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Johnny „Jacho“ Bottrop, Apocalypse Vega und Bene Diktator (v.l.) sind Acht Eimer Hühnerherzen.

© B. Jubin

Interview mit Acht Eimer Hühnerherzen: „Stur zu bleiben, hat nichts mit Punk zu tun“

Die Kreuzberger Band Acht Eimer Hühnerherzen im Gespräch über ihre Anfänge auf einer Trauerfeier, das Dagegensein in Krisenzeiten und das neue Album „Musik“.

Die Kreuzberger Folk-Punk-Band Acht Eimer Hühnerherzen gründete sich 2018. Der Name soll auf eine Performance mit Hühnerherzen zurückgehen, von der Sängerin Apocalypse Vega gehört hatte. Größere Bekanntheit erlangte die Band mit dem Song „Mittelmaß“. Die Band verzichtet weitgehend auf elektronische Gitarren und spielt auf halbakustischen Instrumenten. Auf „Musik“ sind aber auch Posaune, Cello und Klavier zu hören. Obwohl das Interview an einem Freitagabend im Caferoyal in Friedrichshain stattfindet, bestellt das Trio eine Limonade, einen Milchkaffee und einen Kräutertee.

Apocalypse Vega, Johnny „Jacho“ Bottrop und Bene Diktator, als Acht Eimer Hühnerherzen haben Sie gerade ihr drittes Album „Musik“ (Kidnap Music) veröffentlicht. Ihren Stil nennen Sie „Nylonpunk“. Im Szenemagazin „Ox“ schrieb ein Rezensent, die Songs seien „Morgenmagazin-kompatibel.“
BENE DIKTATOR: Für’s Morgenmagazin muss man zu früh aufstehen. Das ist unmenschlich.

Sie nennen als Einflüsse Punkbands wie Pisse, Angeschissen und Dackelblut. Kritiker:innen vergleichen Acht Eimer Hühnerherzen aber eher mit dem Pop-Rock von Wir sind Helden. Tut das weh?
APOCALYPSE VEGA: Manche finden unsere Musik kitschig oder gefällig. Wir haben mal auf einem reinen Punkfestival gespielt. Sehr betrunkenes Publikum. Ich hatte richtig Angst. Dann haben die aber unsere Lieder mitgegrölt. Das war toll.
JOHNNY BOTTROP: Wir besetzen eine Nische, in der auch Jonathan Richman & The Modern Lovers oder die Violent Femmes saßen. Man hört doch, wo wir herkommen, auch wenn wir nur mit niedlichen Nylonsaiten spielen.

Für viele Hörer:innen dürfte die Auseinandersetzung schon beim Bandnamen enden. Punk wollte immer provozieren. Funktioniert das 2022 noch?
JOHNNY BOTTROP: Vielleicht leben wir in Zeiten, in denen Satire und Provokation nicht mehr möglich sind und es in der Wahrnehmung vieler so bunt zugeht, dass man nur noch mit Schwarz-Weiß-Denken die Welt sortiert. Mit dem Namen wollten wir alphabetisch einfach weit vorne im Plattenregal stehen.

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Ihre Songs sind von einem Spannungsverhältnis zwischen Albernheit und Melancholie geprägt. Stimmt es, dass die Bandgeschichte auf einer Beerdigung begann?
JOHNNY BOTTROP: Das war unser zweites Konzert. Ein Theaterschauspieler war verstorben, der Teil der Szene war. Er wollte, dass auf seiner Beerdigung eine Punkband spielt. Der Bestatter fragte hinterher, ob wir nicht eine professionelle Musikgruppe für Trauerfeiern werden wollen.
APOCALYPSE VEGA: Das war damals schon heftig, unsere Texte vor älteren Menschen zu singen, die trauern.

Sie schreiben Songs für „Alleinerziehende, Alleinerzogene und Allergiker“. Früher standen Punkbands noch für andere Begriffe die mit A beginnen.
BENE DIKTATOR: Stimmt schon: Alkoholiker, Anarchisten, Asoziale. Wir mögen einfach Alliterationen.
JOHNNY BOTTROP: Ich habe immer gesagt, dass Vega der Bob Dylan unter den alleinerziehenden Müttern ist.
APOCALYPSE VEGA: Als wir anfingen, saßen wir oft im Tiergarten zum Komponieren. Ich habe aber eine große Hundephobie. Und Jacho hat dann den Besitzern der herumstreunenden Tiere zugerufen: Bitte anleinen, die Frau hier hat eine starke Hundeallergie!

Für die Aufnahmen zu „Musik“ haben Sie erstmals einen Produzenten engagiert.
APOCALYPSE VEGA: Das war schon sehr herausfordernd, dass da jemand sagt, ich treffe den Ton nicht. Da verliert man schnell den Drive. Ich musste die Gesangsspur am Ende nochmal komplett neu und ohne ihn aufnehmen. Es fühlte sich sonst falsch an.
JOHNNY BOTTROP: Wenn die Töne stimmen, ist das für die Musiktheorie richtig, aber für Acht Eimer Hühnerherzen falsch. Die Berliner Schnoddrigkeit ist viel wichtiger.

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Punk war immer mit einem Dagegensein verbunden. In letzter Zeit dürfte das eher schwieriger geworden sein…
JOHNNY BOTTROP: So sehr die Regierung während der Pandemie teilweise gerudert ist, so habe ich doch die meisten Maßnahmen absolut befürwortet. Ich war viel mehr gegen die Esoteriker, die sogenannten Skeptiker und Maßnahmengegner. Der Staat galt immer als Verfechter einer neoliberalen Wirtschaftsordnung und sagte plötzlich: Eigentum und Unternehmertum ist egal, jetzt wird zugemacht! Eigentlich eine sehr antikapitalistische Maßnahme.
BENE DIKTATOR: Man muss geistig schon flexibel bleiben und nicht verstockt sein. Nur weil der Staat etwas sagt, ist es nicht scheiße. Stur zu bleiben, hat nichts mit Punk zu tun, das ist reaktionär. „Querdenker“ war für mich mal ein positiv besetztes Wort. Das pisst mich ziemlich an, dass die das jetzt besetzt haben.

In ihrem Song „Genug“ gibt es die treffende Passage „Ich will nur Freunde und Verwandte haben, die so denken wie ich“.
BENE DIKTATOR: Es bilden sich auch in unserem Umfeld verhärtete Fronten. Daran ist auch die Informationsflut in sozialen Netzwerken schuld.

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Ursprünglich wollten Sie am 25. Februar Ihr Album veröffentlichen – am Tag, als die Invasion in die Ukraine begann. Sie verschoben es vorab. Da ließe sich auch eine schöne Verschwörungstheorie stricken.
JOHNNY BOTTROP: Das ist eine Riesenscheiße. Hier ist es leicht, sich mit einem Friedensplakat auf die Straße zu stellen, in Russland aber nicht. In der Punkszene habe ich viele Freunde in Moskau oder Minsk. Die sind schon lange von Repressionen betroffen. Ich habe letzte Woche mit Bandmitgliedern vor Ort geschrieben, um die internationale Solidarität am Leben zu halten.

Zu Beginn des Albums heißt es „Für meine Band bin ich ein Zoni / Und sie für mich ein Kombinat“. Wie viel Konfliktpotenzial bietet das Thema Ost vs. West?
APOCALYPSE VEGA: Ich bin bei Eisenhüttenstadt aufgewachsen. Es ist nicht nur die eigene Lebensspanne, die prägt. Auch die der Eltern und Großeltern. Ich habe andere Musik als Jugendliche gehört als die beiden, war auf einer Musikschule. Mein Kolchosen-Schema trifft auf das Coca-Cola-Schema der anderen.
JOHNNY BOTTROP: Im Coca-Cola-Schema muss ein Part vier Mal gespielt werden. Ich wuchs ja mit den Beatles, Elvis und Chuck Berry auf. Vega kommt aus der russischen Klassik, bei den Komponisten darf er nur drei Mal gespielt werden. Da gibt es schon mal Streit.

Sie singen in „Straßen der Gewalt" die wütende Zeile: „Es ist so schön, wenn Du schweigst / Und mir mal nicht die Welt von außen zeigst“. Spricht da der Frust über eine männerdominierte Szene raus?
APOCALYPSE VEGA: Aus meiner Bühnenerfahrung heraus kann ich sagen, dass ich ziemlich oft die einzige Frau bin. Sowohl unter den Bands, die an dem Abend spielen als auch im Veranstaltungsteam vor Ort. Höchstens eine Barfrau ist mal da.
JOHNNY BOTTROP: Als ich ein 15-jähriger Punk war, da waren oft Mädchen die Bosse der Gangs. Über die Neunziger ist Punkrock zunehmend Männersache geworden. Das war auch der negative Einfluss des Hardcore-Punks aus den USA.

Johnny Bottrop, Sie sind 55 Jahre alt und seit Jahrzehnten in Punkbands aktiv. Kommt es angesichts des Altersgefälles bei Acht Eimer Hühnerherzen zu Generationenkonflikten?
APOCALYPSE VEGA: In Jacho stecken 35 Jahre Punkrock. Die können im Proberaum auch mal im Weg stehen. Da müssen Dinge für ihn manchmal so laufen, wie sie immer gelaufen sind. Ich fühle mich dagegen oft unerfahren, will mir aber trotzdem zugestehen, manches anders zu sehen, es anders zu versuchen.
JOHNNY BOTTROP: Der größte Unterschied ist: Ich muss öfter auf’s Klo.

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