingrid Bergman, die Countrysängerin Tammy Wynette …

… und noch viele mehr. Meine jüngste Favoritin ist Belva Lockwood. Sie kandidierte 1884 als US-Präsidentin, als es noch gar kein Frauenwahlrecht gab. Sie wurde von Tausenden Männer gewählt und war außerdem die erste Frau, die als Anwältin einen Fall vor dem Supreme Court verhandelte. Viele Frauen, die Geschichte geschrieben haben, stehen nicht in den Geschichtsbüchern. Dabei sollten wir sie feiern, denn sie haben den Weg geebnet, auf dem wir jetzt gehen. Es liegt jetzt in unserer Verantwortung, den Weg für die nächste Generation zu ebnen.

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