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Der kanadisch-amerikanische Musiker Rufus Wainwright, 46.

© Jörg Carstensen/dpa

Interview mit dem Songwriter Rufus Wainwright: „Es geht mir besser als je zuvor“

Der Musiker Rufus Wainwright lebt als Familienvater in Los Angeles. Ein Gespräch über Glück, Verlustängste, die Ratschläge von Frauen und sein neues Album „Unfollow the Rules“.

Mister Wainwright, Ihr am Freitag erscheinendes Album knüpft an Legenden wie Frank Sinatra oder Leonard Cohen an. Bisher waren eher Judy Garland und Joni Mitchell ihre Ikonen. Werfen Sie die Frauen nun über Bord?
Nein. Wenn man diesen Damen einmal verfallen ist, bleiben sie einem für immer erhalten. Joni Mitchell und ihre Gesangsqualitäten sind auf dieser Platte genauso präsent wie die Tonsprünge von Judy Garland.

Sie haben 2006 sogar ein spektakuläres Konzert von Garland aus dem Jahr 1961 komplett nachgesungen.
Damals war ich besessen von Judy. Dieser Auftritt war mein Exorzismus. Ich lebte eine Zeit lang in Los Angeles und hatte mehr als einmal das Gefühl, Judy stünde leibhaftig vor mir – obwohl Sie seit Jahren tot war.

Vielleicht haben Sie zu viele Drogen genommen?
Gut möglich. Mit den Konzerten spülte ich das alles aus meinem Körper heraus. Und dann stand ich zehn Jahre später wieder mit ihren Liedern auf der Bühne und fühlte mich männlich, stark, beinahe aggressiv. Ich hatte den Eindruck, ich sei mehr Frank Sinatra als Judy Garland – und ich bin nicht einmal Fan von ihm.

Woran lag das
Dass ich mich in meinen Vierzigern befand und nun bestimmte Verantwortungen übernommen hatte. Ich war nicht mehr die gebrochene tragische Judy-Figur von einst. In den Jahren zwischen beiden Konzerten war ich Vater einer Tochter geworden, hatte meinen Freund geheiratet. Das waren fundamentale Einschnitte.

Was hat sich dadurch verändert?
Sehen Sie, als Vater eines Kindes müssen Sie Ihr Ego vergessen, sensibel und fürsorglich sein. Als Ehemann sollten Sie treu und mitfühlend sein. Das sind sehr positive Eigenschaften, die nicht immer einfach aufrechtzuerhalten sind. Früher handelte ich eher nach der Kehrseite dieser Medaille: Ich wollte nie erwachsen werden, dachte nur an mich und besaß nicht immer den nötigen Takt in bestimmten Situationen.

Männern lässt man das eher durchgehen?
Ja, Mädchen sind gezwungen, schneller erwachsener zu werden, weil sie um mehr Sachen kämpfen müssen als Jungs.

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Mittlerweile haben Frauen die Popwelt übernommen, Billie Eilish, Taylor Swift, Lady Gaga ...
Es gibt vielleicht einen Sänger wie Harry Styles, der jedoch nicht denselben Ikonenstatus wie die Frauen genießt. Wo ist ein Michael Jackson? Ich verehre Billie Eilish, mir gefällt ihre Haltung, wie sie trotz ihrer Jugend die Kontrolle über ihre Karriere behält. Ich bemängle nur eins, und das beziehe ich auf die gesamte Popmusik: Mir fehlen die Lieder. Wo sind die brillanten Songs für die Ewigkeit, die mit Stücken aus einer Oper mithalten können? Die habe ich bei keiner dieser Frauen gehört.

Joni Mitchell sagte einmal, dass unsere Kultur eine romantische Sucht nach Unsicherheit fördern würde: „Ob man sich mit dem Objekt seiner Begierde je vereint oder nicht, ist der Rausch, an dem die Menschen hängen.“ Galt das auch für Sie?
Höre ich mir meine alten Lieder an, spüre ich, dass es für den jungen Rufus immer etwas Besseres gab, was um die Ecke lauerte. Die Türen der U-Bahn schlossen sich gefühlt in jenem Moment, in dem ich gerade hinaustreten und auf meine wahre Liebe zugehen wollte. Es gab eine Sehnsucht nach dem Unerreichbaren, die nie erfüllt werden konnte. Dieses Album hat damit abgeschlossen. Mein Leben kennzeichnet inzwischen ein anderes Gefühl: Hast du die Liebe deines Lebens gefunden, musst du damit rechnen, sie eines Tages zu verlieren. Spätestens der Tod wird sie dir nehmen.

Macht Ihnen das Angst?
Es bringt mich jedenfalls durcheinander. Ich erinnere mich an einen frühen Film von Woody Allen. Als er einen frisch Verliebten spielte, einen total glücklichen Menschen, der mit einem Mal ausrief: Moment mal, ich werde eines Tages sterben? Diese Erkenntnis ist schon beängstigend. Das korrespondiert auch mit einer künstlerischen Sorge, einem Gedanken, der mich umtreibt. In letzter Zeit finde ich, dass es mir besser geht als je zuvor. Ich bin gesund, meine Stimme ist kräftig, ich habe eine weltweite Karriere, doch was kommt danach? Der Vorhang geht langsam runter. Und dann befällt mich eine neue Traurigkeit.

Jagt Ihnen als Romantiker auch die moderne Dating-Kultur Angst ein?
Vor 15 Jahren war ich noch Single, es gab keine Smartphones, der Schatten von Aids hing über uns Schwulen. Wenn man jemanden kennenlernte, musste man aus dem Haus gehen, Menschen in Echtzeit treffen, hatte eine tolle oder nicht so tolle Zeit. Aber es hatte immer den Ruch des Riskanten. Heute ist es leichter, jemanden über Apps kennenzulernen, und sicherer, weil es Medikamente zur HIV-Vorsorge gibt.

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Ich finde das grundsätzlich befreiend. Allerdings habe ich das Gefühl, das Dating frisst viel mehr Zeit. Weil die Technologie so schnell und die Belohnung greifbarer ist, hat sie einen hohen Suchtfaktor. Früher bist du zur Bar gegangen und dir ist möglicherweise auf dem Weg dorthin etwas Unerwartetes passiert. Heute triffst du diese Menschen gar nicht mehr, die Parameter sind durch die Technik festgesetzt. Ich kenne Menschen, die Online-Dating depressiv gemacht hat. Man macht immer dasselbe, es gibt keine Tiefe, keine Geschichten dahinter mehr.

Fürchten Sie als Vater bereits um die zukünftigen Dates Ihrer Tochter?
Nein, ich glaube, ihre Generation hat ein anderes, instinktiveres Verhältnis zur Technik. Es ist keine Anomalie wie für Menschen meiner Generation.

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Ihren Job als Vater haben Sie einmal so beschreiben: Ihre Tochter zu verwöhnen.
Ich denke nach wie vor, dass das wichtig ist. Wenn ich unterwegs bin, kaufe ich ihr gern Sachen. Wir teilen dieselbe Faszination für Schmuck. Ringe, Armreifen, Broschen, Stirnreife, hat sie alles schon.

Als Sie mit 21 Jahren in den Clubs von New York oder Toronto ausgingen, hatten Sie damals schon den geheimen Wunsch, einmal Vater zu sein?
Nein, ich hätte nie gedacht, dass es passieren könnte. Es gab über die Jahre immer einige Angebote von Frauen, die Kinder mit mir haben wollten. Ich habe mit der Idee gespielt, nahm sie jedoch nie so ernst.

Erst als Ihre Mutter, die Folksängerin Kate McGarrigle, im Sterben lag und Sie dazu aufforderte, änderten Sie Ihre Meinung. Hätte der Rat Ihres Vaters dasselbe Gewicht gehabt?
Nein, wir standen uns nicht so nahe. Meine Eltern haben sich ja getrennt, als ich klein war. Als sich die Gesundheit meiner Mutter verschlechterte, erzählte ich ihr von den Baby-Angeboten und fragte sie nach ihrer Meinung. Sie hat mich auf der Stelle dazu verdonnert. Sie wusste, dass sie sterben würde, und wollte, dass ich jemanden in meinem Leben hätte, der dieselbe Macht über mich habe wie sie. Und das kann nur ein Kind erreichen.

Lange lebten Sie in Toronto, Ihre Tochter wohnte mit der Mutter in Los Angeles und Sie sahen sie nur alle paar Wochen. Erst als Sängerin Chrissie Hynde Ihnen dazu riet, zogen Sie nach Kalifornien. Mögen Sie es, von Frauen Befehle zu empfangen?
Absolut. Ich hätte auch gern eine Frau im Weißen Haus gesehen. Deshalb bin ich traurig, dass Elizabeth Warren ihre Kandidatur für die Demokraten zurückgezogen hat.

Nehmen Sie die Ratschläge von Frauen ernster?
Ich bin eher gewillt, ihnen zuzuhören. Ich bin in einem Matriarchat aufgewachsen, meine Mutter hat mich und meine Schwester allein erzogen. Daher hatte ich immer einen guten Draht zu Frauen.

Und zu anderen schwulen Künstlern. Elton John hat Ihnen geholfen, einen Entzug zu machen. Hat er Ihnen auch für die Ehe etwas geraten?
Nein, wir reden über Musik, wenn wir uns treffen. Er ist ein reizender Mensch, ich würde gern mehr Zeit mit ihm verbringen, möchte ihm aber gleichzeitig nicht das Gefühl geben, dass ich ihn ausnutze. Deshalb ziehe ich mich bewusst zurück. Ich will nicht Teil dieser Elton-Entourage sein.

Das war doch Ihr Lebenstraum als Teenager: einmal mit ihm aus dem Helikopter steigen und direkt auf die Bühne gehen.
Hey, ich bin einmal in seinem Privatjet mitgeflogen. Das ist also abgehakt.

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