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Die Sängerin und Schauspielerin Jane Birkin, 74, kam in London zur Welt und wohnt seit den Siebzigern größtenteils in Paris.

©  Angela Weiss/AFP

Jane Birkin im Interview: „Zufälle muss man umarmen“

Die britische Sängerin Jane Birkin über die Liebe, ein einsames Jahr in Paris und ihr neues Album „Oh! Pardon Tu Dormais“.

Von Katja Schwemmers

Frau Birkin, wo erwische ich Sie gerade?
Ich bin in Paris in meiner Wohnung. Ab und zu muss ich aus dem Haus, um eine Radiostation aufzusuchen. Ich hatte ja Glück. Mein Album „Oh! Pardon Tu Dormais“ ist trotz Lockdown fertig geworden. Die Stimmaufnahmen passierten noch im März. Im Juni musste ich zurück ins Krankenhaus, weil es mir nicht so gut ging. Und als ich wieder rauskam, war die Orchestrierung des Albums praktisch fertig.

Warum waren Sie im Krankenhaus?
Nicht wegen Covid, wegen der Leukämie, die ich schon seit einigen Jahren habe. Aber mir geht’s wieder gut. Es war letztendlich nur eine Routine-Behandlung. Es war sogar ziemlich schön im Krankenhaus. Davor war mir so langweilig. Im ersten Shutdown war ich nur allein Zuhause. Ins Krankenhaus zu gehen war eine willkommene Flucht.

Sie haben also auch Ihre Töchter Charlotte Gainsbourg und Lou Doillon, die auch Musikerinnen sind, nicht gesehen?
Nein, niemanden. Das ging auch gar nicht. Charlotte war mit ihren Kindern in New York, sie bekam Covid. Lou war zwar in Paris, aber blieb in ihrem Appartement. Sie ging gar nicht mehr vor die Tür.

Aber ich konnte sie wenigstens jeden Tag auf diesem Ding, wie heißt es noch gleich, auf Instagram sehen. Da hat sie eine tolle Show gemacht, bei der ich manchmal mitmischen durfte. Bei alten Leuten traut sich dieser Tage eh keiner mehr vorbeizukommen, weil alle Angst haben, das Virus weiterzugeben. Es war also ein ziemlich einsames Jahr für mich.

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Macht es Sie stolz, dass Ihre Töchter in Ihre Fußstapfen treten?
Ich freue mich vor allem für beide, dass sie sich kreativ ausdrücken können. Sie machen Dinge, die sie glücklich machen, sie werden gefeiert und bewundert für das, was sie tun; nicht für ihre Gesichter, so wie es bei vielen anderen der Fall ist.

Ein Duett mit Ihren Töchtern gibt es auch auf Ihrer neuen Platte nicht.
Die hat ja auch nichts mit ihnen zu tun. Dieses Album nimmt Bezug auf das gleichnamige Bühnenstück, das ich vor 20 Jahren geschrieben habe, sowie den späteren Film. Es handelte von einer Trennung zwischen einem Mann und einer Frau. Der Sänger und Komponist Étienne Daho sah die Aufführung und wollte damals schon meine Texte in Musik kleiden.

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Aber es brauchte noch ein paar Jahre, bis Sie sich ihm anvertrauten?
Ja, meine Tochter Kate starb 2013, ich schrieb drei bis vier Songs darüber. Ich habe sieben Jahre kein Wort über ihren Tod verloren. Aber wenn ich mich nun künstlerisch ausdrücke, dann muss ich es zuallererst mal über sie tun.

Hatte das eine kathartische Wirkung?
Nein, nichts kann mich von dem Schmerz befreien. Du lebst einfach weiter. Mein Bruder verlor seinen Sohn, als dieser 20 war. Annos Tod bei einem Autounfall war grausam. Ich habe noch nie Jemanden so am Boden zerstört gesehen wie meinen Bruder – und ich habe wirklich schon einige Tragödien miterlebt. Aber ich hatte immerhin das Glück, Kate 47 Jahre in meinem Leben zu haben. Es war eine wundervolle, wenn auch turbulente Beziehung.

Verfolgen Sie die Geister der Vergangenheit in Ihre Träume? Der Song „Ghosts“ legt das zumindest nahe.
Es ist eher so, dass ich sie herbeisehne. Es sind die Geister, die ich rief. Vermutlich ist das sehr englisch. Es ist eine Hoffnung, dass sie kommen und dich mitnehmen in das Land, das du kanntest, als du jung warst. So ein bisschen wie Peter Pan.

Sie fliehen in Ihr Nimmerland?
Es ist nicht jede Nacht gleich. Ich fühle es nicht immer. Aber der Song wurde von der Idee inspiriert, ein Refugium zu finden. Das ist doch das Großartige beim Songwriting: Du kannst übertreiben und versuchen, die Dinge schöner zu machen, als sie waren oder sind.

[Jane Birkin: „Oh! Pardon Tu Dormais“ erscheint bei Universal.]

Serge Gainsbourg hat Ihnen wundervolle Lieder auf den Leib geschrieben. Ist es schwierig, dem musikalisch etwas entgegenzusetzen?
Die Songs, die Serge mir nach der Trennung gab, waren Lieder über seine Traurigkeit. „Fuir le bonheur de peur qu’il ne se sauve“ oder „Les dessous chics“ – all diese wunderbaren Stücke handeln von der Misere, durch die er ging. Er erwartete von mir, dass ich seine Seite der Geschichte singe. Ich habe das getan; die vielen Jahre über als er am Leben war und noch mal weitere 30 Jahre nach seinem Tod. Aber nachdem ich mein Leben lang über seine Gefühle gesungen habe, fand ich, dass es mal an der Zeit wäre ein Album zu machen, das meine Gefühle repräsentiert.

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Fühlt sich das wie eine Befreiung an?
Solche Gedanken habe ich nicht. Ich freue mich einfach nur, dass die Leute es mögen. Lange Zeit dachte ich, ich wäre nur sein Produkt. Dass das britische „Mojo“-Magazin dem Album vier Sterne gab, hat mich auch deshalb überrascht.

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Die freiheitsliebende, provozierende „Jane B.“, die sie Leute lieben, hätte es ohne Gainsbourg aber gar nicht gegeben, oder?
Nein. Er war derjenige, der mich ermutigt hat. Als ich noch in England lebte und diese desaströse Ehe mit John Barry führte, war ich so unglücklich. Meine Eltern hatten mich gewarnt: „Heirate nicht! Er ist zu attraktiv, den bist du gleich wieder los.“ Aber ich wollte es nicht wahrhaben. Ich dachte, ich hätte den wundervollsten Ehemann der Welt. Den Rat hätte ich annehmen sollen. Mein Baby Kate war das Einzige, was mich aufmunterte. Alles, was Spaß machte, passierte erst nach meinem Umzug nach Frankreich.

Ihre Hauptrolle im Film „Slogan“ von 1969 sorgte für das schicksalhafte Treffen.
Ja, ich begegnete Serge. Er fand mich schön. Wir sangen „Je t'aime … moi non plus“, das Lied wurde plötzlich zum Riesenhit. Wir bekamen eine zweite Tochter, wir machten all die Fotografien für die Ewigkeit und hatten so viel Spaß bei Auftritten im Fernsehen. So ein Leben hätte ich ganz sicher niemals in England führen können. Auch deshalb habe ich Paris in über 50 Jahren nicht den Rücken gekehrt.

Wie haben Sie es geschafft, nach der Trennung mit ihm befreundet zu bleiben?
Ich habe gar nichts geschafft. Ich wollte natürlich gerne mit Serge befreundet sein. Aber ich war diejenige, die weggelaufen war mit einem anderen Mann, es war also nicht unbedingt davon auszugehen. Doch es war mein Glück, dass Serge mich in seinem Leben behalten wollte, auch als er schon längst eine neue Bindung mit Bambou hatte. Wir wurden zu den Freunden, die wir nie waren, als wir noch liiert waren. Wir waren einfach zu sehr damit beschäftigt, das Leben voll auszukosten. Es war nun mal eine außergewöhnliche Zeit mit einem außergewöhnlichen Mann.

Was haben Sie über die Liebe gelernt?
Das ist, als würden Sie mich fragen: „Wie haben Sie gelernt zu atmen, als Sie geboren wurden?“ Ich weiß es nicht, ich liebte einfach. Aber was ich mitgenommen habe, ist, auf das Schicksal zu vertrauen. Ich glaube daran, dass du jede Zufälligkeit mit offenen Armen annehmen musst. Denn sie könnte dein Leben verändern.

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