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Schwer beladen. „The Most Beautiful of All Mothers“, eine Skulptur von Adrián Villar Rojas am Ufer der Insel Büyükada.

© Biennale

Istanbul-Biennale: Baden gegangen

Wo die Kunst flüssig wird: Die von Carolyn Christov-Bakargiev kuratierte Istanbul-Biennale feiert die Kraft des Wassers. Tolle Idee – wenn nur nicht die Esoterik wäre.

Biennalen stellen eine kostbare Marke dar, ein komplexes Produkt, mit dem eine Stadt kulturellen Mehrwert schafft. Sie sind sowohl ein touristisches Angebot als auch für die Bewohner gedacht, deren Lebensort einen Bedeutungszuwachs erfährt. Die kleine Garage, die versteckte Werkstatt in der Nachbarschaft mag bislang unbeachtet gewesen sein, mit der Kunst wächst ihr eine Aura zu, sie wird zur bewunderten Destination. Manchmal bleibt die Kunst sogar, und eine Galerie zieht ein. Das böse Wort für diese Entwicklung lautet: Gentrifizierung.

Die Strategien der Stadtvermarkter, die Wandlungsprozesse vor Ort sind hinlänglich bekannt, als Kuratorenmarke wird eine Biennale allerdings eher selten wahrgenommen. Bei der 14. Istanbul Biennale aber liegt es auf der Hand. Nur drei Jahre nach ihrer erfolgreichen Documenta verantwortet Carolyn Christov-Bakargiev die nach Venedig mit größter Spannung erwartete Biennale. Der Vergleich mit Kassel drängt sich auf, Christov-Bakargiev hat ihre Philosophie, ihr Aufbaukonzept, ihre Lieblingskünstler wieder mitgebracht, und plötzlich offenbart sich eine Biennale als kuratorische Marke. Auch Ausstellungsmacher liefern letztlich eine Ware ab, eingekauft von der veranstaltenden Stiftung oder Stadt. Biennale-Eröffnungen sind deshalb wie ein Kuratorenmarkt, die Konkurrenz reist aus aller Welt an, knüpft Verbindungen mit möglichen Kunden und hofft auf ihre eigene Chance beim nächsten Mal.

Das Abtauchen der Kuratoren

Für Macher einer Documenta, der Königsdiszplin, ist es besonders schwer, den nächsten Schritt zu wagen. Häufig tauchen sie erst einmal ab. Catherine David fand nur langsam wieder Tritt, Roger Buergel verschwand als Ausstellungsmacher komplett von der Bildfläche, Okwui Enwezor bekam als Direktor des Münchner Hauses der Kunst zwar eine eigene Institution an die Hand, enttäuschte aber in diesem Sommer schwer mit seiner Biennale di Venezia. Nach einer vergleichsweise kurzen Pause geht Carolyn Christov-Bakargiev mit ihrer nächsten Großausstellung wieder an den Start. Als Mitglied der Berufungskommission der letzten beiden Ausgaben der Istanbul-Schau mag sie an ihrer eigenen Wahl sogar beteiligt gewesen, zumindest sich ins Gespräch gebracht haben. Kein unproblematisches Verfahren, von der Konkurrenz argwöhnisch beäugt.

Doch Christov-Bakargievs genaue Kenntnis der Topografie beschert Istanbul eine an Spielstätten höchst reizvolle Biennale, die mit ihren 130 Künstlern weit ausgreift in die Stadt, an 36 verschiedene Ausstellungsorte führt, in verwaiste Häuser, Hotels, Zisternen, Gärten, auf Boote, den Bosporus rauf und runter bis zu den Prinzeninseln. Mit ihrem Ausstellungskonzept unter dem Titel „Saltwater“ drückt sie Istanbul gleichsam ans mütterliche Herz, gibt sie eine Liebeserklärung an die Widersprüchlichkeiten der Stadt ab. Salzwasser bedeutet Leben und besitzt doch zerstörerische Kraft.

Anders als die Vorgängerausgabe 2013, die sich nach den Demonstrationen auf dem Taksim-Platz von den öffentlichen Plätzen zurückgezogen hatte und nur noch in erklärten Ausstellungshäusern agierte, geht Christov-Bakargiev offensiv raus, an fremde Orte. Reaktionen auf die jüngsten politischen Ereignisse, den militärischen Konflikt mit den Kurden, Verhaftungen, die überall in Abbruchhäusern und Parks lagernden Flüchtlinge sucht man vergebens. Mit Achselzucken reagierte die Kuratorin auf einen Vorschlag des Künstlers Anton Vidokle, als Zeichen des Protests während der Eröffnung die Videoarbeiten 15 Minuten abzustellen: „Das macchiavellistische Treiben wird trotzdem weitergehen.“

Feministin sein reicht für die politische Agenda

Christov-Bakargiev hört lieber auf den Wellenschlag, das Pochen des Herzens, leitet Veränderung von der eigenen Lebenspraxis ab: „Ich bin Feministin. Wie ich trinke, esse, Liebe mache, ist politisch.“ So erscheint trotz aller Offenheit auch ihr Konzept eskapistisch. Die Kunst als Gegenort, als heilende Kraft richtet sich letztlich an die „happy few“, die sich im Diskurs auskennen. Eine der wenigen Ausnahmen ist ein Workshop in Miniaturmalerei für Frauen von Cansu Cakar, der aber als Kunst nicht wirklich überzeugt. Christov-Bakargiev bleibt sich treu als Esoterikerin, die schon bei ihrer Documenta damit verblüffte, dass sie das Gespräch mit Pflanzen sucht, eine neue Form der Gleichberechtigung zwischen Mensch und Tier fordert. Als Querdenkerin bringt sie Kunst und Neurowissenschaft, Architektur und Weltraumforschung, Musik und Jugendstil-Glas zusammen. Wie in Kassel, wo es im Fridericianum das „Gehirn“ gab, eine mit Referenzobjekten bestückte Denkzentrale, von der aus sich die Ideen über Karlsaue, Neue Galerie, Grimm-Haus ausbreiteten, entwickelt sie für die Istanbul-Biennale einen sogenannten „Kanal“.

Verblüfft betrachtet der Besucher in der länglichen Galerie im Museum Istanbul Modern nebeneinander eine Vase von Emile Gallé, Aufnahmen des neusachlichen Fotografen Karl Blossfeldt, Darwins Theorien, bunte Krickeleien von Jacques Lacan, eine Seite aus Trotzkis Buch „Die wahre Situation in Russland“, das er 1929 während seines Aufenthalts auf der Prinzeninsel schrieb. Das alles steht gleichberechtigt nebeneinander. Mit einer ähnlich wilden Mischung hat die Kuratorin schon in Kassel verstört und zugleich das spartenübergreifende Denken befördert. Während im klassischen Kulturbetrieb das Crossover gerade die Institutionen erreicht, ist die Istanbul-Biennale zumindest mit dem Kopf weiter. In ihren Filiationen gibt sie sich allerdings wieder traditionell: Installationen, Sound-Spielereien, viel Film und dazwischen Malerei.

Für den Künstlertross, der Christov-Bakargiev schon lange begleitet, mit ihr bereits 2008 auf der Biennale in Sydney war, besitzt die Kuratorin ein besonderes Händchen: Natürlich ist William Kentridge wieder dabei, seine Arbeit zählt zu den Höhepunkten. Im Hotel Splendid Palace spielt er Szenen aus dem Leben Trotzkis samt Sekretärin nach, der Künstler selbst mimt den Revolutionsführer mit angeklebtem Spitzbart. Dazu erscheint dokumentarisches Filmmaterial, das den flammenden Redner in langsam aufsteigenden Fluten zeigt, Trotzki aber doziert weiter. Das Motiv des Wassers ist in den neu entstandenen Werken allgegenwärtig, ja fast penetrant.

Trotzki saß vier Jahre fest

Offensichtlich besitzt Christov-Bakargiev zugleich eine eiserne Hand bei Auftragsarbeiten: Pumpen, plätscherndes Wasser, Salzkristalle, wohin man schaut und lauscht. Vier Jahre wartete Trotzki vergeblich auf der Prinzeninsel Büyükada auf die Erlaubnis zur Weiterfahrt, ein Visum aus Deutschland oder den USA, Mexiko gewährte ihm schließlich Asyl. Von seinem damaligen Haus mit Blick auf das Marmara-Meer existieren nur noch die Mauern, das Dach fehlt komplett, nichts erinnert an den einstigen Bewohner. Auf dem Weg durch den zugewachsenen Garten runter zum Ufer, wo sich die spektakulären Skulpturen Adrián Villar Rojas befinden – lebensgroße Löwen und Elefanten in Weiß auf Pontons stehend –, läuft der Besucher quer durch diese Ruine.

Ein Zusammenhang zur Kunst besteht nicht, der Originalort überzeugt mehr als die pompöse Wasser-Inszenierung. Diese Gefahr droht der Biennale durch ihre pittoresken Schauplätze permanent – die zerfallene Holzvilla, in der Ed Atkins Video läuft, die Zisternen, wo Pelin Tans und Anton Vidokles Film an die brüchige Wand projiziert wird, all dies überlagert die dürftige Kunst.

Doch zur vollen Stärke läuft die Schau auch im White Cube nicht auf. Im Museum Istanbul Modern kleckert es nur noch nach dem vielversprechenden Entree, dem „Kanal“ mit seinen Denkfiguren, den auf einem meterlangen Tisch platzierten filigranen Modellen von Richard Ibghy und Marilou Lemmens, die fiktive Diagramme von Einkommen, Kosten, Bilanzen veranschaulichen, sowie den eindrucksvollen Betonstelen des in Beirut lebenden Bildhauers Marwan Rechmaoui. Dadurch wirken ganz am Ende des Saals auch die Arbeiten der Aborigines verschenkt, insbesondere die historischen Nachrichtenstöcke und Zeichnungen, mit denen sie ihren Landbesitz legitimierten. Hier zeigt Christov-Bakargiev verhalten politisches Engagement, indem sie diese Werk gleichberechtigt ins Museum holt.

Kunst als Spurensuche

Fast versteckt wirkt auch ihr Einsatz für Armenien. Die Tatsache, dass sie besonders viele armenische Künstler zeigt, andere dazu animierte, sich des Themas neu anzunehmen, dürfte in Istanbul jedoch als Signal verstanden werden. Der Belgier Francis Alys, ebenfalls ein Darling von Christov-Barkiegiev, fand ein ergreifendes Bild für die Spurensuche dieses verdrängten Volkes. Der in Mexiko-City lebende Großstadtpoet hat sich auf den Weg zu der untergegangenen Stadt Ani gemacht, von der nur noch Kirchenruinen inmitten wild wuchernder Natur übrig geblieben sind. In seinem schwarz-weiß gedrehten Film huschen junge Leute mit Vogelpfeifen durchs Gestrüpp, klettern über geborstene Säulen und schicken sich trillernd, tschilpend Zeichen zu. Zueinander kommen sie nicht. Von der Kunst wäre das auch zu viel verlangt. Von einer Biennale an einem Ort wie Istanbul, zu dieser Zeit, hätte man sich das aber gewünscht.

Istanbul-Biennale, bis 1. November; www.14b.iksv.org

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