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Clemens Setz bei seiner Rede zum Bachmannpreis.

©  Gert Eggenberger

Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb: Autoren sind wie Wrestler in langen Hosen

Clemens Setz eröffnet die Tage der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt mit einer großartigen Rede.

Ob in den Archiven des seit 1977 ausgetragenen Ingeborg-Bachmann-Wettbewerbs irgendetwas zum Thema Wrestling zu finden ist? Ein Autor, eine Autorin mal den Namen Hulk Hogan erwähnt oder sich mit Mickey Rourke als Wrestler Randy Robinson in „The Wrestler“ beschäftigt hat? Wohl eher nicht – und wenn, sind davon keine Spuren geblieben. Das wird jetzt anders sein, nach der Klagenfurter Rede zur Literatur des österreichischen Schriftsteller Clemens Setz, eine der besten, die es je gegeben hat. Auch weil sie weit über jede Art von Klagenfurt-Folklore hinausweist.

Setz schloss am Mittwochabend diese Sportart, die eine reine Show ist, bei der der Sieger immer schon vorher feststeht, eine Art Fake-Ringen, mit der Literatur kurz, und zwar mit dem Begriff, dem Prinzip „Kayfabe“. Heißt: Die Wrestler, die im Ring stets nur eine Rolle spielen, dürfen niemals aus dieser Rolle fallen, auch im richtigen Leben nicht. Sie arbeiten als fiktive Figuren, sie sind im Idealfall selbst in ihrem realen Leben Wrestler, also fiktiv, folglich vermischen sich Realität und Fiktion. Also das tägliche Brot in der Literatur, aber auch dort, wo reale Personen, Schauspieler etwa, sich mit ihren Figuren verwechseln, oder Ärztinnen oder Psychotherapeutinnen ihre Profession noch privat ausüben, 24/7. Wir werden mehr und mehr von Fiktionen regiert, will Setz sagen, von Selbstverwechslungen.

"Euer geschlossenes System erstickt irgendwann an sich selbst"

Die sieht er im schlimmsten Fall bei den Rechten und Rechtspopulisten, um ihnen hoffnungsfroh ein baldiges Ende zu prophezeien: „Euer System ist ein geschlossenes, und wie alle geschlossenen Systeme erstickt es irgendwann an sich selbst“. Und Klagenfurt, der Bachmannpreis? Hat natürlich selbst etwas von einer Fiktion, so real er sich für die Beteiligten in dem überschaubaren Kärntner Landeshauptstädtchen darstellt: fünf Tage lang raus aus einer Welt, die vom Klimawandel, Trump oder den Morden Rechtsradikaler beherrscht wird. Stattdessen: fünf Tage literarische Texte hören, über sie diskutieren, sich damit beschäftigen, sie größer machen, als sie sind. Oder, um es in den Worten der Jurorin Insa Wilke nach der sie begeistert zurücklassenden Eröffnungslesung von Katharina Schultens zu sagen: „Ich sehne mich verdammt nochmal nach Verdichtung!“ Als ein „für kurze Zeit hochtourig laufendes Fabriklein, das einen konzentrierten Datenstrom aus Fiktionen produziert“ bezeichnete Setz am Ende seiner Rede den Wettbewerb. Und schloss, abermals hoffnungsfroh, dass diese Fiktionen, „selbst wenn man sie gnadenlos ernst nimmt, den Geschöpfen ihre Mündigkeit belassen, auch wenn diese noch so sehr und so beharrlich nach dem Gegenteil verlangen.“

Leider ist es dann so, dass die Fiktionen der ersten Lesungen am Donnerstag nicht an Setz‘ Rede heranreichen. Eine Autorin wie Silvia Tschui zeigt sich allein sprachlich mit der von ihr gewählten Kinderperspektive nicht der Thematik des Zweiten Weltkriegs gewachsen. Oder es dominieren Weltferne, Literaturliteratur, Texte, die der enorm freundlichen Jury viel motivische Entschlüsselung abverlangen, ohne dass noch Zeit bliebe, ihre Notwendigkeit oder Güte jenseits der geschlossenen Text-Systeme zu debattieren, so wie bei Katharina Schultens und Sarah Wipauer. Deren Texte beginnen so: „Die Mädchen sind keine richtigen. Sonst hätten sie andere Fragen“ (Schultens). „Gespenster entstehen zufällig“ (Wipauer). Immerhin liest dann noch Julia Jost, die mit ihrer ebenfalls im Zweiten Weltkrieg angesiedelten Mischung aus Coming-of-Age- Story und typisch österreichischer düsterer Sage beweist, konsistent und auf den Punkt hin erzählen zu können. Trotzdem: ein bisschen mehr Wrestling und Glam könnte diesem 43. Ingeborg-Bachmann- Wettbewerb nur gut tun.

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