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Zeitlos. Szene aus Götz Friedrichs 1978er Inszenierung der „Hochzeit des Figaro“, die bis heute in der Deutschen Oper im Repertoire ist.

© Bettina Stöß

Interpretation und Tradition: Die vielen Seiten von Mozart

„Weil jede Note zählt“: Stephan Mösch hat ein Buch herausgegeben mit Gesprächen und Essays über die Möglichkeiten, Mozart zu interpretieren.

„Sing, my friends!“, heißt die Aufforderung, die der legendäre Dirigent Bruno Walter häufig in den Orchesterproben zu seinen Mozart-Aufführungen hören ließ. „Die Basis für alles sind diese kantablen Linien“, sagt Hartmut Haenchen, ein Quellenforscher unter den Dirigenten von heute, der am liebsten die Autografen der Werke befragt, bevor er ans Pult tritt.

„Gerade bei Mozart sollte man das Instrument singen lassen“, findet der Geiger Frank Peter Zimmermann. Und Alfred Brendel verdankt sein stilistisches Bewusstsein Sängerinnen wie Christa Ludwig oder Elisabeth Schwarzkopf: „Mozart ist ein Cantabile-Komponist.“ Damit erklärt der große Pianist, warum er dem modernen Flügel den Vorzug gibt: „Die Töne können länger singen.“

Die Wandlungen des Mozart-Verständnisses in den letzten 100 Jahren untersucht ein Buch, das sich dem 100-jährigen Bestehen des Würzburger Mozartfestes 2021 verdankt. Lesenswert ist als Beigabe eine Chronik des Festspiels, die ein Stück deutscher Zeitgeschichte spiegelt: Die „Provinzstadt“ Würzburg auf der Suche nach kultureller Identität; die Ausstrahlung der Würzburger Residenz; Bücherverbrennung auf dem Residenzplatz; Luftangriff auf die Innenstadt, deren Zerstörung; Wiederaufnahme der Festspiele 1951, schließlich Öffnung des Mozartfestes für die historische Aufführungspraxis.

Das Jubiläum aber ist nicht Hauptgegenstand des Buches. Herausgeber Stephan Mösch wählt für den Titel ein Brendel-Zitat: „Weil jede Note zählt“. Keine Interpretation ohne Tradition. Historisch informierte und moderne Interpretation sind sich heute nicht mehr Feinde.

Ulrich Konrad geht in seinem Essay zurück zu Mozarts Aufführungspraxis und findet dort kostbare Anleitung. Vor übertriebenem Vibrato warnt er: „das ist auch wircklich abscheulich. Das ist völlig ganz wieder die Natur zu singen. Die Menschenstimme zittert schon selbst.“

Gerard Mortier öffnete Salzburg dem politischen Theater

Mösch blickt auf die Wandlungen der Mozart-Bühne, ihre jahrelang als „Mozart-Pflege“ gehütete „Verpuppung“ in Salzburg und Wien. Schließlich thematisiert er ihre Entfernung von theatraler Repräsentation unter Regisseuren wie Peter Konwitschny, Jossi Wieler, Christoph Marthaler.

Sein Kapitel um „Mozarts Theater der Vielfalt“ ist „In memoriam Gerard Mortier“ überschrieben, eine Schlüsselfigur Salzburgs. Mortier, öffnete die Festspiele in den 90er Jahren für Neues, auch politisches Theater. Wie sieht Donna Anna im „Don Giovanni“ aus? Die Besetzung der Rolle spiegelt wesentliche Veränderungen der Mozart-Bühne.

Von Mozarts Jugendliebe Aloysia Lange in der Wiener Erstaufführung gesungen, gehörte die Partie später den Isolden/Brünnhilden der Wagner-Bühne wie Lilli Lehmann und Birgit Nilsson, um unter Harnoncourt auch mit den leichteren Stimmen von Editha Gruberova und Christine Schäfer zu glänzen.

Erlaubt oder nicht erlaubt – das ist bei der Mozart-Darstellung die Frage. Mösch führt ein erstaunliches Beispiel aus dem 19. Jahrhundert an. Als Regisseur des Münchner Hoftheaters richtet Franz Grandaur um 1870 das „Don Giovanni“-Finale als Tragödie ein, in der die sittliche Ordnung im Sinn einer Katharsis wiederhergestellt werden sollte.

Hinter drei Türen steht je eine Frauengestalt für Giovannis Schuld: Verführte, die mit dem Tod bezahlen. Im Dienst eines damals aktuellen Theaterverständnisses streicht Grandaur den „lustigen“ Diener Leporello aus der Szene. Mösch verweist auf einen Bezug im Umgang mit Theatermitteln, der im Sinn einer zuspitzenden Veränderung vom späten 19. ins späte 20. Jahrhundert führt.

Für die Sängerin Brigitte Fassbaender ist Mozart perfekt

Wie Richard Strauss Mozart dirigiert hat, lässt sich aus seinen Schallplatten-Aufnahmen mit der Berliner Staatskapelle, auch aus seinen „Erinnerungen und Betrachtungen“ vernehmen. Strauss betont, dass in schnellen Sätzen „im allgemeinen das gesangliche Seitenthema etwas ruhiger zu nehmen“ sei. So beginnt Thomas Seedorf sein Kapitel über Mozart-Dirigenten des 20. bis 21. Jahrhunderts mit Bruno Walter, Karl Böhm, Nikolaus Harnoncourt und Teodor Currentzis.

Aus Fachartikeln wie Interviews leuchtet Mozarts Kantabilität. Markus Thiel, Musikredakteur des „Münchner Merkur“, befragte Künstler:innen, darunter Alfred Brendel. Mit ihm stimmt Brigitte Fassbaender in der Fixierung auf das kleinste Tüpfelchen bei Mozart überein: „Es gibt bei ihm keine einzige unwichtige Note.“ In puncto Genauigkeit nennt die Sängerin Karl Böhm, einen der größten Mozart-Dirigenten. Wen sie jedoch als Interpreten ablehnt, nennt sie nicht mit Namen und spricht pauschal von „Profilierungssucht der künstlerischen Leiter“.

Auch ein Dirigent wie John Eliot Gardiner klagt auf seiner Suche nach theatraler Wahrhaftigkeit über Regisseure, „die wenig oder gar kein Gefühl für Mozart besaßen“. Solche Generalschelte ist in Musikerkreisen nicht selten. Zu diesem heiklen Thema hätte man dem Buch Gesprächskontakt mit Verantwortlichen des Regietheaters gewünscht.

[„Weil jede Note zählt“. Mozart interpretieren. Gespräche und Essays. Hrsg. von Stephan Mösch. 401 S. Verlag Bärenreiter/Metzler. 29,99 €]

Tabea Zimmermann, die den Part der Viola in der Sinfonia concertante, einer der schönsten Mozart-Partituren, 250 mal gespielt hat, weiß, „dass die Sache mit steigender Zahl der Aufführungen nicht leichter“ wird. Aber „es gibt stets einen gesanglichen roten Faden“. Die Musikerin bevorzugt moderne Instrumente und hat sich gerade eine neue Bratsche gekauft. Erstaunlich, wie wichtig ihr und vielen anderen Interpreten unserer Zeit das Stichwort Vibrato ist.

„Ich kann diese inhaltslose, prätentiöse Welt des Sarastro, die gemeinhin als schön empfunden wird, nicht mehr ertragen,“ so äußert sich Christian Gerhaher, der große Interpret unter den Sängern der Gegenwart, über die „Zauberflöte“. Sein eigenwilliges Interview ist eine Wanderung durch den Garten der Klischees aus Liebe zu Mozart.

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