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Ein Herr von Welt, ausnahmsweise verkleidet. Caragiale in einem balkanischen Kostüm (um die Jahrhundertwende).

© Alamy Stock Photo(Mauritius

Ion Luca Caragiale: Schwätzer, Trolle, Wortverdreher

Wie für unsere Zeit geschrieben: Mit "Humbug und Variationen" des Rumänen Caragiale ist einer der großen Spötter der Weltliteratur zu entdecken.

Von Gregor Dotzauer

Der wahre Rumäne spricht sich mit mindestens drei R. Von Ion Luca Caragiales Feder zum Rrrumänen geadelt, besitzt er nicht viel Haltung, dafür Meinungen im Übermaß. Im Politischen eignet ihm ein haltloser Wankelmut, dem nur der patriotische Blick auf den äußeren Feind Einhalt gebietet. Im Privaten hält er es ähnlich. Denn nachdem er sich aus den Hitzen der Jugend ins Phlegma der mittleren Jahre geflüchtet hat, verteidigt er mit schlitzohriger Sturheit nur den müden Anschein seiner bürgerlichen Ehre. Die wahre Rrrumänin ist nicht besser. Sie hält sich nur dafür. Mit ein paar Brocken Französisch macht sie auf Dame von Welt, lebt ansonsten aber in der tiefsten Provinz ihres geltungssüchtigen Herzens, und das am liebsten auf Kosten anderer.

Es versteht sich von selbst, dass mit den Bewohnern eines solchen Landes kein Staat zu machen ist. Sie mögen schon zu Caragiales Zeiten, im kosmopolitischen Bukarest vor dem Ersten Weltkrieg, eine Karikatur gewesen sein. Zugleich kommen sie der Wahrheit der EU-Gegenwart noch immer so nahe, dass die Rumänen in Caragiale und seinen antinationalen Sticheleien bis heute ein nationales Heiligtum erkennen. 1852 in der Walachei, unweit von Ploieeti, geboren, gilt er als unangefochtener Bühnenkönig Rumäniens. Seine Formulierungen haben weitaus mehr als die Verse des Nationaldichters Mihai Eminescu, Eingang in die Alltagssprache gefunden, und seine satirischen Szenen und Dialoge gelten als Herausforderung für jeden Schauspieler.

Das Vorwort zur einbändigen Ausgabe seiner Werke im deutschsprachigen Bukarester Meridian-Verlag aus dem Jahr 1962 weist Caragiale einen Platz in der rumänischen Kultur zu, der sich nur mit demjenigen von Nikolai Gogol in Russland, George Bernard Shaw in England oder Jaroslav Hašek in Tschechien vergleichen lasse. Wie kommt es, dass dieser wie sie auf universelle Schwächen zielende Großsatiriker außerhalb seines Landes so gut wie unbekannt ist? Ein Grund liegt sicher in der wortschöpferischen und wortverzerrenden Fantasie seiner Texte. Ältere Übersetzungen haben sie einfach unterschlagen, getreuere Versuche wurden von einschlägigen Transferexperten für unmöglich erklärt.

Ein Mann mit vielen Pseudonymen

So hat sich nun die bisher in der zweiten Reihe tätige Eva Ruth Wemme auf das Abenteuer eingelassen und mit „Humbug und Variationen“ gleich ihr Meisterinnenstück abgeliefert. Der Band ermöglicht, auch durch das Nachwort der Schweizer Schriftstellerin Dana Grigorcea, einen Zugang zu Caragiales Welt, wie man ihn sich farbiger und frischer nicht wünschen kann. Es ist kein Nachteil, dass er sich auf die kurzen Prosatexte und Dialoge kapriziert, an denen der mit Bühnenstücken wie „Herr Leonida und die Reaktion“ oder „Der verlorene Brief“ berühmt gewordene Autor unter zahlreichen Pseudonymen wie Allegro, Piccolo, Hans oder einem chinesisch anmutenden Le-Va-Tin, hinter dem sich der sprichwörtlich gerissene Levantiner verbirgt, schließlich seine größte Freude fand: Sie leben von denselben kommunikativen Verknotungen und Bosheiten.

Caragiales meistaufgeführter Text dürfte sogar der im Februar 1900 in der Zeitung „Universul“ erschienene Dialog „Freunde“ sein, eine pointensicher komponierte Kneipenbegegnung, bei der Lake seinem Freund Make andeutet, es sei abfällig über ihn gesprochen worden, woraus sich ein Misstrauens- und Verschwörungsstrudel aufbaut, der mit einem handfesten Zerwürfnis endet.

Caragiale wusste, wie man die Strippen zieht. In der Klasse seines Onkels Iorgu hatte er Vortragskunst studiert, arbeitete später als Souffleur und Kopist am Nationaltheater, dessen kurzzeitiger Direktor er 1888 auf Betreiben von Königin Elisabeth wurde. Er soll auch ein brillanter Rezitator der eigenen Texte und ein mitreißender politischer Redner gewesen sein. Aber im öffentlichen Hickhack machte sich Caragiale mit seiner Spottlust, die nur vor der Figur des Bauern haltmachte, unbeliebt.

1904, im Alter von 52 Jahren, zog der zuvor notorisch klamme Schriftsteller, durch eine Erbschaft vom reinen Lohnschreibertum erlöst, nach Berlin. Zwar sprach er kaum ein Wort Deutsch, führte mit seiner Familie aber in mehreren Wohnungen zwischen Wilmersdorf und Charlottenburg ein großbürgerliches Leben mit Köchin und Bediensteten. Er unternahm Ausflüge nach Dresden und Leipzig, wo er klassische Konzerte besuchte, und reiste zwischendurch immer wieder nach Bukarest, wo er nach seinem Tod in Berlin 1912 auch bestattet wurde.

„Oh, Humbug! du bist das Siegel und die Devise unserer Zeit“: So stand es am 24. Januar 1893 in der ersten Ausgabe von Caragiales humoristischer Zeitschrift „Moftul român“. Und so steht es in dieser Auswahl aus „Momente si schite“ (Momente und Skizzen), die Texte aus den Jahren 1890 bis 1912 umfasst: „Die Engländer haben den Spleen, die Franzosen l’engouement, die Spanier das Totenhaus, die Italiener die vendetta etc.: die Rumänen haben den Humbug! Es lebe der rumänische Humbug!“

Harry G. Frankfurts "Bullshit" lässt grüßen

Bühnenprofis. Der Wahlberliner Caragiale (rechts) besucht Alexandru Davila, den Direktor des Bukarester Nationaltheaters (1909).
Bühnenprofis. Der Wahlberliner Caragiale (rechts) besucht Alexandru Davila, den Direktor des Bukarester Nationaltheaters (1909).

© R/D

Man kann darin eine Vorform dessen sehen, was der Philosoph Harry G. Frankfurt in einem legendären Essay als „Bullshit“ untersuchte. „Moft“, das Wort, das Eva Ruth Wemme mit Humbug übersetzt und um die schöne Ableitung des Humbürgers ergänzt hat, steht im Rumänischen wahlweise für schlichten Unsinn, das Hirngespinst, die Laune oder die Grille – in der Summe aber für jenen Mischmasch aus Geschwätz, heißer Luft, Phrasendrescherei und Hochstapelei, den der Philosoph Max Black 1982 in dem Aufsatz „The Prevalence of Humbug“ als „insbesondere durch hochtrabendes Gehabe in Wort und Tat irreführende und verfälschende, an Lüge grenzende Darstellung eigener Gedanken, Gefühle oder Einstellungen“ definierte. Harry G. Frankfurt folgerte daraus, dass Bullshit ein größerer Feind der Wahrheit sei als die Lüge. Denn Lügner könne man widerlegen, Bullshitter müsse man anders an die Wand nageln. Darin liegt ein Teil von Caragiales schlagender Modernität.

Auftritt ein Neugieriger: „Was schreiben die Zeitungen, Opa?“ Klare Antwort: „Humbug!“ Erkundigung bei einem Abgeordneten: „Was wurde heute im Abgeordnetenhaus geredet?“ Dito: „Humbug!“ Sorgt sich ein Patient: „Herr Doktor, ich sterbe!“ Arzt gelassen: „Humbug!“ Mucks eines politischen Einwands: „Aber die Herren X… Y… Z… haben keinerlei Verdienste, keine Kapazitäten, kein Talent, um an die Spitze einer Institution gestellt zu werden, die … und schlussendlich, was die Ehrlichkeit angeht … naja!“ Abgeschmettert: „Humbug!“

Nachrichten aus einer Zeit, in der die Morgen-, Abend- und Extrablätter eine Beschleunigung des Informationsflusses erzeugten, die sich nur mit dem hysterischen Nebeneinander der Meinungen in den sozialen Medien vergleichen lässt. Caragiale wirft auch einen sprachkritischen Blick auf die journalistischen Purzelbäume die sich in dem vollziehen, was heute Fake News heißt. In „Thema und Variationen“ äfft er quer durch das Parteienspektrum die politische Instrumentalisierung einer Feuersbrunst nach, die es vielleicht gar nicht gegeben hat.

Ein Konservativer mit anarchistischem Zungenschlag

Wo ein Erzähler sichtbar wird, zieht er sich am liebsten den Boden unter den Füßen weg. In seinem ironischen Gestus ist das prä-postmodern oder auch metafiktional. Wenn man zu Ostblockzeiten deshalb einen linken Moralisten, ja einen Klassenkämpfer aus ihm machen wollte, war das verlorene Liebesmüh. Im Grunde seines Wesens war er ein skeptischer Konservativer mit anarchistischem Zungenschlag. Mit weltanschaulichen Zuordnungen kommt man Caragiale aber grundsätzlich nicht bei. Seine Texte leben von einem so hellwachen wie fatalistischen Spott über eine ziemlich gleichmäßig verteilte Dummheit.

Aus der virtuosen Nachbildung und Konstruktion eines Aneinandervorbeiredens auf allen Ebenen begründete er mit seinem Dialog „Große Hitze“ ein absurdes Theater, das sein Bewunderer Eugène Ionesco mit Stücken wie „Die kahle Sängerin“ oder „Die Stühle“ zu einem Begriff machte. Auch der frühe Beckett scheint darin auf.

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„Humbug und Variationen“ legt vom polyphonen Reichtum des komischen, aber beileibe nicht immer lustigen Caragiale-Universums auf über 400 Seiten fast zu beredt Zeugnis ab. Denn es gibt Werkteile, die mit dieser Ausgabe nicht einmal berührt werden, darunter die Novellen, allen voran „Kir Ianulea“. Ein Märchen, das von einem Hilfsteufel erzählt, der sich auf Befehl des Höllenfürsten als Sterblicher nach Bukarest begibt, um alles über die Verwerflichkeit des weiblichen Geschlechts herauszufinden.

Das größte Pfund des Teufels auf Erden ist allerdings die schwarze Zunft. „Eine große Erfindung“, 1893 im „Moftul român“ erschienen, erzählt vom erfolgreichen Versuch des Bösen, Gott die Menschheit abzuhandeln, indem er sich einen Herrn von Gutenberg vorknöpft, ihm den Buchdruck aufschwatzt und die Rotationsmaschine erfindet. Schließlich steht er mit einem Güterzug voller Bibeln, philosophischer Schmöker, alter und neuer Zeitschriften vor der Himmelstür und will den Beweis für die Nichtsnutzigkeit der Krone der Schöpfung antreten. Gott, Petrus und die Apostel können nicht anders, als ihm recht zu geben. Nur sein Papier soll er um Himmels willen wieder mitnehmen: „Und auf diese Weise brachte er den Menschen bei, Nationalbibliotheken und Akademien zu gründen, auf dass nicht etwa die Zeit ihre Weisheit zunichte machte!“ Ob Caragiale hoffte, den Teufel wider alles Erwarten durch den Beelzebub auszutreiben?

Ion Luca Caragiale: Humbug und Variationen. Aus dem Rumänischen von Eva Ruth Wemme. Nachworte von der Übersetzerin und Dana Grigorcea. Guggolz Verlag, Berlin 2018. 432 Seiten, 24 €.

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