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Die US-amerikanische Entertainerin Gayle Tufts lebt seit 1991 in Berlin.

© Robert Recker

Interview mit Entertainerin Gayle Tufts: "I'm an Abstand-Girl"

Gayle Tufts für Mai geplante Premiere "Make America Gayle Again" ist in den September verschoben worden. Ein Gespräch über Hometraining, Corona-Songs und ihren Damenbart.

Von Sandra Luzina

Frau Tufts, wie haben Sie die Wochen seit dem Shutdown erlebt?

Ich war so oft auf Tournee in den letzten drei Jahren. Deshalb macht es mir nichts aus, zu Hause zu bleiben. Und ich bin keine alleinerziehende Mutter! Ich darf sagen, die ersten Wochen waren ein Geschenk für mich. Aber nach der dritten Woche fing ich an, darüber nachzudenken, dass ich derzeit kein Einkommen habe – und dass ich nicht nach Amerika fahren kann, wenn meiner Schwester oder meinem Bruder etwas passiert.

Sitzen Sie denn auf heißen Kohlen in Berlin? Wären Sie jetzt lieber in New York?
Nein. Ich bin so froh, dass ich mich vor 30 Jahren entschieden habe, nach Berlin zu gehen. Und ich bin sehr dankbar für das soziale Netz, das es hier gibt. Als Solo-Selbstständige habe ich die Soforthilfe von der IBB bekommen. Das war wichtig, denn alle meine Auftritte in den nächsten Monaten wurden abgesagt.

Jetzt hätten Sie die Premiere ihrer neuen Show „Make America Gayle again“ in der Komödie am Kurfürstendamm im Schillertheater gefeiert. Ist die Produktion abgeblasen oder nur verschoben?
Wir haben jetzt im September Premiere. Ich werde dann ein Versuchskaninchen sein. Wir können nicht dieselbe Form von Entertainment machen wie vor sechs Monaten.

Worauf wird es besonders ankommen – abgesehen davon, dass alle die Abstandregeln einhalten müssen?
Man muss wahnsinnig ehrlich sein! Ich glaube, die Leute möchten Texte und Lieder hören, sie wollen eine menschliche Verbindung spüren – dem Abstand zum Trotz. In meiner Show wird es wie immer etwas zum Lachen, zum Heulen und wieder zum Lachen geben. Mein Ziel ist: Die Leute sollen sich besser fühlen, wenn sie rausgehen. Ich verstehe mich als Dienstleisterin!

Wird es denn auch eine Abrechnung mit Trump sein?
Ich habe überlegt: Kann ich noch mit dem Thema Trump kommen? Aber dieses horrible orange monster ist so schrecklich – man muss über ihn sprechen.

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Sie führen seit Wochen ein Corona-Tagebuch. Auf Ihrer Facebook-Seite kann man sich die kurzen Videoclips anschauen. Wollen Sie die Leute aufmuntern in diesen schwierigen Zeiten?
Das ist Beschäftigungstherapie! Aber ich möchte den Leuten natürlich auch Mut machen und sie zum Lachen bringen. Ich habe die Folgen zunächst für Radio Paradiso geschrieben und dann mit meinem guten Freund Andreas Bremer die Videos in meinem Büro gedreht.

Ihre Selbstironie und Ihr Humor haben offenkundig nicht gelitten. Geben Sie uns doch bitte ein paar Survival-Tipps. Wie kommt man gut durch die Krise?
Ich versuche, positiv zu denken – und ich putze wie verrückt. I am decluttering my life, das meint ausmisten. Außerdem schreibe ich jeden Tag. Eine tolle Übung.

Machen Sie Hometraining?
Yes. Ich gehe zurück zu den Klassikern. Ich schaue mir online Jane Fondas Workout an. Jane ist out of her mind, sie ist durchgedreht! Eine Tänzerin aus New York hat mir außerdem „Cher Fitness“ empfohlen. Die Sängerin im schwarzen Spitzenbody!

Der Regisseur Frank Castorf erklärte in einem „Spiegel“-Interview: „Ich möchte mir von Frau Merkel nicht sagen lassen, dass ich mir die Hände waschen muss.“ Fühlen Sie sich auch bevormundet?
Du möchtest nicht, dass jemand anders sagt, was du mit deinem Körper machen oder nicht machen sollst? Das sind meistens Männer, die so etwas sagen. Wir Frauen kennen das! Denn das bedeutet es doch being a woman.

Grafik-Social Distancing während der Coronavirus-Krise
Klicken Sie auf das Symbol um die komplette Grafik zu sehen.

© Tagesspiegel/Cremer

Wir müssen uns wohl noch eine ganze Weile an das Abstandsgebot halten. Fällt Ihnen das schwer?
Es gibt den wissenschaftlichen Begriff skin hunger. Es ist ganz klar, das wir körperlichen Kontakt brauchen so wie Luft und Sonnenschein. Ich bin sehr froh, dass ich den Bremer, meinen Mann, habe. Aber man kann sich auch eincremen, wenn man alleine ist. Ich mache im Moment sehr viel Körperpflege – ich sollte mich selbst bezahlen als Kosmetikerin. Aber langsam mit meinem Damenbart I look a little bit like Wolfgang Thierse. Die Kosmetiksalons müssen bald wieder öffnen!

In Corona-Zeiten sind viele Coversongs entstanden. Was sind Ihre Favoriten?
Billy Joels „Uptown Girl“ habe ich zu „Abstand-Girl“ umgetextet. Mit Helene Fischer singe ich „Atemschutz-Maske drauf vor dem nächsten Supermarktkauf“.
Sind dies gute Zeiten für Comedians?
Ich schaue mir viele Kollegen an, auch die großen Comedians in Amerika. Es ist ernsthafter geworden, aber nicht leichter. Man kann über harte Dinge Comedy machen, aber es muss gut sein. Was mir ein bisschen fehlt, sind Frauen. Es gibt fantastische Frauen – wo sind die denn?

Haben Sie denn den Eindruck, dass die Berliner in der Krise mehr Solidarität zeigen?
Ich bin beeindruckt von den Berlinern – wenn es hart auf hart kommt, sind sie für einander da. Da sind sie wie die New Yorker. Aber ich bemerke, dass einige Leute sich wieder verhalten, als ob nie etwas gewesen wäre und zu ungeduldig werden.

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Werden wir aus der Coronakrise lernen?
Ich hoffe es. Vielleicht werden andere Arbeitsformen entstehen, vielleicht kommen einige Väter auf den Geschmack und verbringen mehr Zeit mit ihren Kindern. Vielleicht wird uns bewusst, dass wir nicht jedes Wochenende für fünf Euro irgendwo hinfliegen müssen. Die Luft ist derzeit besser, das riecht man tatsächlich.

Sie werden im Juni 60. Ihre Wünsche?
Nicht viel: Gesundheit für alle und eine friedvolle Welt! Außerdem würde ich so gerne mit zwei Personen zum Essen in ein Restaurant gehen. Vielleicht wird das ja möglich sein. Sonst mache ich ein Picknick mit passendem Abstand!

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