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Sitzt fest in Papua-Neuguinea. Der Politikwissenschaftler und Journalist Behrouz Boochani.

© Jonas Gratzer/LightRocket via Getty

Internierungslager für Flüchtlinge: Australiens Schande

Über Jahre hat Australien Bootsflüchtlinge in Offshore-Lagern festgehalten. Behrouz Boochani gibt den Opfern ein Gesicht. Die Zeitschriftenkolumne.

Von Gregor Dotzauer

Gut tausend Kilometer nördlich des australischen Festlands, auf Manus Island inmitten des Reichs von Papua-Neuguinea, versucht die Regierung im heimischen Canberra, sich eines Teils ihrer Migrationsprobleme gewaltsam zu entledigen. Anders als Asylsuchende, die auf dem Landweg einreisen, kommen Boatpeople, die ohne Papiere auf offener See aufgegriffen werden, erst gar nicht dazu, einen ordnungsgemäßen Antrag zu stellen.

Die Chance zu den jährlich maximal 12 500 Glücklichen zu gehören, die aus humanitären Gründen ins Land gelassen werden, wird ihnen von vornherein verwehrt: Sie haben de facto nie australischen Boden betreten.

Sechs Jahre lang wurden Boatpeople in das Manus Regional Processing Centre ausgeflogen, ein Internierungslager, das zusammen mit einer ähnlichen Einrichtung in der winzigen Inselrepublik Nauru das Hässlichste gewesen sein dürfte, was sich ein demokratischer Staat im Umgang mit Flüchtlingen in jüngster Zeit geleistet hat.

Der südafrikanische, seit 2002 in Adelaide lebende Literaturnobelpreisträger J. M. Coetzee nennt die Offshore-Anstalten in der „New York Review of Books“ vom 26. September zu Recht „Australiens Schande“.

Andere werden noch deutlicher. Masha Gessen zitiert in ihrer pünktlich zum 11. September erschienenen Online-Kolumne für den „New Yorker“ erst ihre Kollegin Julia Baird, die 2016 in der „New York Times“ von Australiens „Archipel Gulag“ sprach, um dann noch eins draufzusetzen: Es sei genauer, den Begriff Konzentrationslager zu verwenden.

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Nach einem Urteil des Obersten Gerichts von Papua-Neuguinea wurde Manus zwar Ende 2017 offiziell geschlossen, während Nauru in kleinerem Umfang fortbesteht. Einen Teil der Insassen, die gezielt gedemütigt wurden, haben mittlerweile die USA aufgenommen. Doch auch die drei offenen Nachfolgeheime unweit der Provinzhauptstadt Lorengau stehen in der Kritik.

Sie perpetuieren eine wankelmütige, tief ins 20. Jahrhundert zurückreichende Politik, die heute noch keine klare Linie entwickelt.

Vielleicht hätte die Welt vom Elend auf Manus Island nie erfahren, wenn ihm nicht Behrouz Boochani, ein iranischer Kurde, ein literarisches Gesicht gegeben hätte. Satz um Satz trug er auf Smartphones, die zwischendurch konfisziert und gestohlen wurden, inmitten Hunderter von Mithäftlingen seine Erfahrungen heimlich zusammen und schickte sie als Textmitteilungen an seine Kollaborateure Moones Mansoubi und den Philosophen Omid Tofighian. Der übersetzte sie aus dem Farsi ins Englische.

„No Friend But the Mountain: Writing From Manus Prison“ (Picador) heißt das Ende Januar mit dem Hauptpreis des Victorian Premier’s Literary Award ausgezeichnete Buch. Trotz internationaler Appelle hat es Boochani, der 2013 als kurdischer Aktivist über Indonesien nach Australien zu fliehen versuchte, dem roten Kontinent nicht nähergebracht.

Seine Berufungen an die University of New South Wales und das gleichfalls in Sydney beheimatete Asia Pacific Migration Centre kann – und will – der Politikwissenschaftler nur virtuell wahrnehmen. Auch seine erste europäische Gastprofessur an der juristischen Fakultät des Londoner Birkbeck College tritt er nur per Skype an: Bis auf Weiteres sitzt er fest auf Manus Island.

Coetzee zeichnet die historischen Linien nach

Aus den vielen Texten über Boochani ragt der von Coetzee heraus. Nicht nur, dass er Australiens gestörtes Verhältnis zur Einwanderung bis zur Konferenz im französischen Évian 1938 zurückverfolgt, als der leitende Gesandte erklärte, sein Land wolle sich mit den verfolgten europäischen Juden kein „Rassenproblem“ aufladen – als hätte es sich durch die Diskriminierung der Aborigines nicht längst eines eingehandelt.

Er hadert auch mit dem Status von „No Friend“ zwischen Memoir, Streitschrift und Fiktionalisierung im Bemühen, die Erkennbarkeit der Mithäftlinge zu erschweren. Coetzee weist aber auch darauf hin, dass das, was für Australiens Steuerzahler mit 38 000 US-Dollar pro Offshore-Häftling und Jahr ein Verlustgeschäft ist, Manus und Nauru jährlich 1400 US-Dollar allein an Visagebühren pro Mann einbringt.

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