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Milch marsch! Inga (Arndís Hrönn Egilsdóttir) fährt aus Protest mit dem Güllefass voll unverkaufter Milch vor der Genossenschaftszentrale vor.

© Alamode

Island im Kino: "Milchkrieg ins Dalsmynni": Eine Frau sieht weiß

Im isländischen Drama „Milchkrieg in Dalsmynni“ kämpft eine stoische Bäuerin gegen die monopolistische Agrargenossenschaft.

Karge Gegend, fahler Winterhimmel, wollige Pullis, schweigsame Isländer. In statischen Totalen und aufgeräumten Plansequenzen gefilmt. Kein Geschwätz, nichts Überflüssiges. Eine Etüde der Stille.

Diese für Freunde des Actionkinos schwer verdauliche Kombination hat bereits in Grímur Hákonarsons Vorgängerfilm „Sture Böcke“ verfangen, der 2015 in Cannes ausgezeichnet wurde. Neben zwei verfeindeten Brüdern, beide Schafzüchter, ging es darin um deren Tiere. Die Leitschafe wurden sogar namentlich im Abspann aufgeführt. Als Darstellerinnen gewissermaßen.

So weit geht der Regisseur in „Milchkrieg in Dalsmynni“ mit den Rindviechern nicht. Aber das Milieu knorriger Bauersleut, die im einsamen Norden Islands der Landflucht Richtung Süden widerstehen, ähnelt sich. Und wieder trifft Grímur Hákonarson deren von der Härte des Landes und der Existenz auf das Nötigste reduzierten Ton sehr gut.

Romantik ist halt nicht, wenn Schulden drücken

Was sagt ein Isländer, wenn er spät abends ins Eheschlafzimmer tappst? „Guten Abend, Schatz, wie war dein Tag?“ Mitnichten. Reynir (Hinrik Ólafsson) bestürmt seine mit müder Miene am Laptop arbeitende Inga mit der zärtlichen Nachfrage: „War der Besamer da?“ Romantik ist halt nicht, wenn Schulden drücken, der Bauer deswegen noch einen Fahrerjob für die Agrarkooperative erledigt und die Bäuerin kalbende Kühe, Füttern und Melken alleine versieht. Da bleibt nur Kraft für erschöpfte Mahlzeiten und Minidialoge zwischen Tau und Tag.

Wie viel Liebe zwischen den Eheleuten herrscht, deren erwachsene Kinder den Hof längst Richtung Reykjavik verlassen haben, wird erst klar, als Reynir mit seinem Laster eines Nachts aus der Kurve fliegt. Inga, die Arndís Hrönn Egilsdóttir mit zerfurchter Miene und Arsch in der Hose spielt, schießen heiße Tränen aus den Augen, als sie von der Straße hinunter in die Schlucht blickt, wo der zerschmetterte Truck liegt. Die von der Agrargenossenschaft angebotene Hilfskraft auf dem Hof nimmt die Trauernde dankbar an.

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Aber nur bis sie erfährt, dass die Agrarmonopolisten, die den kompletten Warenhandel der Region bestimmen, Reynir zu Spitzeldiensten erpresst haben. Er hat aus Angst vor der Insolvenz des Hofes Genossenschaftsmitglieder angeschwärzt, die es wagen, Dünger woanders zu kaufen oder ihre Produkte selbst zu vermarkten. Inga ist baff und nimmt per Facebook-Post den Kampf Frau gegen Goliath auf. Eine rauschende Milchdusche aus dem Güllefass gegen die Fenster der Genossenschaftszentrale inklusive.

Jetzt müsste das Muster von Selbstermächtigungskomödien abrollen

Spätestens jetzt erwartet man das bewährte Muster von Selbstermächtigungskomödien, angereichert mit einer Dosis skandinavischer Lakonie. Sprich: knatternder Treckerprotest untermalt mit knalliger Popmusik und einer Revoltewelle, die das ganze Dorf voll schrulliger Typen erfasst. Ein wenig wie in Benedikt Erlingssons ein Jahr zurückliegendem Öko-Märchen „Gegen den Strom“ über den handgreiflichen Kampf eine Chorleiterin gegen Energiemultis.

Doch in „Milchkrieg in Dalsmynni“ sind Gefühle so kostbar wie Wörter. Ingas Facebook-Posts, eine geschleuderte Schippe Mist und ein paar zerdepperte Blumentöpfe sind der Gipfel des Bürgerkrawalls. Ansonsten läuft die Initiative der Bäuerin für eine unabhängige Direktvermarkterkooperative ruhig und sachlich ab. Ebenso wie der gefährlich leise Widerstand des Genossenschaftsfunktionärs Eyjólfur (Sigurdur Sigurjónsson).

Die Szenen sind bedacht und subtil gebaut

Überhaupt besticht, wie bedacht und subtil Grímur Hákonarson die Szenen baut. Von Reynirs Unfall bis zur Genossenschaftsversammlung, auf der Ingas Antrag zur Gründung einer eigenen Kooperative zur Abstimmung steht – immer wieder unterläuft er Erwartungen. In Frauenpower- und Feel-Good-Komödien wird Letzteres gerne mit Pauken und Trompeten als Triumph Goliaths inszeniert. Hier spielt sich der Wahlverlauf einzig in Ingas Gesichtszügen ab.

Als die überwältigende Landschaft endlich frühlingsgrün leuchtet, ist die Welt trotzdem nicht heil. Räumungstitel werden auch bei blauem Himmel zugestellt. Wenn man Nehmerinnen-Qualitäten wie Inga hat, können sogar Niederlagen Siege sein.

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