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Negative Gemeinsamkeiten: Islamisten und Rechte:

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Islamisten und Rechtsextremisten: Vereint im Kampf für Glaube und Volk

Islamisten und Rechtsextremisten hassen einander - und den Westen. Sie kopieren Ideologie und Methode. Es sind zwei Seiten derselben Medaille.

Sie sind jung, männlich, radikal. Sie lehnen den Westen und dessen Institutionen ab. Sie sind gegen die Emanzipation der Frau und die Ehe für alle. Sie verachten die Demokratie, den Liberalismus, den Individualismus. Sie schlüpfen gerne in die Opferrolle, aus der sie ihre Gewalttaten ableiten. Sie wähnen sich in einem endzeitlichen Kampf, in dem es gilt, den Feind zu besiegen oder selbst unterzugehen. Den Weg, auf dem sie wandeln, halten sie für den einzig richtigen, wahren und ursprünglichen. Von wem ist die Rede? Es könnten Rechtsextremisten sein – oder Islamisten. Die Parallelen sind jedenfalls frappierend.

Im Hass vereint: Seit mehr als zehn Jahren beschäftigen sich Soziologen, Historiker und Politologen mit ideologischen Gemeinsamkeiten, sich ähnelnden Fanatisierungsprozessen und oft austauschbar wirkenden Charaktermerkmalen von militanten Dschihadisten und Rassisten. Einer der Pioniere war Armin Pfahl-Traughber, der von 1994 bis 2004 die Abteilung Rechtsextremismus beim Bundesamt für Verfassungsschutz leitete. Er erinnerte an Neonazis, die offen mit Osama bin Laden sympathisieren, arabische Studenten, die an einer pro-palästinensischen NPD-Demonstration teilnehmen, muslimische Holocaust-Leugner, die sich auf rechtsextremistische Revisionisten beziehen.

Beide Gruppen, so Pfahl-Traughber, würden die Normen und Spielregeln des demokratischen Verfassungsstaates ablehnen und für die Errichtung eines autoritären oder totalitären Systems agitieren. In beiden seien Verschwörungstheorien virulent. Die Feindbilder seien Israel, „die Juden“ und die USA. Der Holocaust würde in seiner Bedeutung relativiert oder gänzlich bestritten.

Allerdings entsteht aus negativen Gemeinsamkeiten kein wirklich positiv einigendes Band. Denn beide Gruppen verbindet auch der Hass aufeinander – ein Resultat ihrer gegensätzlichen Ideologien. „Der diktatorische Staat der Islamisten soll auf der besonderen Interpretation des Islams, der der Rechtsextremisten auf einer ethnischen Homogenität gründen“, schreibt Pfahl-Traughber.

Gesinnungsgemeinschaft versus Vererbungsgemeinschaft

Nicht die Freiheit ist das Ziel der autoritären Revolutionäre, sondern die Unterwerfung unter eine von Gott gegebene oder durch Rassenzugehörigkeit und Naturgesetz determinierte höhere Ordnung. Für Islamisten spielen nationale oder rassische Zugehörigkeiten keine Rolle. Jeder, der sich zu ihrer Version des Koran bekennt, kann bei ihnen mitmachen. Es ist eine reine Gesinnungsgemeinschaft. Im Gegensatz dazu ist für Rechtsextremisten die Ethnie entscheidend. Man muss als Weißer oder Deutscher geboren sein, um dazugehören zu dürfen. Es ist eine Volks- und Vererbungsgemeinschaft, deren Mitglieder sich als solche begreifen müssen.

Auch historisch lassen sich Verbindungslinien ziehen. Legendär ist der Mufti von Jerusalem, Mohammed Amin al-Husseini, der im November 1941 von Hitler in Berlin empfangen wurde und mit dem NS-Regime kooperierte. Islamistische Organisationen wie Hisbollah, Hamas oder die Muslimbrüder berufen sich in ihrem Antisemitismus bis heute auf das aus dem russischen Kaiserreich stammende Fälschungsmachwerk der „Protokolle der Weisen von Zion“.

Das Standardwerk zu dem Traditionstransfer von nationalsozialistischer Rassenlehre zum militanten Islamismus hat 2009 der amerikanische Historiker Jeffrey Herf von der Universität Maryland verfasst. Es heißt „Nazi Propaganda for the Arab World“. Drei Jahre zuvor hatte der damalige iranische Präsident Mahmud Ahmadinedschad, ein radikaler muslimischer Fundamentalist, zu einer Holocaustleugnungs-Konferenz nach Teheran eingeladen, an der auch zahlreiche westliche Rechtsextremisten teilnahmen.

Solche unheiligen Allianzen können allerdings nicht verdecken, dass sich Islamisten und Rechtsextremisten aktuell befehden. Allerdings tun sie es auf eine Weise, die beiden Seiten nützt. Islamisten rekrutieren Anhänger in Europa vorwiegend mit dem Argument, der Islam werde im Westen abgelehnt, Muslime würden diskriminiert, um ihre religiöse Identität zu wahren, müssten sie sich von der nicht-muslimischen Mehrheitsgesellschaft abgrenzen. Rechtsextremistische Propagandisten wiederum mobilisieren gleichzeitig gegen Islam und Islamismus als Ursprung und Quelle des Terrors.

Gottesfurcht und Rassenglaube

Die Gleichsetzung von fremdem Glauben und Affinität zu brutaler Gewalt schürt in der Tat das Misstrauen gegen Muslime und führt in der so vergifteten Gesellschaft zu jenen Diskriminierungserfahrungen, die Islamisten für ihre Nachwuchswerbung in die Hände spielen. Es entsteht ein von Gottesfurcht und Rassenglaube inspirierter Teufelskreis, der einmal in Gang gesetzt sich stetig beschleunigt. In ihrer apokalyptischen Endkampfmetaphorik beziehen sich beide Seiten innigst aufeinander, weil sie ohne einander ihre Existenzberechtigung verlören.

Auch Methoden werden kopiert. Der islamistische Terror fand sein Pendant etwa in dem islamfeindlichen norwegischen Massenmörder Anders Behring Breivik. In Charlottesville im US-Bundesstaat Virginia raste ein weißer Rassist absichtlich mit einem Auto in eine Menschenmenge, um so viele Gegendemonstranten wie möglich zu töten. Brandanschläge auf Moscheen in Europa sind keine Seltenheit mehr.

Rosen schwimmen im Wasser vor der Insel Utoya in Norwegen. Dort hatte der Islamhasser Anders Behring Breivik 77 Menschen ermordet.
Rosen schwimmen im Wasser vor der Insel Utoya in Norwegen. Dort hatte der Islamhasser Anders Behring Breivik 77 Menschen ermordet.

© Jörg Carstensen/EPA/picture alliance/dpa

Scott Atran ist ein amerikanischer Anthropologe, der in Cambridge, an der Hebrew University in Jerusalem, der École des Hautes Études in Paris und an der University of Oxford gelehrt hat. Für ihn sind radikaler Islamismus und die militante Alt-Right-Bewegung zwei Seiten derselben Medaille. In seinem jüngsten Essay im Online-Debattenmagazin „Aeon“ schlägt er Alarm: Das Erstarken der beiden Ideologien gehe einher mit einer allgemein abnehmenden Attraktivität demokratischer und liberaler Werte.

Laut dem Umfrageinstitut „World Values Survey“ hält es eine Mehrheit der Europäer nicht für „absolut wichtig“, in einer Demokratie zu leben. Im vergangenen April kamen in Frankreich Marine Le Pens Front National und die Partei des Hardcore-Linken Jean-Luc Mélenchon in der Gruppe der 18- bis 34-Jährigen auf fast die Hälfte der Stimmen. Von Polen über Ungarn bis zur Türkei nimmt die Faszination illiberaler Demokratien eher zu als ab. Ähnliche Tendenzen lassen sich in den USA beobachten, sie kulminierten in der Wahl von Donald Trump zum Präsidenten.

Das Vertrauen in demokratische Institutionen nimmt ab

Anfang des Jahres hat das Meinungsforschungsinstitut YouGov im Auftrag der Tui-Stiftung 6000 Menschen zwischen 16 und 26 Jahren in sieben europäischen Ländern befragt (Deutschland, Frankreich, Spanien, Italien, Großbritannien, Polen, Griechenland). Nur die Hälfte (52 Prozent) betrachtet die Demokratie als die beste Staatsform. Lediglich 30 Prozent sehen in der EU auch ein Bündnis mit gemeinsamen kulturellen Werten. Das Vertrauen in demokratische Institutionen nimmt ab. Das begünstigt Ideologien, die auf dem Sinnmarkt mit dem Versprechen auftreten, persönliche Bedeutung und eine feste Identität zu liefern.

Hinzu kommt die leichte Vernetzungsmöglichkeit via Internet. Rasch, schnell und anonym können Sympathisanten in die Hass-Welt der Dichotomien eintauchen. Trotz ihrer Propaganda gegen „cosmopolitans“ und „globalists“ nutzen Dschihadisten und Rechtsextremisten die sozialen Netzwerke ähnlich intensiv. Sie verzichten auf klare Führungsstrukturen, bevorzugen die „Leaderless Resistance“. Das erschwert die Arbeit der Geheimdienste. „Ob Dschihadisten oder Alt-Righter“, schreibt Atran, „die Massenrekrutierung geschieht nicht von oben nach unten, sondern von Zelle zu Zelle.“

Was tun? Darauf gibt es keine einfache Antwort

Wissenschaftler an dem von Atran mitgegründeten Institut „Artis International“ sehen heute ein ähnlich hohes Gefahrenpotenzial für die westlichen Demokratien, wie es Anfang des letzten Jahrhunderts existierte, als sich Faschisten und Kommunisten gegenüberstanden. „Die neue Weltordnung im globalen Zeitalter erhöht unser aller Sicherheitsrisiko, weil nichtstaatliche Kräfte vulkanartig im System der Nationalstaaten explodieren und gefährliche, gewalttätige Gedanken freisetzen“, schreibt Atran.

Was tun? Auf diese Frage gibt es keine einfache Antwort. Atran versucht es dennoch – und kommt zu einem überraschenden Resultat. Aus Angst davor, als chauvinistisch oder gar xenophob zu gelten, hätten es Politiker und Intellektuelle im Westen lange Zeit vermieden, einen Diskurs über nationale Identität oder kulturelle Präferenz zu führen, meint er. Das habe es Rechtspopulisten und Rechtsextremisten ermöglicht, diese Themen rhetorisch zu besetzen. Ähnlich defensiv werde im Westen über Glaube, Frömmigkeit und Religion gesprochen, was es Vertretern von konservativen oder gar fanatischen Glaubensrichtungen leichtmache, auf dem Gebiet der Spiritualität zu punkten.

Die liberale Demokratie darf nicht seelenlos sein. In ihr sollten Fragen nach Identität und Glaube nicht als vormodern, unaufgeklärt oder gar nationalistisch verdammt werden. Daraus folgt noch keine befriedigende Strategie. Als Einsicht aber wäre es ein Anfang.

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