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Begeisterter Dirigent. Jakub Hruša.

© Andreas Herzau

Jakub Hruša beim Musikfest Berlin: In der Schicksalsschmiede

Dirigent Jakub Hruša und die Berliner Philharmoniker begeistern mit einer Neuwirth-Uraufführung beim Musikfest Berlin.

Ein Knall zerreißt die Stille. Unvermittelt setzt metallisch hämmernder Rhythmus ein, bald so eindringlich, dass man glaubt, sich in der Schmiede des Schicksals selbst zu befinden und zuzuhören, wie tausend Hämmer aus glühenden Eisenblöcken unfertige Mensch-Maschinen schlagen. Dann geht das Unsagbare in den Gesang des Countertenors über, er: „A seal is stamped on all phenomena“.

Es ist eine Uraufführung, mit der das Musikfest Berlin an diesem Abend glänzt: „Keyframes for a Hippogriff“ der Komponistin Olga Neuwirth, ein Auftragswerk der Stiftung Berliner Philharmoniker gemeinsam mit dem New York Philharmonic und dem Königlichen Orchester Stockholm. Neuwirth fesselt das Publikum mit der musikalischen Umsetzung der Idee, „in einer Welt voller Verzweiflung und Schmerz eine freie Seele zu bleiben“.

Das von den Berliner Philharmonikern unter Leitung von Jakub Hruša gemeinsam mit dem Tölzer Knabenchor präsentierte Vokalwerk ist tatsächlich ein Zwischenwesen, wie das namensgebende Fabeltier – halb Greif, halb Pferd–,- so flüchtig wie fluide. Es ist nur beständig im Wechsel seiner Klänge, Rhythmen und Tempi.

Wie ein Kampf, Dunkel gegen Licht, wechseln sich schrille Passagen mit den beinahe lieblich-erlösenden Gesängen des Knabenchores ab, immer herausgefordert durch einen stimmgewaltigen Countertenor Andrew Watts. Und auch Hruša merkt man seine Begeisterung deutlich an, in seinem Dirigat mischen sich Präzision und leidenschaftliche Verve mühelos. Die Texte stammen von Herman Melville, Emily Dickinson, Nietzsche, Gertrude Stein und Street-Graffiti.

Hörbar beeindruckt geht das Publikum in die Pause: Wozu sind wir hier? Wie frei können wir überhaupt sein? Klingt so das Ende der Welt? Dass an diesem Abend auch noch eine perfekt interpretierte vierte Symphonie von Anton Bruckner folgt, wird angesichts Neuwirths musikalischer Menschheitsdämmerung fast zur Nebensache.

Thomas A. Herrig

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