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Musiker mit Plattenladen. Jeff Özdemir aus Kreuzberg.

© Thilo Rückeis

Jeff Özdemir auf dem Dach des HKW: Träume nicht, wenn der Regen fällt

Das vierte Wochenende des Festivals „21 Sunsets“ im HKW fällt beinahe ins Wasser. Am Ende ist der Trip durch die Musikgeschichte aber in trockenen Tüchern.

Von Jörg Wunder

Auf den Sonnenuntergang ist in diesem Sommer kein Verlass. So wird das vierte Wochenende des Musikfestivals „21 Sunsets“ im Haus der Kulturen der Welt seinem Namen erstmal nicht gerecht. Besorgte Blicke auf die Wetter-App registrieren 90 Prozent Regenwahrscheinlichkeit. Was misslich wäre, denn die Auftritte können durch die Corona-Logistik nicht von der Dachterrasse ins Innere des HKW verlegt werden. Doch die Veranstalter verkünden tapfer zwei Stunden vor Beginn im Internet: „Die Veranstaltung kann wie geplant stattfinden.“ Kann sie?

Um viertel vor acht, das Publikum tröpfelt eher unschlüssig ein, regnet es noch in Strömen. Kurz vor acht hört es tatsächlich auf. Hektisch werden die 250 auf der riesigen Terrasse verteilten Stühle – es herrscht Sitzpflicht – trockengefeudelt. Schirmherr Detlef Diederichsen spricht ein paar aufmunternde Worte (noch immer dräuen Regenwolken), und schon geht es, mit nur zehn Minuten Verspätung, los.

Jeff Özdemir ist der engagierte Betreiber eines Kreuzberger Plattenladens, aber mindestens ebenso leidenschaftlich pflegt er ein Netzwerk musikalischer Wahlverwandtschaften, aus denen sich in immer neuen Konstellationen Beiträge für die tolle Samplerreihe „Jeff Özdemir & Friends“ ergeben, deren dritter Teil kürzlich erschienen ist. Im HKW steht Jeff Özdemir’s Heart Repair auf der Bühne, ein gut eingegroovtes Quartett mit Jeff (der im bürgerlichen Leben weder Jeff noch Özdemir heißt) an Gitarre, Bass und Keyboard.

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Die meist instrumentalen Stücke der Herzreparierer tragen seltsame Titel wie „Eskalation Planet 2“, „Wann ruft sie mich an?“ oder „Der Mann, der voll nicht am Start war“ und klingen nach Filmmusik aus Spaghettiwestern, Siebziger-Jahre-Jazz, Blaxploitation-Funk, flutschigem Yacht-Pop oder Krautrock-Eskapaden. Ein von Kennerschaft und echter Liebe zum Forschungsobjekt befeuerter Trip durch die Musikgeschichte, der nie zur Nostalgieshow wird. In aller Seelenruhe kreisen die Songs um melodisch einprägsame Motive, über die entspannte Improvisationen wuchern. Schlagzeuger Denis Sushchenko gibt getragene Tempi vor, kann aber bei Bedarf auch mit manischen Motorik-Beats losgaloppieren.

„Mit der Umgebung verschmelzen, sich fallenzulassen“

Am auffälligsten im Soundgefüge ist Romy Pope, deren ernstes, unaffektiertes Querflötenspiel daran erinnert, wie wichtig dieses Instrument im frühen Krautrock (Tangerine Dream, Kraftwerk) war, ehe es sogenannte Virtuosen in Verruf brachten. Bei zwei Stücken darf Tigerlilly, im güldenen Paillettenkleid dem eher casual gewandeten Quartett Glamour verleihend, das Ganze mit ihrem Gesang veredeln. Dann wird es Zeit für den Umbau – bis 22 Uhr muss alles über die Bühne gebracht werden.

Unterstützt von einem Streichertrio, stellt Meredi ihr zweites Album „Trance“ vor. Die 28-jährige Berlinerin möchte es den Zuhörenden mit ihren Tracks ermöglichen, „mit der Umgebung zu verschmelzen, sich fallenzulassen.“ Dazu entlockt sie ihrem Konzertflügel elegische Tonfolgen, die mit Klangwolken aus dem Laptop und den sanft verfremdeten Streicherklängen eine perfekte Hintergrund-Soundkulisse bilden. Man denkt sofort eine Mystery-Serie dazu, die damit unterlegt werden könnte. Michael Nyman oder Yann Tiersen klingen in guten Momenten durch, in weniger gelungenen die Klangtapeten von Schiller.

Irritierend, dass die Streicher teils aus der Konserve kommen, obwohl die echten beschäftigungslos auf ihren Stühlen sitzen. Von Ferne mischt sich das Wummern der Partyboote unter Meredis einlullende Stücke, deren Reizarmut eine Art Trance auslösen kann: Wir atmen ein, wir atmen aus. Wie schön sich der Betonbogen des HKW wölbt. Ein Martinshorn. Hoffentlich nichts ernstes. Das Trockeneis wabert. Könnte ewig so weitergehen. Tut es aber nicht. Besser so, denn um kurz nach zehn beginnt es wieder zu schütten. Das hätte einen aus den schönsten Abendträumen gerissen.

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