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Musikalische Familie. Iván Fischer ist den Orchestern eng verbunden.

©  M. Borggreve

Ivan Fischer im Konzerthaus: Wenn die Trompete träumt

Strawinsky-Festival im Konzerthaus: Iván Fischer dirigiert zwei grandiose Ensembles, das Concertgebouw Orkest und das Budapest Festival Orchestra.

Wer auf ein Fest für Igor Strawinsky geladen wird, darf mit allerlei rechnen: Heidnische Wucht prallt auf wiederentdeckten Glauben, zarte Farbverläufe münden in kubistische Konstruktionen, bizarre Collagen aus allem, was die Musikgeschichte hergibt, wirbeln um Alte Meister herum, die undurchdringliche Masken tragen. Doch wer ist der Vielgeehrte eigentlich wirklich? Er weiß geistreich zu unterhalten, spitzt seine Musikbeiträge gekonnt zu, mischt eine Prise anscheinend Ungereimtes hinein, was ihm die händeringende Aufmerksamkeit selbsternannter Gralshüter sichert. Und dann dieser Puls, dieses untrügliche Gespür für Rhythmik, das seine Kompositionen ebenso archaisch wie mondän erscheinen lassen kann. Der gebürtige Russe, später Franzose, letztendlich Amerikaner, formulierte es selbst so: „Man will mich immer festnageln. Aber das lasse ich nicht zu.“

Angesichts der kaum zu überblickenden Vielfalt seiner kühn entworfenen Künstlerpersönlichkeit erscheint Strawinsky stets neu im Lichte derer, die ihn feiern. Am Konzerthaus macht sich Iván Fischer ans Werk und lässt dazu in sechs Tagen gleich drei verschiedene Orchester Aufstellung nehmen. Nach dem Auftakt mit dem Konzerthausorchester, dessen Ehrendirigent er ist, reisen zwei Ensembles an den Gendarmenmarkt, die zur internationalen Spitzenklasse gehören und eng mit Fischers Wirken verbunden sind. Das Royal Concertgebouw Orchestra dirigiert er seit 1987 als Gast, nach der Trennung von Daniele Gatti wird er immer wieder als möglicher neuer Chef der Amsterdamer gehandelt. Das Budapest Festival Orchestra hat Fischer 1983 gegründet, es ist sein Labor dafür, wie sehr ein Ensemble sich als ein atmender Zusammenschluss von Individuen verstehen und gemeinsam Risiken eingehen kann. Für Fischer bilden alle drei Orchester seine musikalische Familie. Beim Fest mit Strawinsky kommt ans Licht, wie harmonisch es in ihr zugeht.

Präzision ohne Drill

Zuspruch kann das Royal Concertgebouw Orchestra derzeit gebrauchen. Noch immer ringen die Musikerinnen und Musiker um eine Haltung zur Kündigung ihres Musikchefs wegen „unangemessenen Verhaltens“ weiblichen Mitgliedern gegenüber. Das von Anwälten verhandelte Schweigen bröckelt, Teile des Orchesters senden Solidaritätsbotschaften an Gatti, das zehrt an den Nerven. Fischer ist der Richtige, um eine Atmosphäre von Vertrauen und Wertschätzung aufleben zu lassen. Er will nichts erzwingen, sondern das Orchester nahe zu seinem eigenen Klangideal führen, zu sich selbst. Strawinsky erscheint dafür auf den ersten Blick eine ungewöhnliche Wahl, ist seine Musik doch eine des artistisch abgeschirmten Herzens. Umso mehr stellt sie die Frage, mit welcher Haltung man sich ihr nähert. Fischer orientiert sich am fein gerundeten Concertgebouw-Klang, einer Präzision ohne Drill, einem vielstimmigen Leuchten von innen.

Das lässt die neoklassischen Stücke der ersten Konzerthälfte, das Concerto in D und das Capriccio für Klavier und Orchester, elegant aufrauschen, ohne sich an den einkomponierten Kollisionen offensiv abzuarbeiten. Emanuel Ax spielt da am Flügel gerne bar jeder Sentimentalität mit, beinahe so pumperlg’sund, als sei’s ein Klavierkonzert des jungen Mozart. Bei „Petruschka“ nach der Pause entfaltet das Concertgebouw Orchestra seine niemals aggressive Kraft bis in alle Stimmspitzen hinein. Strawinskys Ballett über die geschnitzte Kasperlfigur, die inmitten des Rummeltreibens zu einem kurzen, anklagenden Leben erwacht, kann man greller inszenieren, mit stummfilmhafter Vergrößerung des Gestischen. Doch Fischer wählt einen anderen Weg, den der warmen Farben, des kultivierten Klangs. Wie traumhaft schwebt die Trompete über Geifern, Prahlen und Eifersucht, wie schlüssig wirkt die finale Pizzicato- Flucht in eine Welt jenseits der Fratzen. Dass Humor an diesem Abend nicht im Zentrum von Fischers Interpretation steht, verrückt die Akzente bis in die Zugabe hinein: Seine Zirkus-Polka schrieb Strawinsky „für einen jungen Elefanten“, in Wirklichkeit begleitete das Gelegenheitswerk eine Balanchine-Choreografie für 50 Elefanten und Tänzerinnen. Heute wäre das ein Ding der Unmöglichkeit, im Konzerthaus bleibt es ein rundum sympathischer Kehraus.

Magischer Puls

Wie anders vom ersten Takt an entwickelt sich der Auftritt des Budapest Festival Orchestra, mit dem das Strawinsky-Festival einen grandiosen Abschluss erlebt. Das Orchester setzt alleine ein, Fischer schreitet erst mit dem Hörnerschall der „Vier norwegischen Impressionen“ durch die Reihen zu seinem Dirigentenpult. Ein kleiner Kniff, und schon wird die ironische Sicht auf diese gescheiterte Filmmusik deutlich, die einen Streifen über die Nazi-Besetzung Norwegens hätte untermalen sollen. Haarsträubend, was der Komponist da zusammenklaubt, Fischer macht daraus einen hintergründigen Spaß, bei dem Chaplins „Großer Diktator“ jederzeit ins Bild stolpern könnte.

Zum folgenden testosterongestauten Salontango löst sich ein Tanzpaar aus dem Orchester. Es legt seine Instrumente beiseite, Notenständer werden wie spontan verschoben, der Dirigent verfolgt fasziniert die Schrittfolgen. Beherzter Schnitt auf die Psalmensinfonie, auf den fulminanten Rias Kammerchor in der Höhe und das im Tonumfang tiefer gelegte Orchester darunter. Himmel und Erde werden zusammengehalten durch eine magnetische Ruhe, einen magischen Puls.

Es kann keine treffendere Einstimmung für „Le sacre du printemps“ nach der Pause geben. Die eröffnenden Holzbläser machen nur hörbar, was ohnehin den Raum erfüllt, in einer Vielgestaltigkeit, die umwerfend ist. Sacre, das einstige Skandalwerk, die Hymne der Berliner Rattle-Ära, kann Fischer mit seinem Orchester tatsächlich auf eine frappierende Weise anders deuten, ohne dabei auf plumpe Schockwellen zu setzen. Der Reichtum der individuellen Klangerfindung, ohne Furcht vor einem Spannungsabfall ausgespielt, vermittelt eine schier unfassbare Fülle des Lebens. Für die Zugabe rücken die Musikerinnen und Musiker noch näher zusammen und singen, um ihren Dirigenten geschart, Strawinskys zartes „Ave Maria“. Iván Fischers Traum vom Orchester treibt in Budapest wunderbare Blüten. Man kann sich nur wünschen, davon in Zukunft immer wieder zu hören.

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