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Schwarzer Engel. Penns Porträt von Marlene Dietrich aus dem Jahr 1948 ist legendär.

© Irving Penn Foundation

Irving Penn bei C/O Berlin: Glamour und Wahrheit

Die Fotoausstellung des Jahres: Nach New York und Paris ist die grandiose Retrospektive des amerikanischen Jahrhundertfotografen Irving Penn jetzt bei C/O Berlin zu sehen.

Eine im Jahr 1974 als Buch herausgegebene Sammlung von Bildern, die der damals schon sehr berühmte und höchstbezahlte amerikanische Fotograf Irving Penn bei Reisen in den pazifischen Raum und nach Afrika aufgenommen hatte, trägt den schlichten Titel „Worlds in a Small Room“.

Die große weite Welt im vermeintlich Kleinen. Es könnte dies auch das Motto sein für die Irving-Penn-Retrospektive, die jetzt beim Fotoforum C/O Berlin im Amerika-Haus am Bahnhof Zoo eröffnet wurde. Die Schau mit gut 220 Bildern geht über zwei Stockwerke, versetzt das ganze Haus in Schwingungen und kommt vom New Yorker Metropolitan Museum of Arts. Dort war sie im vergangenen Jahr die Hommage zum 100. Geburtstag des 2009 in New York gestorbenen Königs der Porträt- und Modefotografie. Danach wurde sie im Pariser Grand Palais bis vor zwei Monaten zum Publikumsmagnet. Und nun, bis zum 1. Juli, das West-Berliner Amerika Haus als dritte Station, vor Sao Paulo im Herbst.

Stephan Erfurt, Mastermind der privaten C/O-Stiftung, nennt das „ein Wunder“. Bei einer Vorbesichtigung hat er, mit Stolz und Selbstironie, in Anwesenheit von Jeff Rosenheim, dem Ausstellungskurator vom Metropolitan Museum, und Irvings Sohn Tom Penn auch ein paar Vergleichszahlen erwähnt: 3000 Mitarbeiter und zwei- bis dreihundert Kuratoren beim Metropolitan, dreißig Mitarbeiter bei C/O und zwei Kuratoren. Möglich wurde diese bisher weltweit größte Präsentation des Jahrhundertfotografen in Berlin allein durch C/Os internationales Renommee und dadurch, „dass zum ersten Mal die Berliner Senatsverwaltung für Wirtschaft auch ein Kulturprojekt finanziell gefördert hat“ (so Erfurt). Die Besucherströme auch von auswärts sollen es der Berliner Wirtschaft nun danken.

Wie spiegelt Irving Penn die Welt tatsächlich in und auf einem vergleichsweise kleinen Raum? Der 1917 als Sohn litauisch-jüdischer Immigranten (mit dem ursprünglichen Familiennamen Michelsohn) geborene Fotograf – sein jüngerer Bruder war der Filmregisseur Arthur Penn –, er wollte Anfang zwanzig zuerst Maler werden. In Mexiko, wo er 1941/42 knapp ein Jahr unweit des Künstlerpaars Frida Kahlo und Diego Rivera lebte, wurde ihm klar, was sein eigentliches Talent war: mit der Kamera zu „malen“. Also nicht als Bildreporter auf der Straße oder in der Natur auf den berühmten entscheidenden, magischen Moment zu warten. Sondern wie ein Künstler im Atelier seine Motive im eigenen Studio zu arrangieren. Zu inszenieren. Zu verdichten.

Selbst in der exquisiten Auftragskunst steckt etwas Spielerisches, Subtiles

Seit den 1940er Jahren war Penn für die amerikanische „Vogue“ tätig und hat bis 2004, fünf Jahre vor seinem Tod mit 92 Jahren, allein 165 Titelbilder der illustren Modezeitschrift fotografiert. Mit den damals attraktivsten Models der Welt, unter ihnen auch die aus Schweden stammende Lisa Fonssagrives, die 1950 nach einer frühen Scheidung seine zweite Frau wird.

Das sind hochschlanke, bis ins Ätherische stilisierte junge Damen in den kostbaren Hüllen der internationalen Starcouturiers. Doch Penn inszeniert keine andächtigen oder leicht pathetischen Diven-Bilder wie noch bei den Modefotos seines britischen Kollegen Cecil Beaton, der sich von Penn seinerseits einmal porträtieren lässt. Vielmehr steckt selbst in dieser exquisiten Auftragskunst noch etwas Spielerisches, subtil Komödiantisches. Jetzt in der Ausstellung sind die große Mehrzahl aller Bilder die von Penn bevorzugten, oft als Vintage-Prints präsentierten Schwarzweiß-Versionen. Und es wirkt witzig, dass in einem Arrangement von neun originalen „Vogue“-Titelseiten, die sonst in Farbe waren, das Cover in der Mitte schwarzweiß ist.

Tatsächlich hat Penn darauf Jean Patchett, eines seiner schönsten Modelle, für die Ausgabe vom 1. April 1950 in einem hocheleganten Kleid mit schwarzem Hut und weißem Schal so abgelichtet, dass ihr Gesicht dabei hinter einem schwarzen durchsichtigen Rasterchiffon nur noch eine porzellanweiße Maske ist. Jenseits von allem, was man bei einem Covergirl erwartet. Und die daneben platzierten Titelthemen lauten, als hätte sie der Fotograf selbst bestimmt: „The Black and White Idea“ und „Transparent Fashions“. Künstlichkeit und Transparenz, Geheimnis und Spiel, manchmal bis ins Kokette oder Koboldhafte gesteigert, sind Irving Penns Merkmale.

„Existenzielle Porträts“ heißt eine frühe Serie von 1947/48, mit der Penn als Paris-Liebhaber auch den von der Philosophie bis in die (schwarzweiße) Mode ausstrahlenden Geist des französischen Nachkriegsexistenzialismus reflektiert. Dafür entwirft Penn als eine Art früh-Becketthaftes Bühnenbild einen schmalen, meist spitzwinkligen Korridor, in den er wie in eine Zelle und in die hinterste Ecke seine Modelle stellt. Stehend, liegend oder sitzend sind das in mal witzigen, mal superernsten Posen: George Grosz, Alfred Hitchcock, ein melancholischer junger Truman Capote, der Boxer Joe Louis wie angeschlagen in der Ringecke oder Igor Strawinsky mit der Hörhand am Komponistenohr. Marcel Duchamp, einer der Väter von Dada und Surrealismus, hat seine Pfeife (Gruß an den Kollegen Magritte), der noch frühe Peter Ustinov ragt wie ein grotesker Torso aus einer hügelähnlichen Wölbung, als sei er eine Figur aus Becketts „Glücklichen Tagen“ – und drei Herren und eine leicht bekleidete Dame versammeln sich auf engstem Raum als „Ballet Society“.

Seine ölfleckige Theaterleinwand ist bei C/O Berlin im Original ausgestellt

Irving Penn, Selbstportärt 1948
Irving Penn, Selbstportärt 1948

© The Irving Penn Foundation

Ab 1950 benützt Irving Penn in seinen Pariser, Londoner oder New Yorker Studios dann als Hintergrund für Porträts zumeist ein Stück heller, ölfleckiger Theaterleinwand, die im großen Saal im Erdgeschoss von C/O Berlin als Original ausgestellt ist. Und schräg gegenüber sieht man zum Beispiel den Dichter T. S. Eliot im Penn-Foto vor und auf diesem Stück porträtiert. Magic Moment.

Gleich neben Eliot hängt auch die legendäre Aufnahme von Marlene Dietrich 1948, wohl auf einem Hotelbett (hier abgebildet), und von Pablo Picasso 1957 in seinem Haus an der Cote d’Azur, mit Hut, spanischer Capa und dem aus dem Schatten dunkelhell hervorglühenden linken, alle Welt aufnehmend verschlingenden Auge. Auch diese Meisterstücke sind arrangiert, aber schneller als üblich außerhalb des Studios entstanden.

Als Penn in den Jahren 1967 bis 1971 seine insgesamt zehn Reisen für das Projekt „Worlds in Small Rooms“ machte, schlug er buchstäblich seine Zelte auf. Penn schuf an Wegen oder Plätzen mit eine paar eingepflockten Leinwänden kleine mobile Ateliers mit Tageslicht und lud Männer aus Papua-Neuguinea in traditionellen Kriegsmasken oder tätowierte, in ihre schleierhaften Gewänder gehüllte Tuareg-Frauen oder Berberinnen in Marokko ein, bei ihm ihre Scheu vor Kameras und dem zunächst nur kolonialistisch wirkenden Blick seines kleinen Teams nach und nach abzulegen. Ähnlich war Penn bereits 1949-51 bei einer Exkursion in die 3600 hoch gelegene peruanische Stadt Cuzco vorgegangen.

Die Nichtprominenten erhalten keine Namen

Dort hatte er von einem örtlichen Fotografen ein kleines Studio gemietet, die Türen aufgemacht und die Bevölkerung eingeladen, sich porträtieren zu lassen. Sein damals auch von zeitgebundenen Vorstellungen des „Exotischen“ geprägtes Interesse galt vor allem indigenen Menschen. Es sind Landarbeiter, Tagelöhner, Kinder. Ebenso wie bei seinen späteren Bildern aus London, Paris oder New York, wo er im Studio Müllsammler, Kellner, Ballonverkäufer oder Kanalarbeiter ablichtet, erinnern die schwarzweißen Silbergelatine-Prints an viel frühere Fotografien: an Eugène Atgets Aufnahmen von Paris im 19. Jahrhundert oder August Sanders Bildergalerie der einst proletarischen und bürgerlichen Stände. Außer Penn hat sich davon in seinen Porträts auch der große Richard Avedon inspirieren lassen. Doch anders als bei Avedon erhalten die Nichtprominenten keine Namen.

Sie bleiben anonym. Wie die üppigen Frauenakte, die zugleich nur Torsi sind. Körper ohne Gesicht. Aber das hatte Penn mit seinen Modellen vereinbart. Und alle, auch die unbekannten Indios oder Tuaregs, haben bei ihm ihre eigene Würde. Oft sieht man ihnen, die Köpfe erhoben oder gar in den Nacken gelegt, den Stolz noch an. Sie sind Objekte vor Penns Objektiv – und Subjekte aus eigenem Recht.

Auf den ganz frühen Bildern, ab Ende der 1930er Jahre, wie in den späten Serien dominieren dann ganz die Objekte. Wunderbare, auch farbige Stillleben, oft angeregt durch Maler, von Caravaggio bis Cézanne. Oder abgerauchte Zigaretten, die der Nichtraucher Penn in Nahaufnahmen zu fantastischen Skulpturen macht. Wie archäologische Fundstücke, rußig, schrundig, pompejanisch, dunkle Asche und Tabakreste wie Lava, und die fleckig weißen Papierhüllen gleichen Mumien. Die Welt auf und in – der Kippe.

Last not least: Der bei Schirmer/Mosel zur Ausstellung erschienene 372 Seiten starke Text-Bildband „Irving Penn – Centennial“ bietet zu allem noch eine grandiose Begleitung und Vertiefung (68 €). Irving Penn – Der Jahrhundertfotograf. Bei C/O Berlin bis 1. 7., tägl. 11 - 20 Uhr

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