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Die größten Biester des US-Hip-Hop. Jay-Z und Kanye West (unten) stilisieren sich im Booklet ihres Albums zu Raubkatzen. Fotos: Universal

© Universal

Jay-Z und Kanye West: Die Lehre der Leere

Gipfeltreffen des Hip-Hop: Jay-Z und Kanye West protzen auf ihrem gemeinsamen Album „Watch the Throne“ mit Reichtum, Tricks und Talent.

Von Jörg Wunder

Was, wenn ganz oben gar nichts ist? Was, wenn der Thron auf dem Pop-Olymp, die ewige Metapher für maximalen Ruhm und Erfolg, nur ein öder, einsamer Ort sinnloser Nichtigkeit wäre? Niemand kam dem Ziel aller Bemühungen eines Musikerlebens so nahe wie Michael Jackson. Ein paar Jahre hat er ganz oben gethront. Glücklich hat es ihn nicht gemacht.

In keiner Musikrichtung hat das Sinnbild des Throns mehr Berechtigung als im Hip-Hop. Zum einen ist Hip-Hop Wettbewerb pur: Meine Reime sind besser als deine. Und der bessere Rapper kriegt schnellere Autos, größere Villen, schönere Frauen, teurere Drogen. Seit den Neunzigern dreht sich die Spirale immer schneller, eine Entwicklung, die durch die einbrechenden Verkaufszahlen nur unwesentlich gebremst wurde. Denn längst sind die Stars des Genres branchenübergreifend aufgestellte Großunternehmer, die ihre aus dem Musikgeschäft resultierende Berühmtheit nutzen, um Modelabels, Kosmetiklinien, Schmuckeditionen oder Restaurantketten zu promoten.

Nun haben zwei der erfolgreichsten Hip-Hop-Akteure der letzten 15 Jahre ihre Kräfte vereint und sich auch gleich den passenden Namen ausgesucht: Jay-Z und Kanye West nennen ihr Duo-Projekt ganz unbescheiden The Throne, das Album heißt „Watch the Throne“. Das Cover ziert ein abstraktes Goldornament des Givenchy-Designers Riccardo Tisci – reine Angeberei: Seht her, das können wir uns leisten. Wir können uns unsere 40-Zimmer-Penthouses mit Goldkacheln auskleiden und haben immer noch genug Kohle für den nächsten Learjet.

Jay-Zs Partner in Crime: Kanye West mit Raubtiergebiss.
Jay-Zs Partner in Crime: Kanye West mit Raubtiergebiss.

© Universal

Selbst der Entstehungsprozess von „Watch the Throne“ ist eine Demonstration der unbegrenzten Möglichkeiten. Superstars ihres Kalibers müssen nicht mehr die Unbequemlichkeit herkömmlicher Aufnahmestudios in Kauf nehmen. Sie mieten stattdessen wochenlang ein paar Suiten in einem New Yorker Luxushotel und bestellen eine Riege prominenter Hip-Hop-Produzenten wie The RZA, Pete Rock oder Q-Tip zu Sessions ein.

Wer hätte anderes erwartet? Der 41- jährige Jay-Z schwadronierte in seinen 2010 erschienenen Memoiren unverblümt darüber, dass er gern in den Club der Dollarmilliardäre aufsteigen möchte. Nach über 50 Millionen verkauften Alben und dank diverser gut laufender Firmen ist die Hälfte dieses Ziels erreicht. Und der sieben Jahre jüngere, ähnlich geschäftstüchtige Kanye West hat sich stets durch sein Upper-Class-Gehabe von all den neureichen Rap-Proleten abgesetzt.

Doch es war Kanye West, der die thematischen Fesseln des Hip-Hop durch zwei Ausnahmewerke aufgebrochen hat: Sein 2008er-Album „808s & Heartbreak“ war der Seelenstrip eines Mannes, der nach dem Tod der Mutter und dem Ende einer langjährigen Beziehung allein dastand. Das im letzten Herbst erschienene „My Beautiful Dark Twisted Fantasy“ ging noch weiter und überblendete Wests Traumata mit einem apokalyptischen Gesellschaftsporträt der USA zum Psychogramm einer zerrissenen Nation.

Tatsächlich ist die Zeit für den Härter- Dicker-Reicher-HipHop wohl abgelaufen. Zwar werden auf „Watch the Throne“ nochmals die Attribute jenes hedonistischen Lifestyles durchdekliniert, der zwei Jahrzehnte lang als Role Model galt. In dieser Welt lassen Koks-Lines die braune Haut einer Geliebten wie ein Zebra aussehen und man rollt standesgemäß im Rolls Royce durch die Gegend („No Church In The Wild“), wird der Konsumrausch in schillernden Farben beschrieben („Niggas In Paris“) oder die Annehmlichkeit der käuflichen Sexualität abgewogen („That’s My Bitch“).

Dennoch schwingt in dieser Bestandsaufnahme häufig ein Unterton von Bedauern mit. Es klingt, als wären zwei reuige Sünder am Ende eines Wegs angekommen und hätten die Leere ihres Strebens nach immer noch mehr Ruhm und Reichtümern erkannt. Was noch lange nicht bedeutet, dass sie ihm entrinnen könnten.

Am deutlichsten wird dies in dem grandiosen Track „New Day“, in dem die beiden noch kinderlosen Männer selbstkritische Zeilen an ihre imaginierten Söhne richten: „And I’ll never let my son have an ego / He’ll be nice to everyone, wherever we go / I mean I might even make him be republican / So everybody know he love white people“, rappt West über schleppende Synthie-Beats, untermalt von einem elegischen Nina-Simone-Sample. Vermutlich ist niemand im Hip-Hop so sehr Gefangener seiner egozentrischen Wesensart wie West, der sich nicht nur mit diversen Kollegen, sondern auch mit zwei US-Präsidenten angelegt hat.

Bling Bling. Das Gold-Cover des Albums hat Givenchy-Desinger Riccardo Tisci gestaltet.
Bling Bling. Das Gold-Cover des Albums hat Givenchy-Desinger Riccardo Tisci gestaltet.

© Universal

Doch auch Jay-Z, von dem man eher glaubte, dass er mit seiner Superstar-Existenz, zu der eine stabil wirkende Ehe mit Beyoncé gehört, im Reinen sei, öffnet sein Herz: „Sorry junior, I already ruined ya / Cause you ain’t even alive, paparazzi pursuin’ ya / Sins of a father make your life ten times harder.“ Man kann das für die Selbstbespiegelung von Multimillionären am Rande der Midlife-Crisis halten. Und die Relevanz von „My Beautiful Dark Twisted Fantasy“ erreicht es nicht. Dennoch ist „Watch the Throne“ als Reflexion über die Lebenssphäre der Stars hoch interessant.

Vor allem aber ist das Album musikalisch ein Meisterwerk. Kanye West mag als Rapper technisch nicht an den Reimfluss von Jay-Z heranreichen. Dafür erweist sich West als Produzent und Autor wieder mal als größter Zauberlehrling des Hip-Hop, der in seinen atemberaubenden Klangcollagen die stilistischen Grenzen immer weiter verschiebt. Wie wäre es mit einem dramatischen Gangstarap-Score, den ein Dubstep-Sample in ein technoides Disco-Monster verwandelt? Bitte sehr: „Who Gon Stop Me“ hat einen der geilsten Sound Twists der jüngeren Pop-Geschichte. Dann gibt das um ein sensationell subtiles Sample arrangierte „Otis“, natürlich eine Hommage an den legendären Soul-Shouter Otis Redding. An anderer Stelle die bei West unvermeidlichen Synthiefanfaren und Autotune-Exzesse. Dies ist nie Selbstzweck, sondern Teil einer ausgeklügelten Dramaturgie. Und es gibt grundsolide State of the Art-Tracks wie „Murder To Excellence“ oder „Gotta Have It“, die auch dem wertkonservativen Fan gefallen dürften. Man sollte übrigens die paar zusätzlichen Euro für die Deluxe-Version investieren: Die vier Bonus-Stücke, darunter die Vorab-Single „H.A.M.“ mit Sandalenfilm-Chorälen und Großraumdissen-Gewummer, gehören zu den aufregendsten des ganzen Albums.

Wenn wir Kanye West und Jay-Z glauben, wird man auf dem Hip-Hop-Thron auch nicht glücklicher. Aber zumindest ist die Aussicht fantastisch.

„Watch the Throne“ erscheint am heutigen Freitag bei Def Jam/Universal

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