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Die Schauspielerinnen Jella Haase, Vanessa Loibl und Amal Keller.

© Katrin Ribbe

„Iphigenie" an der Berliner Volksbühne: Furzübungen im Rüschenkleid

„Iphigenie - Traurig und geil im Taurerland“ an der Volksbühne will gegen das Bild der duldsamen Antikentochter anstinken, bleibt aber nett und harmlos.

Wieder am: 13.9. (18 Uhr), 29./30./31.10. (19.30 Uhr)

Nachdem die Berliner Bühnen eher verhalten, bisweilen fade und in der Summe theaterrevolutionsunverdächtig in die neue Saison gestartet waren, scheinen in der dritten Premierenwoche, endlich die wirklich großen Fragen aufs Tapet zu kommen: „Wie viel Widerstand steckt im gelangweilten, versoffenen, unrasierten, verfressenen, dauergeilen Frauenkörper?“

Dieses dramatische Forschungsdesiderat aufzuarbeiten, hat sich die Berliner Volksbühne auf die Fahne beziehungsweise die Website geschrieben. Die Idee stammt von Hausregisseurin Lucia Bihler und Schauspielerin Teresa Schergaut, der Untersuchungsgegenstand heißt Iphigenie. Schließlich rangiert die griechische Antikentochter mindestens unter den Top Five der schwer nachvollziehbaren und noch schwerer anschlussfähigen Frauenfiguren des Kanons, deren Dekonstruktion ja (zu recht) en vogue ist.

Iphigenie – jungfräulich, sittsam und von Aischylos bis Goethe gern literarisiert – strebt in Euripides Tragödie „Iphigenie in Aulis“ fügsam ihrem Opfertod entgegen. Das griechische Heer ist auf dem Zug nach Troja im Hafen von Aulis gestrandet, weil die zornige Göttin Artemis eine Windstille über die Bucht verhängt hat, die sie erst wieder aufzuheben gedenkt, wenn die älteste Tochter des Feldherren Agamemnon getötet wird.

Nach Brie riecht es jedenfalls nicht

Iphigenies schwer zu ertragende Duldsamkeit und grenzenlose Ego-Sublimierung in dieser existenziellen Angelegenheit scheint auch die Wiener Autorin Stefanie Sargnagel genervt zu haben, dass sie ihr zusammen mit Bihler, Schergaut und der Dramaturgin Hannah Schünemann am Rosa-Luxemburg-Platz ein Gegenprogramm verordnet. „Nach Aischylos, Euripides, Racine, Schiller und Goethe ist es Zeit für eine Kette rauchende, ungewaschene Weltikone, deren Schritt nach Brie riecht“, verspricht der Ankündigungstext auf der Volksbühnen-Website ein ehrgeiziges Vorhaben.

Die weibliche Perspektive heißt „Iphigenie – traurig und geil im Taurerland“, beginnt allerdings vergleichsweise lustig und ungeil vor einem riesigen hölzernen Tempelbau in Aulis, vor dem sich zu vorgerückter Stunde ein stattliches Wasserbecken auftut (Bühne: Jana Wassong). Dort lässt Bihler von einem fünfköpfigen und unisono behörnten Frauenensemble den Euripides-Plot weidlich nachkaspern und -slapsticken. Jedenfalls, was die männlichen Charaktere betrifft. Bei den Frauen, die letztlich aus den Jungsmachenschaften die Konsequenzen tragen – Vanessa Loibls Iphigenie und deren Mutter Klytaimnestra (Paulina Alpen) – sind auch ernsthaftere Töne zu hören.

Aber Susanne Wolff als lila beanzugter Agamemnon und Emma Rönnebeck als dessen Bruder Menelaos ergehen sich unterdessen in neckischen Kampfsportspielchen. Sie zweckentfremden potenziell lageverändernde Schriftstücke gern zu Fußbällen, die sich final in den Orkus kicken lassen. Das will alles very entertaining sein und ist es momentweise auch, bleibt aber nett und harmlos. Nach Brie riecht es jedenfalls nicht.

„Ist Abnehmen antifeministisch? Soll ich lieber zunehmen?“

Aber gut, der Sargnagel’sche Stinkigkeitsfokus liegt eh auf dem zweiten Teil. Iphigenie, die im letzten Moment vor ihrer Opferung göttlich gerettet und als Hohepriesterin nach Tauris verpflanzt wird, findet sich hier in ganz und gar gegenwärtigen Zumutungssphären wieder – namentlich denen eines Callcenters mit dümmlichen männlichen Anrufern. Fünf Iphigenien stehen an der Rampe und halten lustig dagegen: Gegen vermeintlich optimale Body-Mass-Indexe („Mein Körper ist wie ein köstlicher Wackelpudding“), gegen den Zwang zur sinnvollen Freizeitbeschäftigung („Meine Hobbies sind sitzen und Kette rauchen“) und auch gegen gelegentliche Normierungstendenzen des Dagegen: „Ist Abnehmen antifeministisch? Soll ich lieber zunehmen?“

Zwar behalten auch diese fünf Iphigenien noch bei ihren Furzübungen in jedem Sinn die weißen Rüschenkleidchen an. Aber zu den unterhaltsameren und gewitzteren Gegenprogrammatikerinnen ihrer dramatischen Art gehören sie allemal.

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