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© AFP

Interview: "Die Liebe gibt keinen Sinn"

Der 62-jährige Gegenwartskünstler Anselm Kiefer über sein Gemälde für den Louvre, den Urknall, die Liebe und andere Mysterien.

Herr Kiefer, 50 Jahre nach Georges Braque sind Sie der erste zeitgenössische Künstler, der mit einem Wandgemälde im Louvre verewigt ist. Macht so viel Ehre eitel?

Nein, so bin ich nicht. Ich war schon mit 16 Jahren im größten Museum der Welt zugegen. Ich kam damals per Autostopp nach Paris und stand als Jugendlicher vor den Gemälden von David, Delacroix, Corot und den Skulpturen der griechischen Antike. Jetzt bin ich sozusagen wieder zurückgekehrt. Mit einem Bild auf dem Rücken.

Ihr Bild „Athanor“ zeigt eine düstere Sternennacht. Darunter liegt ein Mensch. Sind Sie diese Person?

Ja. Das ist der Mensch, der in Verbindung mit dem Kosmos tritt. In die krustigen Risse der Erdschichten, auf denen der unbewegliche Mensch liegt, habe ich Blei gegossen. Eine Transformation entsteht, ein Metabolismus, ein Stoffwechsel.

Sie verwenden Blei, Gold, Silber, Erde oder Sand, Teer, Stroh für Ihre Werke und transformieren sie zu Metaphern, zu Weltlandschaften. Was suchen Sie in den archaischen Materialien?

Ich suche nichts. Ein Künstler macht ja genau dasselbe wie ein Alchemist. Er beschleunigt einen Prozess. Er transformiert. Ich setze meine Arbeiten zum Beispiel dem Wetter, der Hitze, der Sonne, dem Schnee oder Hagel aus. Die Natur arbeitet also immer mit und verändert die Materialien. Über das Ergebnis bin ich oft selbst erstaunt.

Mikrokosmos und Makrokosmos spielen in Ihrer Kunst eine große Rolle. Was reizt Sie daran ?

Das Verhältnis dieser beiden Welten hat mich schon immer interessiert. Wenn wir zum Beispiel unsere kleinsten Zellen oder die Atome in der Physik betrachten, stehen sie mit dem Menschen im gleichen Verhältnis wie der Mensch zum Kosmos. Die DNA, die Genmoleküle aller Menschen, passen in eine Teetasse. Das heißt, wir befinden uns zwischen Mikro- und Makrokosmos. Wir sind die Haut, die Membran genau dazwischen. Ich nähere mich diesen Polaritäten, ohne die Grenzen überschreiten zu wollen. Meine Kunst ist eine Art Bindeglied zwischen innen und außen.

Das heißt, Sie wollen Grenzbereiche aufzeigen, die räumlich bedingt sind?

Nein. Grenzen sehe ich ganz weit. Natürlich sehe ich sie auch politisch oder geografisch, wenn ich etwa an Deutschland denke oder an den Strom, den Rhein. Grenzen bedeuten für mich hauptsächlich das, was unsere Existenz definiert.

Die Zeitspanne von Leben und Tod?

Ja, unter anderem auch der Tod. Grenzen bedeuten auch Begegnungen, Gemeinschaft. Dabei stellt sich immer die Frage, ob wir überhaupt verantwortlich sind für das, was wir tun. Oder sind wir ein Strom von Einflüssen, von Strahlungen? Grenzen sind der Begriff, den man braucht, um das Menschsein zu erklären.

Wo wird das deutlich für Sie?

In der Dichtung von Ingeborg Bachmann zum Beispiel. In ihrem Gedicht „Böhmen liegt am Meer“, inspiriert von Shakespeare, der in seinem „Sommernachtstraum“ Böhmen irrtümlicherweise ans Meer verlegte. Da wird deutlich, wie man Grenzen benötigt, um zu leben, und zugleich wird die Dialektik klar. Grenzen sind ja illusorisch. Es gibt eigentlich gar keine, wenn ich mich selbst betrachte und das, was ich tue. Aber ich sehe mich nicht als Genie.

Nicht?

Nein, überhaupt nicht. Ich fühle mich in der Welt ganz anders. Meine Arbeit ist verbunden mit all dem, was um mich herum geschieht und mich durchdringt. Worte von Dichtern wie Bachmann, Paul Celan, Rilke oder Paul Valéry gehen in mein Werk ein. Ich lebe und kommuniziere mit ihnen. Ich bin eigentlich nur ein Durchgangsstadium. Bei Bachmann heißt es: „Ich grenz noch an ein Wort und ein andres Land, ich grenz, wie wenig auch, an alles immer mehr.“ Wenn wir Grenzen nicht überschreiten, werden wir früh alt und sterben aus Verklemmung.

Bilder oder Worte sind aber nur Umschreibungen für das, was wir suchen und was an den Mysterien Mensch und Universum unbegreiflich bleibt.

Nun, man muss die Wissenschaft unterscheiden von der Kunst, zu der ich auch Dichtung und Musik zähle. Die Wissenschaft konnte nie das gesamte Weltbild erklären. Obwohl es immer mehr Detailwissen gibt …

... wie über den Urknall ?

Wissenschaftler meinen ja sogar, dass der Urknall nur ein kleines Ereignis innerhalb eines Konzerts von Urknallen gewesen sei. Es heißt, unser Universum dehnt sich aus. Eine unmögliche Vorstellung. Wohin dehnt es sich aus ? Jede Erkenntnis erweist sich als Nichtwissen.

Die Grenzen und das, was die Grenzen durchbricht. Wie lösen Sie diesen Widerspruch?

Wir leben aus diesem Widerspruch heraus. Wir werden in beide Richtungen gezogen. Die Kunst kann auf einer nichtwissenschaftlichen Ebene eine Erklärung der Welt liefern. Meine Bilder versuchen das. Kunst ist auch ein Paradox. Sie ist die Unmöglichkeit, eine endgültige Form zu finden.

Sie sagten einmal, Malen sei für Sie der Sinn zu leben und zu überleben.

Ich weiß überhaupt nicht, wer einen Sinn sehen kann.

Die Liebe wäre ein Sinn.

Die Liebe gibt keinen Sinn. Sie gibt vielleicht eine Befriedigung, aber keinen Sinn.Wir wissen nicht, woher wir kommen, warum wir hier sind. Die Abstammung, wie sie die Israeliten sehen, geht bis zu Abraham zurück. Doch niemand weiß, was das alles soll. Unser Universum ist etwas völlig Irrationales. Es gab die Bewegung des Christentums und den Marxismus, um der Welt einen Sinn zu geben. Aber es gibt keinen Sinn.

Was hält Sie denn am Leben?

Ich bin neugierig. Ich will wissen, was am nächsten Tag nach dem Leben steht.

Manche sprechen von einem grenzenlosen Licht. Haben Sie Visionen?

Ja, ich hatte einmal eine Vision. Ich war fünf oder sechs Jahre alt. Ich hatte Maria gesehen. Das ist möglich, wenn man wie ich katholisch erzogen worden ist. Ich war auch Messdiener, ich kann alle Messen auf Lateinisch aufsagen. Visionen sind mit einer Vorstellungskraft und Fähigkeit verbunden, etwas an einen herantreten zu lassen und in ein Bild umzuwandeln.

Warum befassen Sie sich gern mit Schöpfungsmythen, vor allem mit der jüdischen Mystik, der Kabbala?

Weil sie mir umfassender scheint und in meinen Augen die Welt besser erklärt. In dem Gleichnis vom brennenden Dornenbusch spricht Gott zum Beispiel zu Moses, er solle Gott lieben, ihn suchen, aber nicht beim Namen nennen. Diese Nichtfixierung stellt für mich das profundeste Mysterium überhaupt dar. Die christliche Lehre ist dagegen eine Kampftheologie. Als sie entstand, haben sich die Kirchenväter des 2. und 3. Jahrhunderts gegen die Agnostiker gewehrt. Die Theodizee kann ja die Frage nicht beantworten, warum Gott, der die Welt geschaffen hat und der Inbegriff des Guten ist, das Böse zulässt.

Der französische Philosoph André Glucksmann sagt, wenn es kein Böses gibt, ist alles erlaubt. Damit man das Böse überhaupt denken kann, braucht man die Vorstellung vom Guten.

Natürlich sind das sogenannte Gute und das Böse komplementär, und sie sind immer vermischt. Es gibt nichts Eindeutiges, auch nicht in der Theologie. Judas ist ein Teil der Heilsgeschichte. Wenn Judas Jesus nicht verraten hätte, wäre alles anders gekommen. Judas wird zu einer Idee, der Idee des Bösen.

In Ihren Werken verarbeiten Sie die deutsche Geschichte, das Dritte Reich, auch die deutsche Mythologie wie in Ihren frühen Bildern „Geisteshelden“, „Schlachtenfelder „ oder „Siegfried vergisst Brunhilde“. Dient Ihnen Historie als Daseinsbewältigung?

Ich sehe mich nicht getrennt vom Rest der Welt. Ich bin ein Mensch, der präzise Erinnerungen hat an frühere Zeiten. Die Geschichte ist das Material meiner Kunst. Man kann sie formen wie Ton.

Seit Sie 1993 in Südfrankreich und heute vor allem in Paris leben, kommt Deutschland weniger in Ihren Arbeitern vor. Ist das Thema für Sie abgeschlossen?

Kein Thema ist je für mich erledigt. Nur tritt Deutschland heute in einen weit größeren Zusammenhang, zum Beispiel in den Kontext Europa. Meine frühen Arbeiten waren für mich ein Versuch, nach Auschwitz wieder eine Einheit herzustellen. Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es keine deutsche Kultur mehr. Deutschland hatte nicht nur einen Genozid begangen, sondern sich auch selbst amputiert. Als dann die Nazivergangenheit seit Mitte der siebziger Jahre fast täglich über Fernsehfilme öffentlich verhandelt wurde, fühlte ich mich als Künstler nicht mehr herausgefordert. Dennoch fühle ich mich mit Deutschland bis heute verbunden, egal wo ich lebe.

Wie äußert sich das in Ihren Arbeiten?

Kunst kann nicht politisch direkt Einfluss nehmen. Aber anders als die Soziologie oder Politologie kann sie Zeichen setzen. Kunst ist so real, wie die Poesie etwas Wirkliches ist.

Für die Begleitaussstellung im Louvre haben Sie 80 religiöse Zeichnungen aus dem Besitz des Museums ausgewählt.

Auch sie behandeln das Thema Grenzen. Das Bild „Jesus wandelt auf dem Wasser“ zum Beispiel habe ich 1969 selbst einmal aufgegriffen. Ich stehe in einer Badewanne, in die ich einen Hocker gestellt habe, und versuche, auf dem Wasser zu gehen. Ja, wirklich. 2008 wird es in Salzburg von mir eine Ausstellung geben, mit dem Titel „Ave Maria“.

Das Gespräch führte Sigrid von Fischern. Die Begleitausstellung „Dessins/Frontière/dessins“ ist bis 4. Februar im Pariser Louvre zu sehen. Der Katalog (Verlag Editions du Regard) kostet 29 Euro.

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