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Public Viewing im Lendhafen beim Bachmann-Wettbewerb 2020

© dpa

Ingeborg-Bachmann-Preis, der dritte Tag: Sirenen in Klagenfurt, Rumoren in der Jury

Laura Freudenthaler gesellt sich zum Favoritenkreis, zu Lisa Krusche und Helga Schubert, und die Jury zeigt sich disharmonisch.

Es ist zwölf Uhr mittags an diesem Samstagmorgen in Klagenfurt, und über dem Lendhafen ziehen nicht nur bedrohlich dunkle Wolken auf, sondern man hört von weitem auch eine Sirene heulen, wohl zur Probe, wie früher auf dem Land, Gott sei Dank gefolgt von den beruhigenden Glocken der nahen Johanniskirche.

Der Sirenenton passt zu dem Text, der gerade beim Bachmannwettbewerb vorgetragen wurde, Laura Freudenthalers „Der heißeste Sommer". Freudenthaler erzählt darin ruhig und präzise von einer nahenden Apokalypse, von einer am Gesicht verletzten Frau, von ihrem Freund, einem Feuerexperten, von vielen Feuern auf der Welt und in ihrer Umgebung, von einer Feldmausplage.

Die Jury zeigt sich ganz angetan, trotz eines Zuviels an Motiven und Metaphern, und tatsächlich ist „Der heißeste Sommer" einer der überzeugendsten Beiträge dieses Wettbewerbs 2020.

Tingler fragt Lydia Haider nach dem Zweck ihres Textes...

Auffallend einmal mehr: wie wenig die Jury ansonsten harmoniert, wie inhomogen sie ist, auf was für einem qualitativ unterschiedlichen Niveau sie sich bewegt. Es beginnt schon nach der ersten Lesung von Lydia Haider und ihrem öden Blut-und-Splatter-Text „Der große Gruß".

Philipp Tingler glaubt als erstes, die Autorin fragen zu müssen, was sie mit ihrem Text bezwecke, und zurecht empört weisen Insa Wilke und Hubert Winkels diese Frage als unzulässig zurück. Doch auch später kommt es zu einem Streit, der nicht produktiv ist, nach Katja Schönherrs durchaus amüsanten, geheimnislosen Text über eine Frau, die mit Mann und Tochter im Zoo vor dem Affengehäuse steht und sich später selbst ein Affenkostüm überstreift.

...und Winkels hält eine zornige Widerrede

Mehrmals betont Tingler, wie unterhaltsam dieser von ihm eingeladene Text sei und die Kategorie der Unterhaltsamkeit im Feuilleton so selten eine Rolle spiele, gar ein Hautgout habe. Was Winkels zu einer zornigen Widerrede veranlasst, nämlich, dass die Literaturkritik glücklicherweise jemand wie Marcel Reich-Ranicki hinter sich gelassen habe.

Tingler demonstriert einen etwas schlichten literaturkritischen Textzugang, trotz mancher boshaft-erfrischender Invektive; aber auch Nora Gomringer und Brigitte Schwens-Harrant wirken sehr blass, zurückhaltend, und wenn sie etwas sagen, wenig überzeugend.

Wie sehr es wohl rumort in der Jury, beweist dann Klaus Kastberger, als er den Schönherr-Text ebenfalls seines Unterhaltungscharakters wegen lobt und anschließt: „Wäre dieser Text Donnerstagfrüh gelesen worden, hätte dieser Wettbewerb womöglich einen besseren Verlauf genommen.". So ist sehr offen, wer dieses Jahr gewinnt. Neben Laura Freudenthaler müssten jedenfalls Helga Schubert und Lisa Krusche unter den Preisträgerinnen sein.

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