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Selfie-Königin Arvida Byström

© Arvida Byström/Museum der bildenden Künste, Leipzig

Instagram-Kunst, "Virtual Normality": Das Ende der Scham

Selbstverliebt und selbstbestimmt: Das Museum der bildenden Künste in Leipzig zeigt mit der Schau „Virtual Normality“ die Instagram-Kunst junger Frauen.

Pink und Pastell sind ihre Farben. Manche sehen mädchenhaft und süß aus. Andere erotisch und sexy. Ihre Fotos und Videos posten sie auf Instagram, YouTube oder Tumblr. Es dauert oft nur ein paar Minuten, diese Aufnahmen zu machen. Manchmal entsteht diese „Kunst“ sogar live. Mit Handykamera vorm Schminkspiegel gefilmt. Netzkünstlerinnen 2.0. wie die Amerikanerinnen Signe Pierce und Stephanie Sarley, die selbst ernannte Online-Exhibitionistin Molly Soda oder das Instagram-Model Leah Schrager bekommen nicht nur Tausende von Klicks im Internet, ihre Kunst ist jetzt auch im Museum der bildenden Künste in Leipzig zu sehen.

Schon entbrennt eine heftige Diskussion darüber, ob Mädchen, die sich ihr Handy in den Schritt halten, tatsächlich ernsthafte Künstlerinnen sein können. Ist das Feminismus im digitalen Zeitalter? Oder beobachten wir eine kranke Form von Selbstverliebtheit, bei der junge Frauen bereitwillig jedes Klischee bedienen, für ein bisschen Aufmerksamkeit im Netz? Natürlich fragt man sich auch, ob der Weg ins Museum hier lohnt. Wird die Ausstellung mehr liefern als den endlosen Bilderstrom, den man im Internet bereits durchgeklickt hat?

Den Instagram-Account von Arvida Byström, einer jungen Schwedin, die mal blondierte, mal blaue Haare hat und ebenfalls Teil der Ausstellung ist, kann man sich ungefähr so vorstellen: Byström liegt mit roten Lackschuhen vor einer Fotowand, ein Handy und eine Blüte verdecken die nackten Brüste. Byström im goldfarbenen Bikini, wie sie ihre behaarte Achselhöhle fotografiert. Byström im Leoparden-Zweiteiler, das Handy auf sich gerichtet. Ein Close-up ihres Schritts, ein paar Schamhaare lugen am Rande des Höschens hervor. Daneben die immer gleichen Kommentare. So etwas wie „Schöner Körper, tolle Frau.“ Oder „Alles Scheiße, rasier’ dich mal.“ Byström hat 247 000 Follower auf Instagram. Seit sie zwölf war, lädt sie Bilder von sich im Internet hoch. Sie modelt für einen Sportartikelhersteller. In einer dieser Kampagnen hat sie sich ebenfalls mit unrasierten Unterschenkeln präsentiert. Diese Abweichung vom gültigen Schönheitsideal bringt ihr viele „Hater“, also Menschen, die in sozialen Netzwerken Hasskommentare hinterlassen, auch handfeste Drohungen. Größer aber ist die Zahl der Bewunderer, die Byströms Körper als Geste der Selbstermächtigung und als Ermutigung ansehen.

Was mir peinlich ist, stelle ich ins Netz, um es loszuwerden, sagt Molly Soda

Die Leipziger Ausstellung zeigt zum Glück mehr als Instagram-Profile. Oder vielleicht wäre es richtiger zu sagen, sie zeigt weniger. Die Kunsthistorikerin und Bloggerin Anika Meier und die Journalistin Sabrina Steineke vom „keen on magazine“ haben die Schau kuratiert. Erst durch ihre kluge Auswahl kann man überhaupt wahrnehmen, worum es den sogenannten Netzkünstlerinnen 2.0. geht. Die Kuratorinnen geben sehr ausführliche Informationen zu den einzelnen Werken. Im Netz hat man die nicht, deshalb kann man alles so gnadenlos falsch verstehen.

Das Instagram-Model Leah Schrager.
Das Instagram-Model Leah Schrager.

© Leah Schrager/Museum der bildenden Künste, Leipzig

Diese junge Frauen haben ständig ein Handy oder ein Tablet in der Hand, der Screen ist ihre Schnittstelle zur Welt. Feedback auf ihr Äußeres sind sie gewohnt. Und offensichtlich hat der Perfektionismus in Sachen Aussehen in den sozialen Medien zugenommen. Weibliche Schönheitsideale sind ihr großes Thema – vor allem wie man sich davon befreit. Rosa steht in ihrer Welt nicht mehr für schwach und süß (Arvida Byström). Wer für Schönheit leiden will, kann trotzdem ein selbstbestimmtes Wesen sein (Juno Calypso). Wer sich kleidet wie ein Porno-Starlet, will noch lange keinen Sex (Leah Schrager, Signe Pierce). Sie neutralisieren den männlichen Blick. Oder versuchen es zumindest. Auch in Bezug auf die weibliche Sexualität.

Die Illustratorin und Videokünstlerin Stephanie Sarley ist mit ihren „Fruit Porn“-Motiven vertreten. Sarley hat Obst in Vaginaform arrangiert, saftige Orangenhälften werden zweideutig mit Sahneklecksen bespritzt, der Finger der Künstlerin dringt ins Pfirsichfleisch ein. Sinnlich, sehr simpel, sehr plakativ – und supererfolgreich im Netz. Sarleys Idee wurde aber auch von zahlreichen Trollen geklaut und benutzt. Authentische weibliche Sexualität ist in den sozialen Netzwerken immer noch ein Garant für beißenden Spott.

In einer Station mit mehreren Bildschirmen sieht man ein Video der Selfie-Queen Molly Soda, die sich beim Herumlümmeln im Bett das Handy vors Gesicht hält und alles live ins Internet stellt. Auch filmt sie sich dabei, wie sie ein dümmliches Schönheitsvideo auf YouTube betrachtet. Das eigene Leben als Reality-Show, auch das ist ein wiederkehrendes Motiv. Was mir peinlich ist, stelle ich ins Netz, um es loszuwerden, sagt Molly Soda, die eigentlich Amalia Sota heißt. Das sich selbst filmende Girlie ist eine ihrer Kunstfiguren. Paradox ist: Peinliche Sachen bringen in den sozialen Medien die ganz großen Klickzahlen, aber man will sich nicht mehr schämen.

„Sind wir nicht schon weiter?“, ist auf einer der Ausstellungswände zu lesen

Von Arvida Byström ist neben ihren Selfies auch ein Buch ausgestellt. Byström hat es gemeinsam mit Amalia Sota erstellt. Es enthält Aufnahmen, die bei Instagram gelöscht worden sind, weil sie nicht den Community Guidelines entsprechen. Etliche Netzkünstlerinnen, vor allem wenn sie mit ihren Körpern arbeiten, haben Erfahrungen mit Zensur. Regelmäßig werden Bilder von ihnen auf Instagram entfernt. „… das brennt ein Loch in unsere Feeds“, schreiben sie. Schließlich geht es bei der Instagram-Kunst nicht so sehr um neue Bilder als um einen konstanten Bilderfluss, um neue Kombinationen, das Arrangieren und Sortieren. Was laut Byströms und Sodas Sammlung im Netz als nicht angemessen gilt, sind: blutige Unterhöschen, Brüste, Brustwarzen, Flüssigkeiten, die nach Sperma aussehen, auch unerklärliche Dinge wie eine verschleierte Frau.

Die Künstlerin Nakeya Brown
Die Künstlerin Nakeya Brown

© Nakeya Brown/Museum der bildenden Künste/Leipzig

„Unsere Körper werden online und von der Gesellschaft kontrolliert“, schreiben die Künstlerinnen. Natürlich ist ihre Sammlung höchst subjektiv, sie berücksichtigt ausschließlich die privilegierte Sphäre hellhäutiger, schlanker Frauen. Von der Be- und Verurteilung ihrer eigenen Körper spannen sie jedoch einen Bogen zu weiteren, häufig diskriminierten Identitätskategorien wie Rasse und Geschlecht. Reflexion ist also durchaus vorhanden, auch wenn diese Künstlerinnen immer erst mal von ihrer eigenen Lebenswelt ausgehen.

Signe Pierce hat Fotografie und Kunst studiert, sie nennt sich Reality Artist und hat dazu auch ein Manifest auf YouTube veröffentlicht. „Ich bin Kunst und ich bin Pop“, sagte sie über sich und bemüht Warhol ebenso wie Jean Baudrillard. Die in Los Angeles lebende Künstlerin wollte wissen, was passiert, wenn Porno-Motive plötzlich in die Realität einbrechen. Dafür nutzt sie ein neues Genre, die Instagram-Performance.

Die geschlechtslose, geballte Ladung Sex ist zu viel für die meisten

Die schlanke, blonde Frau spazierte im Minikleid, Highheels und mit einer verspiegelten Maske vor dem Gesicht durch die Straßen von Myrtle Beach und bewegt sich mitunter sehr lasziv. Ihre Kollegin filmte die Reaktion der Umstehenden für das Internet. Bald trabte ihr eine Menschentraube mit Handys in der Hand hinterher. Es wurde gepfiffen, gegrölt, vor allem wollten alle wissen, ist das ein Mann? Oder eine Frau? Schließlich wird Pierce in ihrer Verkleidung sogar von einer Frau zu Boden gestoßen. Das Video wurde bei YouTube mehr als 1,6 Millionen Mal aufgerufen; mittlerweile war es auf der Art Basel und im Pariser Palais de Tokyo zu sehen. Die Message ist klar: die geschlechtslose, geballte Ladung Sex ist zu viel für die meisten.

Natürlich sind solche Performances in der Öffentlichkeit nicht neu. Feministinnen aller Jahrzehnte haben Ähnliches gemacht. Doch den Netzkünstlerinnen geht es nicht um das Neue, auch nicht um Feminismus per se. Ihr Körper wird im Internet stark reglementiert – das merken sie jeden Tag, darüber wollen sie mittels ihrer Filme und Bilder online diskutieren. „Sind wir nicht schon weiter?“, ist auf einer der Ausstellungswände zu lesen. Und die Antwort folgt sogleich: „Nein, sind wir nicht!“

Museum der bildenden Künste Leipzig, bis 8.4., Katharinenstr. 10, Leipzig

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