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Rollenspieler. Randy Newman, 73, denkt sich gerne Charaktere für seine Songs aus.

© Pamela Springsteen/Warner

Interview mit Randy Newman: „Die Atheisten brauchen eine Hymne“

Trump ist gefährlich, Putin nervt und Kim Jong-Un wäre eine Chinaoper wert – der Songwriter Randy Newman im Gespräch über sein neues Album "Dark Matter".

Mister Newman, die Songs Ihres neuen Albums „Dark Matter“ wirken widersprüchlich. Die Texte sind hart, ironisch, wütend, doch die Musik klingt lieblich. Ist das eine Strategie, Ihre Botschaften über den Zustand der USA so schön zu verpacken?

Das habe ich schon immer gemacht. Ich mag diesen Sound, den Schönklang, und ich versuche immer, meinen Songs zu dienen. Ich schreibe auch Musik für Kinofilme, und manchmal behandle ich meine Rocksongs genauso. Dann wird es mitunter lautmalerisch, auch mal orchestral. Der Hörer soll geradezu sehen, wo er sich befindet. Der Auftaktsong „The Great Debate“ beginnt mit einer übermütigen Band und einem Prediger, der jubelt: „Welcome welcome welcome to this damn arena.“ Klingt ein bisschen nach Zirkuskapelle, aber ich dachte mehr an eine italienische Townhallband. Die Worte sind vielleicht rau, die Musik nicht, aber es geht mir stets darum, dass die Botschaft der Texte so klar wie möglich rüberkommt.

Sie sind 73 Jahre alt. Sind Sie ein wütender alter Mann, ein angry old man?

Nein. Im Gegenteil. Meine Wut ist nicht gewachsen, ich bin gelassener, als ich es vor zehn, zwanzig Jahren war. Milder. Meine Frau und meine Kinder würden das hoffentlich bestätigen. Aber die Haltung, mit der ich an meine Arbeit gehe, hat sich überhaupt nicht verändert. Da bin ich unerbittlich. Ich habe es aber gelernt, mir selber gegenüber nicht mehr so hart und kritisch zu sein. Geduld, das weiß ich inzwischen, kann eine Tugend sein.

„Dark Matter“ erinnert an eine schwarze Komödie. Ist die Welt für Sie ein großes Theater?

Nein, im Gegensatz zu meinem Präsidenten weiß ich, was real ist und was nicht. Auch wenn ich in meinen Songs mit diesen Ebenen spiele. So habe ich immer schon gearbeitet, ich erfinde einen Charakter, schmeiße ihn in einen Song und gucke zu, was er dort anstellt. Wenn ich „ich“ sage in einem Lied, dann bin ich das fast nie selber. Meine Texte bestehen zu großen Teilen aus Rollenlyrik, aus Fiktionen. Wenn ich in „Putin“ über Wladimir Putin singe und den russischen Präsidenten dafür bewundere, dass er einen Nuklearreaktor mit der linken Seite seines Gehirns steuern kann, dann bin das natürlich nicht ich, der da jubelt. Es muss sich wohl um jemanden handeln, der ein wenig dümmer ist als ich. Oder vielleicht um Putin selbst.

Schurken gab es immer in Ihren Songs, aber bei „Putin“ ist es jetzt zum ersten Mal ein Schurke als Titelheld. Warum?

Weil er mich aufregt. An dem, was er macht, ist nichts bewundernswert. Der Krieg, den Putin in der Ukraine führt, ist im Westen schon fast vergessen. Der Putin in meinem Song jammert, ein Krieg um das Schwarze Meer würde sich doch gar nicht lohnen. Ein Krieg um das Mittelmeer, dieses herrliche Urlaubsresort, der würde sich lohnen. Dabei handelt es sich nicht um ein Zitat, aber Putins Art von Humor ist nicht völlig anders.

Es gibt größere Schurken als Putin in der Welt: Assad, Kim Jong-Un, vielleicht sogar Erdoğan. Warum haben Sie keine Songs über sie geschrieben?

Kim Jong-Un wäre ein toller Held für eine Chinaoper. Weil er so vollkommen seltsam ist. Aber mit diesen ganzen Staatsmännern möchte ich nichts zu tun haben. Was mich mehr interessiert, sind gewöhnliche Menschen. Das Außergewöhnliche ist langweilig. Donald Trump wäre ein zu einfaches Ziel für einen Song. Da müsste ihm einen Sängerin zusäuseln: Du bist der Größte, du liebst das Land und das ganze Land liebt dich. Das würde sich ähnlich ins Unermessliche steigern wie im „Putin“-Lied. Doch am Ende sagt die Sängerin dann: Aber ich frage mich, ob du noch weißt, was real ist und was nicht. Könnte man machen. Fände ich momentan aber nicht so spannend.

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Sind Sie schon gefragt worden, warum Sie keinen Song über Trump schreiben?

Ein paar Mal. Vergeblich. Ich mag diese Songs nicht, die right in the face geschrieben sind. Vor ein paar Jahren habe ich ein Stück veröffentlicht, dass „A Few Words In Defense Of Our Country“ heißt. Es ging um die Bush-Regierung, von der ich dachte, es sei die schlechteste in der US-Geschichte. Da war ich voreilig, blöderweise passt der Song jetzt wieder, denn Donald Trump ist noch unfähiger als George W. Bush. Man müsste nur ein paar Details ändern. Der Sänger singt die ganze Zeit, dass alles gar nicht so schlimm sei. Die Cäsaren in Rom, die Erfinder der Spanischen Inquisition, Hitler oder Stalin waren nämlich viel furchtbarer.

Im Song „Rednecks“ haben Sie 1974 über rassistische weiße Hinterwäldler gesungen. Ist das nicht seltsam: Jetzt sind Ihre Figuren in die Realität gewechselt und haben einen Präsidenten ins Amt gebracht?

Manche Fiktion braucht vierzig Jahre, um wahr zu werden, das irritiert natürlich. „Rednecks“ ist ein Lied, bei dem es heute vermutlich schwieriger wäre, es herauszubringen. Schließlich kommt darin die Zeile „We’re keepin’ the niggers down“ vor. Man müsste eine Erklärung vorausschicken, dass hier weiße Rassisten sprechen. Vielleicht könnte man es heute auch gar nicht mehr so formulieren, vielleicht gib es heute keine Entschuldigung mehr für das N-Wort. Auch wenn meine Songs oft so etwas wie kleine Theaterstücke sind, mit Figuren, die in Rollen agieren. Zum Glück sind wir sensibler geworden, was den Gebrauch von Sprache angeht. Früher machten Männer auch gerne abfällige Bemerkungen über Frauen. Das sind Witze, die man heute nicht mehr verwenden kann, weil dahinter eine lange Zeit der brutalen Unterdrückung steht.

Ist Trump ein Missverständnis oder eine Gefahr?

Eine Gefahr für die ganze Welt. Jeder, der so arrogant, so anfällig für Schmeicheleien ist, ist gefährlich. Weil er manipuliert werden kann. Wenn jemand, der keine Skrupel hat, Trump erzählt, wie supergroßartig er sei und was für ein fantastischer Verhandler, dann kann er ihn in jede beliebige Richtung schieben, und mit ihm das ganze Land. Ich habe mir niemals zuvor wirklich Sorgen um mein Land gemacht. Denen, die sagten, mit uns geht es den Bach runter, habe ich nicht geglaubt. Jetzt tue ich es, denn Trump ist tatsächlich gefährlich. Er liebt das Militär. Kürzlich hat jemand geschrieben: Wenn eine Sache schiefgeht und Trump wütend wird, dann wird er irgendein kleines Land nehmen und gegen die Wand werfen. Vielleicht wünscht er sich auch, ein Kriegspräsident zu sein, wie George W. Bush.

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Haben Sie die Hoffnung, dass Songs die Welt zum Besseren verändern können?

Nein. Aber ein wirklich starker Song wie „We Shall Overcome“ kann das Bewusstsein von vielen Menschen erreichen. Funktioniert leider nur bei den Menschen, die ohnehin schon in dieselbe Richtung gedacht haben. Es verschafft ihnen moralische Zuversicht und Stärke.

Haben Ihre Songs Ähnliches erreicht?

Ein Lied wie „We Shall Overcome“ könnte ich nicht schreiben. Und wenn ich es versuchen würde, würde es niemals ein Hit. Eine Hymne würde ich hinkriegen, ich kann jede Art von Musik schreiben. Der Song müsste einen Refrain zum Mitsingen haben, er müsste eine starke Botschaft formulieren. Okay, ich würde sogar ein Lied über einen albanischen Schäfer hinbekommen, der vom Schnee in den Bergen festgehalten wird. Das würde sentimental klingen, vielleicht sogar bewegend. Aber eine Zeile wie „We Shall Overcome“? Mit dieser Zuversicht? Niemals.

Das Motto des Berliner Kirchentags lautete „Ich sehe dich“. Auf „Dark matters“ warnen Sie: „Somebody is watching you“?

Die Zeile funktioniert in beide Richtungen. Da ist einer, der auf dich aufpasst – oder dich verfolgt. Paranoia.

Glauben Sie, dass da jemand ist, der über Sie wacht?

Nein. Ich glaube an keinen Gott. Aber woran ich glaube, das ist die Musik und die Kunst. Sie bringen Menschen zusammen und erschaffen eine unglaubliche Kraft. Gospelmusik ist toll. Leider haben Agnostiker und Atheisten es nicht geschafft, vergleichbare Hymnen zustandezubringen. Wenn sie zusammenkommen und sagen: Komm, wir spielen unser Lied, dann gibt es da nichts. Vielleicht sollte ich mich an die Arbeit machen.

Am Freitag erscheint sein Randy Newmans Album „Dark Matter“ (Warner).

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