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Junge Musliminnen mit Kopftuch fühlen sich in Deutschland selbst in Gruppen manchmal fremd.

© Oliver Berg/dpa

Islam in Deutschland: Frauen mit Kopftuch haben doppelten Grund zur Angst

Muslimische Frauen sehen sich in der Öffentlichkeit oft rassistischen Angriffen ausgesetzt. Die Reaktion der Mitmenschen ist meist: Schweigen. Ein Essay.

„Was kann ich zu meiner Verteidigung in meiner Handtasche tragen?“ Als arabischsprachige Juristin habe ich zu den verschiedensten Themen Fragen von Frauen bekommen. Aber Fragen zur Selbstverteidigung und ob das Tragen von Pfefferspray oder Waffen in der Handtasche in Deutschland erlaubt ist, wurden mir bisher noch nie gestellt.

Trotzdem würde mich die Frage von nur einer Frau nicht veranlassen, diesen Artikel zu schreiben. Aber es sind viele Fragen und viele Frauen mit Kopftuch, die Angst haben. Ja, richtig gelesen, Kopftuch und Angst haben!

„Nach dem, was in Paris und Wien passiert ist, werden wir ständig angegriffen, als wären wir die Täter“, erzählt eine Bekannte aus Syrien. „Eine Frau mit Kopftuch wird in Deutschland als Stellvertreterin jedes Idioten angesehen, der Allahu Akbar ruft.“

Auch in den sozialen Medien tauschen Frauen sich aus, wie sie sich im Angriffsfall verteidigen sollen. Erfahrungen werden gesammelt, Angriffsvarianten aufgelistet. Morgens früh auf dem Weg zum Ausbildungsbetrieb, beim Abholen der Kinder, abends am Supermarkt – auch andere Situationen werden detailliert geschildert und es wird diskutiert, welches die beste Verteidigungsmethode sein könnte.

Nach jedem Terroranschlag nehmen Anfeindungen zu

Junge Frauen, die in ihren Ländern aufgrund des Kriegs keine Ausbildung abschließen konnten und sich nun über einen neuen Anfang freuen, überlegen sich, wie sie frühmorgens sicher zu ihrem Ausbildungsplatz kommen. „Ist es unser Schicksal, ständig in Angst zu leben?"

Nach jedem Terrorangriff in Europa sind wir alle in Deutschland extrem entsetzt. Die Gefahr scheint hautnah zu sein. Wir spüren Angst, Angst um uns und um unsere Liebsten. Jeder von uns könnte an Stelle der Opfer sein. „Wir haben auch Angst … denkst du, ein Attentäter wird nicht schießen, wenn Muslime in der Nähe sind?“, sagt meine Bekannte.

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Doch nach jedem Terrorangriff erleben Muslime in Europa die Angst doppelt. Einmal die Angst, die jeder in dieser Situation spürt, und noch viel mehr die Angst vor einem erschwerten, nun gefährlicher werdenden Alltag.

Die rassistischen Sprüche werden lauter

Als Frau mit einem „neutralen“ Auftreten und gutem Deutsch ist man sich der Brutalität nicht bewusst, die es bedeutet, jeden Tag dem Rassismus ausgesetzt zu sein. Doch wenn man mit Freundinnen mit Kopftuch oder mit einer arabischsprachigen Gruppe unterwegs ist, fühlt sich Deutschland sofort fremd an. Auf der Straße, in der Bahn, auch im Supermarkt werden die rassistischen Sprüche deutlich mehr und deutlich lauter.

Es gibt in Deutschland ein passives Publikum, mir fällt keine bessere Beschreibung dafür ein. Als eine verschleierte Frau mit Kinderwagen in der vollen Bahn von einer deutschen Frau grundlos angeschrien und beschimpft wurde, war die Strategie der meisten in der Bahn Schweigen und Wegschauen.

Ich sprach mit einem Deutschen aus einer Volkspartei darüber. Als Lösung schlug er vor, die Frauen sollten vielleicht besser auf das Kopftuch verzichten. Sie hätten hier dann bessere Chancen.

Das Kopftuch ist Ausdruck persönlicher Freiheit

Auch darüber würde ich nicht schreiben, wenn es eine Einzelmeinung wäre. Leider denken viele, zu viele, wenn auch nicht laut, dass dies die ideale Lösung sei.

„Eine europäische Frau muss in Saudi-Arabien oder im Iran auch ein Kopftuch tragen“, lautet ein reflexartiges Argument, wenn über das Thema diskutiert wird. Aber Saudi-Arabien und Iran sind Länder, in denen „persönliche Freiheit“ ein unbekannter Begriff ist. Alleine der Vergleich Deutschlands mit diesen Ländern stellt schon eine Niederlage für unsere Demokratie und unsere Grundrechte dar (in diesem Sinne spreche ich hier als Deutsche).

Dass auch das freiwillige Tragen eines Kopftuchs ein Freiheitsrecht ist, darüber müssen wir uns verständigen. Aber anstatt die Freiheiten der Menschen zu fördern und zu schützen, wird verlangt, dass sich die Frauen „anpassen“ müssen, wenn sie ein normales Leben führen wollen. Zum Schluss möchte ich noch verkürzt und für diesen Artikel relevant aus meiner Biografie mitteilen: Ich trage selber kein Kopftuch!
Vinda Gouma ist eine deutsch-syrische Juristin und lebt seit acht Jahren in Berlin.

Vinda Gouma

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