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Sempre allegro: Jan Vogler, geboren 1964 in Berlin.

© Marco Grob

Jan Vogler und die Corona-Krise: "Die Leute sind so hungrig auf Kultur"

Jan Vogler will in der Pandemie nicht verzagen. Der Cellist und Festivalmacher macht sich lieber Gedanken über die Zukunft der Klassik.

Jan Vogler ist ein unerschütterlicher Optimist. Mit der Tatkraft, die der Cellist ausstrahlt, könnte er lässig ein komplettes Streichquartett versorgen. Und es gibt eigentlich auch kein Problemfeld, dem der 57-Jährige nicht einen positiven Aspekt abgewinnen könnte. Selbst für das Streaming von Konzerten kann er sich erwärmen - und er ist sich sicher, dass diese Notlösung, die Klassikfans in Pandemiezeiten als schwachen Trost für Liveerlebnisse zu akzeptieren gelernt haben, nach dem Ende der Corona-Krise fortbestehen wird. 

„Die digitale Konzerte werden die Live-Veranstaltungsbranche nicht bedrohen“, sagt Vogler im Telefoninterview, „denn das eine ersetzt nicht das andere: Das Streamingformat wird als ergänzendes Erlebnis daneben bestehen. Und es wird uns helfen, in der technikaffinen jungen Generation mehr Fans für die Klassik zu gewinnen.“

Die Vorteile des digital übertragenen Konzertes sieht er in zum einen in der Nähe des Zuschauers zu den Musikern, die sich durch die Kameraführung herstellen lässt. Und zum anderen in der Möglichkeit zur Interaktion der User untereinander: „Während man der Musik lauscht, kann man sich gleichzeitig im Chat unterhalten“, schwärmt er. „Der eine schreibt: Ich bin in Kalkutta!, ein anderer sendet Grüße aus New York. So fühlt sich das Publikum auch über Tausende von Kilometern hinweg als Gemeinschaft.“ In diesem Lagerfeuer-Effekt liegt für Vogler die „Magie der technischen Zukunft“.

Im Internet kann Klassik die jungen Leute erreichen

Gestärkt wird seiner Meinung nach außerdem der Verbund zwischen Künstlern und Publikum. „Wir haben die digitale Revolution noch nicht richtig für uns genutzt!“, sagt der Cellist. „Nämlich, um Musik in einer Art zu verbreiten, die die Lebendigkeit der klassischen Musik vermittelt.“ Und der Ort, an dem man die Leute denkbar niedrigschwellig erreichen kann, ist nun einmal das Internet.

Die Art und Weise, wie wir künftig Klassik konsumieren, könnte sich den Gewohnheiten der Fußballfans anpassen, sinniert Jan Vogler: „Mal schaut man sich ein Spiel im Fernsehen an, mal geht man ins Stadion. Wer im Netz einen Künstler entdeckt, den er faszinierend findet, bei dem wird der Wunsch entstehen, ihn auch einmal live zu erleben.“

Gleichzeitig denkt er auch an Umweltfragen. In seiner gewohnten globalisierten Form wird das Konzertbusiness künftig nicht mehr möglich sein. Orchesterhopping von Kontinent zu Kontinent, Solisten, die für ein einziges Konzert tausende Kilometer An- und Abreise in Kauf nehmen – hier muss sich die Einstellung der Veranstalter wie auch der Künstler:innen selbst ändern. Hin zu mehr Nachhaltigkeit, die sich beispielsweise dadurch erreichen lässt, dass bei Tourneen weniger Ort angesteuert werden, dort dann aber jeweils mehrere Auftritte stattfinden, vom großen Event bis zur Vermittlungsarbeit für Kinder und Jugendliche.

Bis zum Beginn der Krise brachte er die Welt nach Dresden

Für Jan Voglers musikalisches Leben hätte so ein Umdenken weitreichende Folgen. Denn er hat eine typische Jetset-Karriere gemacht, fliegt seit 35 Jahren unablässig um die Welt, um auf allen Kontinenten Präsenz zu zeigen. Seine Lebensmittelpunkte sind sowohl New York als auch Dresden. In Sachsen sorgte er bis zum Corona-Lockdown zudem als Leiter der traditionsreichen Dresdner Musikfestspiele dafür, dass die Crème der internationalen Klassikwelt jedes Jahr im Frühsommer nach Elbflorenz reist. Das Hong Kong Philharmonic Orchestra sollte eigentlich das diesjährige Festival am 14. Mai eröffnen.

Daraus wird natürlich nichts, und nach der Verabschiedung des neuen Bundes-Infektionsschutzgesetztes sah sich der Intendant jetzt sogar genötigt, sein Festival zu splitten: Da im Mai kein Spielbetrieb vor Publikum möglich sein wird, hat er einige Programmpunkte in den Herbst verlegt, andere hofft er im Juni als Freiluftvariante realisieren zu können. Und für die letzte Mai-Woche sind nun einige Streaming-Konzerte geplant.  

Dabei hatte er noch vor Kurzem so hoffnungsfroh in die Zukunft geschaut: „Ich will nicht aufgeben“, betonte er mehrfach im Gespräch. Gerade auch, weil er in den vergangenen Monaten sehr viele Zuschriften von Seiten des Publikums erhalten habe, in denen die Bitte geäußert wird, die Dresdner Musikfestspiele in diesem Jahr nicht komplett abzusagen.

Jetzt arbeitet er am Plan C

„Wir müssen in der Lage sein, den Leuten, die so hungrig sind auf Kultur, etwas anzubieten, auch wenn es vielleicht nicht das sein kann, was derzeit noch angekündigt ist. Aber die Flexibilität der Künstler ist enorm, sie wollen auftreten und sind darum bereit, spontan zu reagieren, mehr und anderes zu machen.“

Er habe noch nie so hart gearbeitet wie im letzten Jahr, sagt Jan Vogler auch – und dass, obwohl fast nichts stattfinden konnte. Vor der Pandemie war die wirtschaftliche Situation der Musikfestspiele blendend, die Eigeneinnahmequote lag über 60 Prozent, was absolut außergewöhnlich in Deutschland ist. Darauf ist Jan Vogler zurecht stolz. Und dank dieser Ausgangsbasis hat sein Festival auch gute Chancen, die unsicheren nächsten Monate zu überstehen, selbst wenn die Pandemieentwicklung auch noch seinen jetzt entwickelten Plan C  zunichtemachen sollte.

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