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Jens Friebe.

© Mikko Gaestel/promo

Jens-Friebe-Album: „Nackte Angst zieh dich an wir gehen aus“: Quatsch und Tod

Existenziell, elektrisch, ekstatisch: Jens Friebes neues Indie-Disco-Album „Nackte Angst zieh dich an wir gehen aus“. Man wird es jetzt wohl ein paar Wochen vor sich hin singen müssen.

Ist es eine mystische Todesfee, die einem irgendwo in den Katakomben eines Clubs begegnet, nackt bis auf den Nagellack, das schwarze Shirt um den Kopf gewickelt? Oder ist die rauchende Namenlose, die dem Betrachter vom Cover des neuen Jens-Friebe-Albums aus einem Auge entgegenblickt, eine schick vermummte Umstürzlerin kurz vor Erstürmung der Party-Barrikaden?

Beides stimmt, beides fließt in die Atmosphäre dieses kleinen Wunderwerks mit ein, das am heutigen Freitag erscheint. „Nackte Angst zieh dich an wir gehen aus“, heißt Jens Friebes fünftes Album, es kommt ohne Punkt und Komma im Titel, dafür mit elf fantastischen Ohrglühwürmern. Der Berliner Musiker, 38 Jahre alt, gebürtiger Lüdenscheider, Kolumnist des Musikmagazins „Intro“, bringt seit zehn Jahren seine Indie-Disco-Stücke heraus (Top-Hit „Lawinenhund“, 2005!), die stets ziemlich verlässlich in die Birne und in die Beine gehen.

Dabei zieht sich eine angenehme Melancholie durch das neueste Werk, nicht schwer, sondern schwebend: „Nackte Angst, zieh dich an, wir gehen aus“, verkündet Friebe im Titelsong, einer sanften Klavierfantasie, Streicher schrauben den Refrain in die Höhe, der düstere Ball beginnt: „Wir gehen hin, wo die Dinge verschwimmen / wo das ewige Eis schmilzt im Drink.“ Hach.

Die neue, dunkle Klangfarbe steht Friebe gut

Oder das leise „Schlaflied“, das in dunklen Zonen herumschwirrt, vollkommen unpeinlich, bei allem Piano und aller sanften Singstimme – wie Friebe sowieso jedes Pathos augenzwinkernd umspielt: „Mit allen, die man nicht vergessen kann / und allen, mit denen man nicht schlafen darf / schläft man im Schlaf.“ Oder die nachdenkliche Ballade „What will death be like“, einer ins Deutsche gebrachten Adaption des gleichnamigen Songs des schottischen Exzentrikers Nicholas Currie, genannt Momus. Das alles wirkt wohlgesetzt, souverän, reif – diese neue, dunklere Klangfarbe steht Jens Friebe sehr gut.

Ansonsten möchte man eigentlich die ganze Zeit nur tolle Zeilen zitieren. Denn Jens Friebe ist ein höchst origineller Popmusiktextautor, sehr sprachwitzig und mit Mut zu abgründigen Bescheuertheiten wie der folgenden Stelle in der flott daherstampfenden Silvester-Endzeit-Vision „Warum zählen die rückwärts Mammi“, die die Lage nach dem großen Kometeneinschlag beschreibt: „Was dann, was dann, was dann / oh, mein Gott, wär das nicht spannend / wir hätten superschlechte, endzeiteske Bondage-Sachen an.“ Später ist man dann wieder beim Bleigießen.

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Jens Friebe steht als sympathischer Solitär in der deutschsprachigen Poplandschaft herum, ein bisschen künstlerischen Anschluss hat er in Christiane Rösingers Kreuzberger Flittchenbar. Mit dem aktuellen Album ist Friebe zum neuen Indie-Lieblingslabel Staatsakt gewechselt, zuvor war er bei Zickzack, der NDW- und Hamburger-Schule-Institution von Punk-Mäzen Alfred Hilsberg. Die Trennung verlief offenbar im Guten, auf seiner Homepage bedankt Friebe sich für die „weiterhin anhaltende Freundschaft“. Aber es gibt Kontinuität: „Nackte Angst...“ entstand, wie die vorherigen Alben, in Zusammenarbeit mit dem Produzenten Berend Intelmann (Ex-Paula) und dem „Bei-weitem-nicht-nur-Schlagzeuger“ (Friebe) Chris Imler.

Elf sehr unterschiedliche, sehr abwechslungsreiche Lieder

Und es ist ja nicht so, dass die elastischen Melodien, das schlau Funpunkige verschwunden wären. In „Hölle oder Hölle“, dem allerersten Stück, puckert das Bassdrum-Herz, klimpert das Keyboard ein biestiges Stakkato, der Hörer fängt innerlich an zu hüpfen, während Friebe im Refrain Uneinverstandenheit demonstriert: „Und das Spiel heißt Hölle oder Hölle / machst du mit? / Die einen treten auf der Stelle / die anderen sind die Stelle, auf der man tritt.“ Das geht scharf gegen Herrschaft und Gewalt, gegen Ausbeutung und Gleichgültigkeit, das ist eingängig und sloganhaft, aber niemals simple Steinewerferlyrik.

Jens Friebe hat elf sehr unterschiedliche, sehr abwechslungsreiche Lieder aufgenommen – inklusive vertontem Rätsel aus dem Easyjet-Bordmagazin („Guess which celebrity partied too hard on their 18th (or not)“ - gesungen von Justine Electra). Beim Hören entsteht das Bild von Friebe als Zeremonienmeister, der mal in Eighties-Lederkluft, mal im Samtmantel, mal im T-Shirt und mal oben ohne über die Bühne springt. Der Mann zieht alle musikalischen und thematischen Register, untersucht das Leben in all seinen Facetten: politisch und (neu!) existenziell, elektrisch (das Algorithmen-Hasslied „Dein Programm“), erotisch (die Fick-mich-Hymne „Plot driven porn)“ – und ekstatisch sowieso. Wird man jetzt wohl einige Wochen vor sich hin singen müssen.

Das Album erscheint bei Staatsakt. Jens Friebe spielt am 16. Oktober im Bi Nuu.

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