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Die Journalistin und Schriftstellerin Jana Hensel, geboren 1976 in Leipzig.

© Michael Mann

Jana Hensels Debütroman „Keinland“: Zwischen Berlin und Tel Aviv

Zonenkind verliebt sich in den Sohn von Holocaust-Überlebenden: Jana Hensels Roman „Keinland“ erzählt die Geschichte eines von der Historie imprägnierten Paares.

Viel ist in Jana Hansels erstem Roman „Keinland“ von Ländern die Rede, merkwürdigen Ländern wie dem „Meinland“ oder „Deinland“, dem „heilenden Land“ und dem „heiligen Land“. Und dann gibt es das „falsche Land“, das mit dem „Meinland“ zusammenfällt. Denn die Ich-Erzählerin dieses grenzüberschreitenden „Liebesromans“ – so die Genrebezeichnung – hat eine DDR-Sozialisation im Gepäck, die sie in Tiefen geprägt hat, an die kein Systemwechsel heranreicht.

Kurz: Nadja ist ein lebenslanges Zonenkind, um den Titel von Jana Hensels Ostbefindlichkeits-Bestseller von 2002 zu zitieren. Seit 1989 ist für sie überall Ausland, auch wenn sie inzwischen im weichgezeichneten Prenzlauer-Berg-Milieu lebt. Im Roman spricht Nadja allerdings nie von der DDR, sondern eben vom „falschen Land“. Das hat einen leichten, untergründigen Trotz, weil sie das Land ja durchaus nicht als „falsch“ empfunden hat, sondern als gewohnte und liebgewordene Lebenswelt ihrer jungen Jahre, als zumindest halbrichtig also. „Falsch“ – das ist die ironisch übernommene Wertung der Geschichtssieger, der Bundesrepublikaner, die ihr Land mehr oder weniger selbstgefällig für das „richtige“ erklärten.

Liebe als deutsch-jüdische Versöhnungsleistung

Zum Liebesroman gehören zwei. Der andere ist nicht zufällig ein Mann aus einem Land, das ebenfalls stark befestigte Grenzanlagen kennt und von nicht wenigen als „falsches“ Land denunziert wird: Martin Stern aus Tel Aviv. Ein Israeli. Ein Jude. Ein Kind von Holocaust-Überlebenden, aufgewachsen in den sechziger Jahren in Frankfurt am Main. Auch er wird bedrängt von Gespenstern der Vergangenheit, ein rastloser Mann, verloren und beinahe verflucht. Eine Gestalt, die Züge des alten Ahasver-Motivs aufzunehmen scheint, wobei die ewige Wanderschaft zur Beziehungsunfähigkeit umgedeutet wird. Gegenüber Nadja macht er sich zum Rätsel: „Du verstehst mich nicht. Du weißt nicht, was in mir vorgeht … Mich verstehen nur jene, deren Leute auch als Aschehaufen in den Wolken aufgegangen sind. Meine Leute, nicht deine … Ich bin verloren. Und ich habe in diesem Verlorensein so viele Frauen in den Abgrund gerissen.“ Wie Nadja gefällt sich Martin im Pathos des Paradoxen, in der existenziellen Spannung unaufhebbarer Widersprüche: „Ich hasse die deutsche Sprache. Ich liebe sie“, meint er einmal.

Diese Geschichte eines Paares ist imprägniert von der Historie. So bekommt sie Dringlichkeit und Relevanz; andererseits wirkt die Konstellation einer versuchten Liebe als deutsch-jüdischer Versöhnungsleistung arg plakativ: „Wir haben beide geglaubt, mit Liebe geht das … Mit Liebe könne man dem beikommen, was gewesen ist. Dass meine Leute seine Leute in den Tod geschickt haben.“

Hensel hat den Blick für signifikante Details

Am Anfang dieser nicht chronologisch erzählten Geschichte steht eine Interviewanfrage. Nadja ist Journalistin; sie nimmt per Mail Kontakt mit Martin auf, weil ihr Chefredakteur von ihr eine Reportage über Länder „mit Mauern“ wünscht. Martin Stern arbeitet als Berater, er ist Spezialist für deutsch-israelische Wirtschaftsbeziehungen. Nadja fliegt nach Israel. Schon beim ersten gemeinsamen Abend in einer Tel Aviver Strandbar sagt Martin einen Satz, den bindungswillige Frauen hinreißend finden mögen und der für Nadja zu einer Art Mantra wird: „Ich wünsche mir nichts so sehr wie ein Kind.“

Die 1976 geborene Jana Hensel hat ihren Stil als Reporterin geschult, sie hat den Blick für signifikante Details, die sie gern als Leitmotive wiederholt. Poetisch ist ihre Prosa in den besten Passagen, öfter aber rutscht sie ab ins Raunend-Betuliche, in pseudobedeutungsvolle Formulierungen wie „schon morgen wirst du gestern gegangen sein“. Die Beschwörung des Abwesenden in der heiklen Du-Form verführt zu einem Pathos, das hohl tönt und selten durch witzige Anflüge gebrochen wird.

Liebe ist komplizierter als die Sehnsucht nach ihr

Dass Menschen in Zeiten der Verflüchtigung in den sozialen Medien und dank einer nomadischen Lebensführung immer weniger zu verlässlichen Bindungen fähig oder willens sind – das mag immerhin ein zeitgemäßer Befund sein. Partner wie Martin Stern sind Geliebte und Liebhaber, die warten lassen, wandelnde Geduldsproben, die ihre Unzuverlässigkeit zum Lebensstil verklären. Unmögliches verlangt er von Nadja: „Geh weg und komm her, komm her und geh weg. Am besten beides zugleich, am besten beides im gleichen Augenblick.“

Letztlich ist auch Nadja Nähebedürftige und Nähevermeiderin zugleich. Deshalb geht ihr Seufzerton irgendwann auf die Nerven. „Wie gern würde ich jetzt meine Hände noch einmal in deine legen. Aber auf Twitter und Facebook geht das leider nicht“, klagt sie; eine unter vielen banalen Einsichten. Liebe ist komplizierter als die Sehnsucht nach ihr. Und deshalb gibt es Liebesromane wie diesen. Er spielt am See Genezareth und in Berlin, auf einer Konferenz in München und in der Gedenkstätte von Yad Vashem. Vor allem aber im Kopf einer Ich-Erzählerin, die nach einem Jahr wieder allein ist. Allein mit ihrer Sehnsucht und ihrer Schwermut.

Jana Hensel: Keinland. Ein Liebesroman. Wallstein Verlag 2017, 198 Seiten, 20 €.

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