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Inka Bause zum Mauerfall: „Das neue Deutschland ist auch eine Diktatur des Geldes“

Inka Bause erlebte den Umbruch als aufstrebende Sängerin, bald kam die Ernüchterung. Durch RTL wurde sie bekannt. Ein Interview über Träume, Irrtümer und Respekt.

Inka Bause wurde 1968 in Leipzig geboren. Sie moderiert zahlreiche Fernsehsendungen, darunter seit 2005 für RTL „Bauer sucht Frau“. Außerdem ist sie als Sängerin künstlerisch aktiv.

Frau Bause, als die Mauer aufging, hatten Sie da Träume oder Albträume?
Ich wusste erst einmal nicht, was passieren wird. War der Mauerfall nur ein Fake, würde aus der Maueröffnung gleich wieder eine Mauerschließung? Würden die Russen kommen? Als Günter Schabowski am Abend von der Grenzöffnung sprach, war ich vollkommen verunsichert, ob das jetzt Scherz oder Ernst war.

Ich habe mir 30 Pfennig aus der Geldbörse meines Vaters geklaut und bin sofort mit meinem Freund rüber. Sein Bruder war wegen eines Ausreiseantrags ein paar Monate vorher abgeschoben worden. „Wir besuchen Andreas in West-Berlin“, das war unser Ziel. Als ich beim Rotwein irgendwo im Wedding saß, war meine größte Angst, ob mich die „Organe“, vor denen uns eine riesige Autorität eingebläut worden war, auch tatsächlich wieder zurücklassen – in meine Heimat, in mein Zuhause, in meine Geborgenheit.

Von den Veränderungen, die auf Sie zukommen würden, hatten Sie gar keine Vorstellung?
Es war jeden Tag anders. Schabowski, Krenz, Modrow, der hier, der da, der nicht. Ich war ja aber ein junger, positiver Mensch, für mich war das alles nur spannend. Monate später kam die Katerstimmung nach dieser Euphorie, wir schaffen ein zweites Deutschland, was sozialer, vielleicht sogar ein bisschen sozialistischer ist. Für mich hat das Wochen, Monate, ja Jahre gedauert, bis ich zur Ruhe gekommen bin.

Im Osten waren Sie eine Schlagersängerin mit großer Zukunft, im Westen nahezu unbekannt. Hatten Sie die Erwartung, dass Sie Ihre Karriere bruchlos würden fortsetzen können?
In meiner Familie haben wir zwei Generationen Wende durchlebt. Mein Vater Arndt, um die 50, gehörte zu der Generation, die eigentlich nicht mehr von vorne anfangen konnte. Mir stand mit Anfang 20 die Welt offen. Ich war relativ attraktiv, bildete mir ein, mein Handwerk zu verstehen, hatte einen Hochschulabschluss, habe im Sommer 1990 den dritten Platz in der „ZDF-Hitparade“ belegt als Künstlerin aus der DDR, hatte sofort einen Vertrag bei der Plattenfirma Virgin.

Na, holla, die Waldfee, dachte ich mir, das geht einfach weiter so wie bisher. Das Erwachen kam so 1993, 1994. Die Ostler wollten mich nicht mehr hören, die Westler hatten ihre eigenen Künstler. Da musste ich neu sortieren, da war ich aber immer noch erst 24. Ich habe nie Panik bekommen. Ich habe angefangen, Kinder zu schminken, und Flyer verteilt. Was ich aber nie gemacht habe: Ich habe nie meinen Job, meinen Beruf beschädigt. Ich habe lieber keine Platte produziert, als einen Kompromiss abzuliefern, für den ich mich hätte schämen müssen.

Womit haben Sie Glück, womit Pech gehabt?
Ich sehe mich nicht als einen Menschen, der in irgendeiner Weise Pech hatte – anders als die Menschen in Bitterfeld oder in Leuna, wo der einzige Betrieb von der Treuhand abgewickelt wurde. Da war Feierabend. Wenn ich dann heute bei sehr gut bezahlten Veranstaltungen in Bayern höre: Na, die hätten doch in den Westen gehen können oder sich sonst wie verändern können, dann geht mir das Messer in der Tasche auf. Mir ist dieses Unverständnis 30 Jahre nach dem Mauerfall unverständlich. Hört Euch diese Lebensläufe an, von West nach Ost, von Ost nach West!

Die DDR war für Sie, das neue Deutschland wurde für Sie …
Die DDR war für mich eine sehr schöne, privilegierte Kindheit. Dazu stehe ich auch, weil mein Vater als hochbegabter und hocherfolgreicher Komponist natürlich sein Ein- und Auskommen hatte. Und die DDR war für mich Ausbildung auf höchstem Niveau – jeder hatte Zugang zu Kunst und Bildung.

Welches ist der größte Irrtum zur DDR?
Dass wir erst im Nachhinein von vielem erfahren haben, was hier alles gelaufen ist, Zwangsadoption nur als ein Stichwort. Wozu dieses sozialistische System, das SED-Regime, in der Lage war. Was allein alles im Stasiknast in Hohenschönhausen passiert ist! Das wusste ich nicht, das und noch mehr habe ich nach der Wende erfahren. Ich habe mich mit Blick auf die Macht und ihren Missbrauch in der DDR in ihrem ganzen Ausmaß geirrt. Man muss aber auch bedenken, dass ich sehr jung war und mein Umfeld keine reaktionäre Familie war.

Wie sehen Sie das neue Deutschland?
Immer noch habe ich das Gefühl, das machen zu können, was ich will. Unglaubliche Freiheit im Handeln und Tun. Für mich ist das neue Deutschland aber auch Reglementierung und leichte Diktatur …

… leichte Diktatur?
Eine Diktatur des Geldes, man muss immer nur der Spur der Scheine folgen. Dann sehe ich auch eine spezielle Form der Zensur. Meinen Sie, ich könnte bei RTL sagen, was ich wollte? Natürlich kann ich mich besser dieser Zensur entziehen, als ich es damals in der DDR konnte. Aber und trotz alledem: Für mich ist das neue Deutschland Freiheit, es ist unumkehrbar. Es gibt dazu keine Alternative. Es muss auch keinem Angst machen, wenn man etwas Gutes an und in der DDR findet. Denken Sie nur an die Ärztehäuser, die früher Polikliniken hießen.

Was ist der größte Irrtum über die BRD?
Man kann doch nicht alles sagen, es gibt nicht die unumschränkte Meinungsfreiheit, manches hat eine unangenehme Konsequenz, einiges ist unmöglich. Es wird nimmer ein Linker Chefredakteur im Bayerischen Rundfunk. Und der Profit ist das Regulativ.

Was fehlt im vereinten Deutschland?
Die Wertschätzung des Ostdeutschen. Es ist für mich dabei überhaupt keine Lösung, dass die AfD in den ostdeutschen Ländern gewählt und so stark gewählt wird. Es hat sich abgezeichnet: Zu wenig Arbeit, zu wenig Rentenabsicherung – für mich ist dieser Aufbau Ost blanker Zynismus. Es geht nicht um Geschenke, es geht um Respekt vor dem Anderen, um Liebe, um Wertschätzung, um Wärme – nicht ausschließlich um neue Hotels und neue Straßen. Das wird so nicht gesehen, auch nicht von vielen Parteien. Die Linke, diese Macht nach der Wende, hat es beispielsweise nicht verstanden, bei den Menschen zu bleiben.

Ist die geringe Wertschätzung nur von West nach Ost zu sehen, oder gibt es sie auch zwischen Ost und Ost?
Allerdings gibt es das. Uns wurde ja kein starkes Rückgrat antrainiert. Wir durften es nicht haben, wir konnten nicht offen unsere Meinung sagen und nicht offen kämpfen. Unsere Aufsätze haben wir schon als Kinder so formuliert, dass wir eine Eins kriegen: Wir möchten immer in Frieden leben und dass unser russischer Bruder immer an unserer Seite steht. Wumms und eine Eins. Deswegen konnte man nicht am Tag eins nach der Wende von uns verlangen, dass wir wissen, was wir wollen.

Ich bin meinem Plattenchef und all den anderen aus dem Westen gefolgt, weil die ja wussten, wo es langgeht. Erst Jahre später habe ich bemerkt, dass die uns gegenüber auch schüchtern waren. Da waren wirklich nicht nur Bevormundung und Gemeinheit im Spiel. Wir haben uns mitunter auch nicht mit Ruhm bekleckert und so manchen zugezogenen Wessi im Brandenburger Land nicht mit offenen Armen empfangen. Es war für uns alle damals die erste Wende. Da passieren Fehler, die man aber immer korrigieren kann – dafür sollte es nie zu spät sein.

Und wird sich noch alles einrenken?
Natürlich. Noch gibt es diese Kriegs- und Nachkriegsgeneration à la DDR, die unter die Räder gekommen ist. Da darf man sich aber nicht mit Vorwürfen aufhalten, sich gegenseitig runtermachen, sondern miteinander nach vorne schauen.

Sind Ihre Auftritte als Sängerin im Osten Fahrten in die Vergangenheit?
Im Westen wurde mir wie vielen Künstlern aus der DDR nahegelegt, nicht zu sagen, dass ich aus dem Osten komme. Das war ein Makel. Ich habe immer dazu gestanden, bin nicht nach Hamburg gezogen und habe die Bio umgeschrieben. Wenn ich heute in Dresden Lieder aus meiner Kindheit, aus meinem Repertoire, von meinem Vater singe und ein paar „Bauern“-Witze mache, liegen sie mir zu Füßen – in Köln oder München kämen keine zehn Leute. Ich kann, 30 Jahre nach der Wende, im Westen beruflich nicht das machen, was ich im Osten mache. Aber es verändert sich, bald wird es keine Frage mehr sein, wer wo herkommt, sondern ob er es als Künstler bringt. Jetzt quälen wir uns halt noch ein paar Jahre mit der Nachwendezeit herum.

Mussten Sie durch die Radikalität der Wende schneller erwachsen werden?
Ich war ein sehr verwöhntes Kind, aber ja. Ich musste das Prinzesschen abschütteln, von vorne anfangen. Habe viel Lehrgeld gezahlt, meinem Vater hat es das künstlerische Genick gebrochen. Ihm wurde hochnäsig gesagt, das sei jetzt aber eine Ostmelodie. Er wurde beleidigt, ihm wurde sehr wehgetan. Mir wurde geraten, mich von meinem Vater als Komponisten zu trennen. Ich habe dann, mit 22, gesagt, jetzt sterbe ich meinen Künstlertod.

Ich habe es immer wieder in den vergangenen Jahren versucht, meinen Vater ins Boot, in meine Konzertprogramme zu holen. Mit dem Erfolg des „Bauern“ habe ich jetzt die Macht, das zu erreichen. Ich verdiene mit den „Bauern“ und verwirkliche bei meinen Tourneen meinen künstlerischen Traum, mit Band zu spielen, ohne Druck. Wenn ich mal nicht ausverkauft bin, steht uns nicht gleich das Wasser bis zum Hals. Das habe ich RTL zu verdanken und Millionen Menschen, die „Bauer sucht Frau“ lieben.

Sie sagen, man werde an seinem größten Erfolg gemessen. Woran werden Sie gemessen?
Ich bin mein eigener Zollstock. Meine Erfolgsgeschichte ist meine Tochter. Sie ist gerade 23 geworden, macht ihren Meister in der Fotografie. Wir lieben und respektieren uns. Das ist mein größter Erfolg, dass ich meine Tochter in der Spur gehalten habe, natürlich und vor allem mit ihrem Zutun. Beruflich versuche ich immer, die Figur Inka und den Menschen Inka zusammenzuhalten. Ich möchte daran gemessen werden, ob ich es schaffe, Menschen glücklich zu machen. Ich will ein warmer, ein empathischer Mensch sein.

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