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Jason Schwartz wurde in New York geboren und lebt heute in Florida.

© Diaphanes

Jason Schwartz’ Roman „Johann der Posthume“: Wenn Fensterläden vor Seuchen warnen

Eine morbid-poetische Wunderkammer: Jason Schwartz’ Roman „Johann der Posthume“ entwickelt sofort einen Sog.

Das Augenfälligste an diesem Roman sind seine Auslassungen: Wir wissen nicht, wer hier erzählt, wann, wo oder warum – und doch entwickelt der mikroskopisch justierte Blick in „Johann der Posthume“ einen sofortigen Sog. Jason Schwartz’ „Post-Gothic-Roman“ (so will es der Verlag in seinem Klappentext) ist vor allem eines: eine minutiöse Tatortbegehung, die Raum und Zeit nonchalant missachtet und zugleich jedes Detail mit Bedeutung auflädt.

In drei Abschnitte gegliedert, führt uns die rätselhafte Elegie durch verlassene Kolonialhäuser in Pennsylvania, angesiedelt irgendwo zwischen puritanischer Kargheit und Vorstadt-Tristesse der fünfziger Jahre des 19. Jahrhunderts. Wohin man auch blickt, zeugen Architektur und Mobiliar, ja selbst Tapetenmuster von unbenannten Schrecknissen. „Markierungen an einer Tür, häufig eine Ansammlung von Kratzern oder Gravuren, können auf den Verlust einer Tochter hindeuten“, heißt es an einer Stelle lapidar.

„Narben an den Türen" werden zum wiederkehrenden Motiv, ebenso wie der inflationäre Gebrauch bestimmter Wörter und Wortgruppen, zum Beispiel „Feuer“, „Flammen“ und „Messer“, aber auch „Ehefrau“ und „Bett“. Da Jason Schwartz auf eine stringente Handlung verzichtet, bleibt einem kaum etwas anderes übrig, als die Einladung zum Detektivspiel anzunehmen und der semiotischen Schnitzeljagd durch den Text zu folgen. Steckt in der obsessiven Wiederholung „verbrannter Vorhänge“ und „fallender Körper“ das implizite Geständnis eines Mörders? Oder der Hilfeschrei eines traumatisierten Zeugen?

Man könnte während der Lektüre viel Zeit auf Wikipedia verbringen

Zusätzliche Hinweise liefern scheinbar zusammenhanglose Ausflüge in die Insektenkunde, Bibelauslegungen sowie diverse zweifelhafte Wort-Herleitungen. So befassen sich mehrere Passagen mit der Geschichte des Ehebruchs und dessen Bestrafung, vom Alten Testament bis ins 20. Jahrhundert. Immer wieder eröffnet der Erzähler fragwürdige Etymologien, wie etwa: „Das Wort Adulter kommt von Schrei – was zweifellos ins Bewusstsein ruft, wie die Bettdecke zurückgeschlagen ist – und von alterieren statt von Altar via plündern“, nur um sie wenig später zu widerlegen.

Dieses beständige Antäuschen ist Programm: Während sich manche Fakten überprüfen lassen – den titelgebenden König Johann etwa gab es tatsächlich –, relativieren sich andere durch Zusätze und Einschübe, die auf folkloristische oder mythische Ursprünge hindeuten. So könnte die Behauptung „Hochzeitsbetten in Pennsylvania wurden mit Rosshaar und Schweinsborste gepolstert“ noch als historisch verifizierbar durchgehen. Doch bereits der nächste Satz: „Oder, unter den merkwürdigsten Umständen, mit Mädchenhaar und vergifteter Ackererde“ verweist wohl eher ins Reich der schwarzen Magie. Man könnte während der Lektüre sehr viel Zeit auf Wikipedia verbringen, um sich ein Mindestmaß an Gewissheit zu verschaffen. Mehr Sinn macht es allerdings, die morbid-poetische Wunderkammer als Zeichen der geistigen Verfassung des Erzählers anzunehmen, als sie einem akribischen Faktencheck zu unterziehen.

Dichte und Präzision wie sonst nur in der Lyrik

Dass Schwartz in den neunziger Jahren vom Herausgeber und Raymond-Carver-Lektor Gordon Lish entdeckt und erstmals veröffentlicht wurde, verwundert nicht – schließlich galt Lish als Meister der Auslassungen. Im Gegensatz zu Carver jedoch bewegt sich Schwartz denkbar weit weg vom Erzählerischen.

Stattdessen zeichnet er gestochen scharfe Bilder von traumhafter Dichte und zugleich wissenschaftlicher Präzision, wie sie sich sonst eher in der Lyrik finden. Seine Schauplätze möglicher Verbrechen mit Personal auszustaffieren, überlässt Schwartz indes den Lesern und Leserinnen. Woher die Brandflecken rühren, was es mit dem „lebendig begrabenen Kind“ auf sich hat – all das bleibt Gegenstand unserer Spekulationen.

[Jason Schwartz: Johann der Posthume. Aus dem amerikanischen Englisch von Andreas L. Hofbauer. Diaphanes Verlag, Berlin 2019 120 S., 10 €.]

An vielen Stellen hat der Roman auch trockenen Humor

Trotz seiner Anachronismen kann das Bändchen auch gelesen werden als durchaus aktuelle Meditation über unser Verhältnis zum permanenten Informations-Overload, aus dem sich nur mühsam Wahrheiten herausfiltern lassen. Einen zentralen Stellenwert räumt Schwartz der nonverbalen Sprache von Gebäuden und Gegenständen ein, sei es eine bestimmte Stellung der Fensterläden, die vor Seuchen warnt, eine Gardinenbewegung, die heimliche Liebhaber anlockt, oder die in die Architektur eingeschriebene Spur eines Mordes. „Karten des Körpers in frühen Anatomien zeigen die Organe als Häuser einer Stadt“ ist hier vielleicht ein Schlüsselsatz – und entlarvt die im letzten Abschnitt geschilderte Autopsie als ultimative Tatortbeschau.

„Johann der Posthume“ ist sinister, an vielen Stellen hat der Roman auch viel trockenen Humor, so im nahtlosen Übergang der „Abmessung der Braut“ zur „Abmessung der Toten“, in der tragisch-banalen Archäologie von Haushaltsgegenständen oder dem jähen Schwenk von einer Autopsie zu traditionellen Kuttelrezepten. Den beinahe taktilen Rhythmus dieses literarischen Kleinods ohne nennenswerte Verluste ins Deutsche übertragen zu haben, ist dem Übersetzer Andreas L. Hofbauer hoch anzurechnen.

Anja Kümmel

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