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Im ORF-Theater, beim Bachmannpreis 2020

© dpa

Ingeborg-Bachmann-Preis: Sonne im Lendhafen beim zweiten Tag der deutschsprachigen Tage der Literatur

In Klagenfurt geht es beim Bachmann-Preis auch analog zu. Im Lendhafen ist Public Viewing, und alle sind begeistert und berührt von Helga Schubert.

Doch, der Bachmannwettbewerb 2020 ist in großen Teilen ein digitaler. In Klagenfurt selbst aber geht es analog wie eh und je zu, da ist alles wie immer, das Treiben fern der Literatur und fern dieses Wettbewerbs sowieso, zum Beispiel am Neuen Platz im Zentrum Klagenfurts.

Am Rathaus ist ein Plakat aufgespannt, das auf die 44. Tage der deutschsprachigen Literatur hinweist, mit dem Konterfei der 1973 in Rom verstorbenen, bekanntesten Schriftstellerin aus Klagenfurt.

Nicht weit vom Neuen Platz liegt der Lendhafen, er stellt die Mündung des sich aus dem Wörthersee speisenden Lendkanals dar, einer künstlich angelegten Wasserstraße.

Hier im Lendhafen hat sich neben dem ORF-Theater das zweite literarische Zentrum während der Bachmannpreistage etabliert; hier werden die Lesungen auf einem großen Fernseher übertragen, so auch in diesem Jahr.

Helga Schuberts Mutterporträt überzeugt

Es gibt eine Bar direkt unter der Elisabeth-Brücke. Geht man darüber und am Martin-Luther-Platz an der an dieser Stelle thronenden Johanniskirche vorbei, winkt einem quasi schon ein literarischer Schutzpatron zu. Es ist der Lyriker Gert Jonke, der 1977 beim Debüt des Wettbewerbs der erste Bachmannpreisträger wurde.

Ein Porträt von ihm ziert den Eingang des Kirchenpfarramts, darunter sein Geburts- und Sterbedatum, 1946 – 2009, sowie die kryptische Zeile „war seit seiner Jugend Johanniskirche und Lendkanal Name“. Unten im Hafen stehen links zwei Glaskästen mit Büchern zum Lesen oder Mitnehmen, fast nur Trash, Coelho und ähnliches, aber auch ein Ferrante-Roman und einer aus dem Deuticke Verlag.

An diesem Freitagmorgen, dem zweiten Lesetag des digitalen Bachmann-Lesens 2020, ist im Lendhafen zunächst nichts los. Die Sonne lässt sich Zeit; erst als sie zwischen den Wolken hervorlugt und ihre Kraft entwickelt, füllt sich das Auditorium, kommen zwanzig, fünfundzwanzig Interessierte, um sich unter anderem in die vielfarbigen Limited-Edition-Fußgängerzone-Sonnenstühle zu setzen und zu schauen und hören, was die zweite Leserunde bringt.

Im Grunde ist sie eine Kopie der ersten vom Donnerstag, was die Qualität und Interessantheit der Texte betrifft. Auf drei gute bis ordentliche, viel versprechende, natürlich nicht von allen Juroren und Jurorinnen gefeierte Texte folgen zwei problematische.

"Ist es nicht anmaßend, sich so ernst zu nehmen?"

Begeistert reagieren manche Jury-Mitglieder auf Helga Schuberts autobiografisches, passagenweise aber braves Mutter-Tochter-Porträt.

„Berührt“ sind sie, weil Schubert von den letzten Jahren ihrer über 100 Jahre alt gewordenen Mutter erzählt, von der Beziehung beider in den Kriegsjahren, von Liebe, Tod und Verzeihen. Klaus Kastberger versteigt sich gar zu der Behauptung, es hier mit Popliteratur aus östlicher Perspektive zu tun zu haben, nur weil Schubert einmal Sartre erwähnt oder den Namen eines Parfums.

Das ist etwas viel des Guten und vielleicht der Tatsache geschuldet, dass die popaffine Hanna Herbst sich der Popliteratur verweigert und ein Künstlerporträt zeichnet und das Grazer Autorenoriginal Egon Christian Leitner mit „Immer im Krieg“ sein Sozialstaatsprojekt fortsetzte. Reality Bites, auch digital.

Und wie fragt es an diesem Vormittag die sympathisch zweifelnde Schubert, den Wettbewerb in seinem Kern treffend: „Ist es nicht anmaßend, sich so ernst zu nehmen? Woher kommt die Überzeugung, gerade diese Begebenheit könnte auch nur einen einzigen Leser, eine einzige Leserin aufhorchen lassen?“

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